Dienstag, März 09, 2010

Der flexible Mann

NZZ Online
8. März 2010
Der flexible Mann
Wie behauptet sich heute das starke Geschlecht?

Unter den Bedingungen der freiheitlich-modernen Gesellschaft hat sich auch das Verhältnis von Männern und Frauen kompliziert. Der Notwendigkeit, dass sich beide Geschlechter mehr aufeinander zubewegen, stehen nicht nur archaische Verhaltensmuster, sondern auch die feministische Opfer-Ideologie entgegen.

Von Gerhard Amendt

Der Titel «Der flexible Mann» ist nicht nur mit der Vermutung des Gegenteils behaftet, sondern er enthält eine stillschweigende Vergleichung mit einer vermeintlich grösseren Flexibilität von Frauen. Wer aber männliche Flexibilität erörtern will, der muss gleichzeitig deren Grenzen sehen. Das wiederum weist uns darauf hin, dass Flexibilität im Verhältnis von Männern und Frauen etwas Wechselseitiges ist. Wer Flexibilität erwartet, meint die Dynamik der Beziehungen zwischen Männern und Frauen im privaten wie im öffentlichen Leben. Im Gegensatz dazu steht die weitverbreitete Zweiteilung der Welt in weibliche Opfer und männliche Täter. Diese Weltsicht kennt Flexibilität nicht mehr, denn sie geht von unversöhnlichen Gegensätzen zwischen Männern und Frauen aus. Sie verzichtet darauf, nach Lösungen für Konflikte zu suchen. Wer sich hingegen flexibel verhält, der hat sich entschieden, die Interessen des anderen anzuerkennen und die Konflikte wahrzunehmen, die damit verbunden sein können. Denn er glaubt an eine beziehungsreiche Welt, in der Männer und Frauen ihre.......



NZZ Online
8. März 2010
Der flexible Mann
Wie behauptet sich heute das starke Geschlecht?

Unter den Bedingungen der freiheitlich-modernen Gesellschaft hat sich auch das Verhältnis von Männern und Frauen kompliziert. Der Notwendigkeit, dass sich beide Geschlechter mehr aufeinander zubewegen, stehen nicht nur archaische Verhaltensmuster, sondern auch die feministische Opfer-Ideologie entgegen.

Von Gerhard Amendt

Der Titel «Der flexible Mann» ist nicht nur mit der Vermutung des Gegenteils behaftet, sondern er enthält eine stillschweigende Vergleichung mit einer vermeintlich grösseren Flexibilität von Frauen. Wer aber männliche Flexibilität erörtern will, der muss gleichzeitig deren Grenzen sehen. Das wiederum weist uns darauf hin, dass Flexibilität im Verhältnis von Männern und Frauen etwas Wechselseitiges ist. Wer Flexibilität erwartet, meint die Dynamik der Beziehungen zwischen Männern und Frauen im privaten wie im öffentlichen Leben. Im Gegensatz dazu steht die weitverbreitete Zweiteilung der Welt in weibliche Opfer und männliche Täter. Diese Weltsicht kennt Flexibilität nicht mehr, denn sie geht von unversöhnlichen Gegensätzen zwischen Männern und Frauen aus. Sie verzichtet darauf, nach Lösungen für Konflikte zu suchen. Wer sich hingegen flexibel verhält, der hat sich entschieden, die Interessen des anderen anzuerkennen und die Konflikte wahrzunehmen, die damit verbunden sein können. Denn er glaubt an eine beziehungsreiche Welt, in der Männer und Frauen ihre Konflikte gemeinsam lösen müssen.

Stolz und selbstgewiss

Historisch betrachtet sind Männer der Inbegriff von Flexibilität. Denn sie wollten Frauen und Kinder vor den Unbilden der äusseren Welt bewahren. Das haben die Frauen mit Anerkennung belohnt und mit der Zuschreibung von sexueller Attraktivität. Das macht Männer nicht anders als in der Vergangenheit noch immer stolz und selbstgewiss. So zeigt männliche Flexibilität sich noch immer darin, dass sie sich alles Mögliche einfallen lassen, um das Überleben und den Fortschritt zu sichern. Sie haben mit Erfindergeist, Technikbegeisterung und Tatendrang das Unbekannte zu enträtseln versucht. Sie haben Waffen entwickelt, damit andere getötet werden, und sich töten lassen. Sie haben damit den unstillbaren Wunsch nach besserem Leben, nach Sicherheit, Gesundheit und Einsichten in die menschliche wie nichtmenschliche Natur erfüllt. Dabei haben sie den eigenen Kopf und Kragen riskiert, aber zugleich den Erwartungen der Frauen nach erleichterter Hausarbeit entsprochen.

Aber Männlichkeit würde missverstanden, wenn man sie darauf beschränken würde, allein das tägliche Brot zu erarbeiten. Es würde die Lebenswelt von Produktion und Technik verdecken, die sie ausserhalb der Familie geschaffen haben, damit der Lohnzettel zufriedenstellend gerät. Und es würde ausser acht lassen, dass es Männer im Allgemeinen nicht gibt, sondern dass sie immer aufgeteilt waren in solche, die das Sagen und den Reichtum hatten, und die, die Befehlen gehorchen mussten. Die augenfällige Flexibilität der Männer ausserhalb der Familie lässt sich deshalb auch nicht als eine verselbständigte Sphäre beschreiben. Die leidenschaftliche Zuständigkeit der Männer für die ausserfamiliäre Arbeit wird vom Wunsch getragen, die Familie auf hohem Niveau zu erhalten.

Anders gesagt: Arbeit ist für Männer kein Selbstzweck, sondern sinnvolles Handeln, eingebettet in die Vereinbarung, Ehefrau und Kinder gut zu versorgen und die Familie als Raum der Erholung sich selber zu sichern. Optimistische Zeichen dafür sind die Überstunden anlässlich der Geburt eines Kindes wie beruflicher Weiterbildung, die auf lebenslange Berufstätigkeit angelegt ist. Ein pessimistisches Zeichen ist hingegen die Scheidung, die vielen und besonders bildungsfernen Männern ihren Lebenssinn raubt. Die Forschung zeigt allerdings, dass unter hochgebildeten jungen Männern Arbeit und Familienorientierung sich zu entkoppeln beginnen. Arbeit wird zum Selbstzweck. Deshalb heiraten sie auch immer seltener.

Die Ambivalenz der Frauen

In sichtbarem Gegensatz zur Flexibilität von Männern ausserhalb der Familie regt sich passiver Widerstand unter Männern, wenn mehr Arbeit von ihnen im Hause erwartet wird. Das monieren vor allem die beruflich flexiblen Frauen. Allerdings ist die Flexibilität, die Frauen von ihren Partnern erwarten, von einem augenfälligen Widerspruch geprägt. Frauen sind nämlich nicht so ohne weiteres bereit, ihre Ambivalenz einzugestehen, dass sie den Mann zu Hause durchaus wünschen, dass sie aber erwarten, dass er ihre alles beherrschende Mütterlichkeit nicht durch eigenmächtiges Gestalten über den Haufen wirft. Wer über den Widerstand der Männer gegen Hausarbeit und Kinderpflege reden will, der kommt nicht umhin, dieses zu thematisieren. Zumal es ein bedeutsames Hindernis für wechselseitige Flexibilität darstellt.

An der Aussengrenze des Mütterlichen


Welche anderen Alltagserfahrungen könnten es sein, die uns verstehen lassen, warum Männer angesichts flexibilisierter Weiblichkeit die Hausarbeit meiden? Wenn wir uns ansehen, woran Flexibilität der Männer gemessen wird, dann fällt Folgendes auf. Seit gut dreissig Jahren wird in Deutschland von einer Frauenzeitschrift die Familienarbeit von Ehemännern erforscht. Dabei geht es beständig um die Häufigkeit des «Windelnwechselns» und des «Müllentsorgens» durch Väter. Daran sei Flexibilität zuvörderst zu bemessen. Zeugen diese Fragen aber nicht ebenso von grosser Ambivalenz gegenüber der väterlichen Präsenz im Familienalltag? Frauen lassen den Mann den «Dreck» wegmachen und rücken ihn symbolisch an die «Ausscheidungen» des Familienlebens heran. Solange der Mann «Brot verdient und Müll entsorgt», so lange ändert sich aber an der klassischen Rollenteilung nichts. Er darf nur bis zu den Aussengrenzen des Mütterlichen herantreten. Die eigenständige Gestaltung der Familie bleibt ihm versagt.

Das wird männliche Flexibilität für häusliche Tätigkeiten weder lichterloh entflammen lassen, noch den Unmut beseitigen, dass die Ehefrau ihr bereits Grenzen setzt, bevor eigenständige Väterlichkeit überhaupt praktiziert wird. Das steht nicht nur der väterlichen Bindungsgestaltung gegenüber seinen Kindern im Wege. Es verhindert ebenso die Flexibilität, die die Ehefrau von ihm erhofft, um ihr eigenes berufliches Leben freier zu gestalten. Die Schlüsse, die Männer daraus ziehen, sind folgenreich. Sie entwickeln nämlich Zweifel, ob die Partnerin ihre Berufstätigkeit wirklich ernsthaft verfolgt. Oder wird doch alles an ihm hängen bleiben, wenn die Härte des Berufs und der Arbeitslosigkeit sie einmal trifft? So ergänzen sich seine Befürchtungen über ihre Ernsthaftigkeit mit ihrer halbherzigen Zulassung bei der Familiengestaltung zu einem Zustand, der Flexibilität erschwert und allenfalls zu gegenseitigen Vorwürfen führt.

Zusätzlich zu dieser Erfahrung in der Partnerschaft werden Männer Zeugen einer widersprüchlichen Rhetorik im Alltag und in den Medien. Zwar sehen sie, dass entschlossene Frauen mit guter Bildung extrem erfolgreich sind und ihr Leben recht frei gestalten können. Absurderweise werden sie trotz ihrem Erstarken ständig als Opfer beschrieben und Männer als schuldig dafür erklärt. Ohne Ansehen von Herkunft, Bildung und Einkommen werden Männer pauschal damit in die Position von Allmächtigen gerückt. Dem entspricht eine unterschwellige Idealisierung von Männern als die ewig Starken mit den breiteren Schultern. Und das trotz der negativen Zuschreibung als Täter.

Im Gegensatz dazu war es doch gerade die moderne Frauenbewegung, die Selbstbefähigung von Frauen gefordert und erfolgreich praktiziert hatte. Widersprüchliche Interessen zwischen Männern und Frauen sollten als Konflikte ausgetragen werden. Das entsprach dem Selbstverständnis dieser sozialen Bewegung. Mit dem Zerfall der 68er Bewegung hat das allerdings ein jähes Ende gefunden. Was übrig blieb, waren feministische Zirkel. Anstelle von Selbstbefähigung machte sich eine Welten-Teilung in Opfer und Täter, eben Machtvolle und Machtlose, breit. Eine elitäre Ideologie enteignete Männer wie Frauen ihrer Individualität. Paradoxerweise in einer Epoche, in der jeder seinen Lebensstil selber gestalten sollte. Diesem Verlust von Individualität entsprach die Aufrüstung des Staates zum alles umfassenden Versorger und Kontrolleur.

So wurde die Welt im mittelalterlichen Sinne in die Mächte des Bösen und des Guten getrennt. Im Feminismus führte das letztlich zu einer abermaligen Wesensbestimmung der Geschlechter nach dem anatomischen Geschlecht. Eben das, was die Frauenbewegung überwinden wollte, stellte sich abermals ein. Letztlich leitete das zur traditionellen Essenzialisierung nach der Genitalanatomie über. Männer sind böse, weil sie einen Penis haben. Frauen sind gut, weil sie keinen haben. Die Flexibilisierung in den gegenseitigen Wahrnehmungen war zumindest in den meisten Feminismusvarianten damit zusammengebrochen. Und weil die genderfeministische Ideologie Männer als die Schuldigen der Weltgeschichte sieht, sollte ihnen auch die Väterlichkeit genommen werden.

Das Schweigen der Männer


Auf diese schwerwiegenden Kränkungen haben fast alle Männer mit Schweigen reagiert. Der Terror der politischen Correctness an nicht wenigen deutschen Universitäten und in politischen Parteien hat die Empörung erschwert. Die männliche Flexibilität setzt offenbar aus, wenn ihr Selbstwertgefühl massiv verletzt wird. Sie erstarren vor lauter Schrecken. Womit lässt sich das erklären? Sicher spielt das eiserne Korsett, ein «zuverlässiges Brotverdienersyndrom» sein zu müssen, gerade in den Unterschichten eine ungebrochene Rolle. Jedes Unbehagen der Frauen wird als Kritik erlebt, als Schuld und Versagen. Und darüber schweigen die meisten Männer beschämt.

Jenseits davon hat Aktuelles im öffentlichen Raum männliche Flexibilität erstarren lassen. So wird seit dreissig Jahren ein öffentlicher Diskurs geführt, der Männer für die Bedürfnisse von Frauen sensibilisieren will. Einen ähnlichen Bedarf für Männer scheint es nicht zu geben. Dieser Diskurs ist für Männer noch immer mit der Zuweisung von Schuld für alle Probleme der Menschheit verbunden. Das reichte von der beschädigten Umwelt über die Gottlosigkeit, den Antisemitismus bis zum Holocaust. Frauen hingegen wurden von jeglicher Verantwortung für gesellschaftliche Entwicklungen, selbst für die kindliche Erziehung freigestellt. So wurde die Zuweisung von Schuld an die Adresse der Männer zu einer Voraussetzung für die weibliche Unschuld. Diese Schuldzuweisung wird in Deutschland seit drei Jahrzehnten mit Unterstützung von Ministerien, Frauen- und Genderforschung wie Kirchen praktiziert. Diese charakterisieren die Männer, ohne diese selber zu befragen. Wenn von Männern Flexibilität erwartet wird, sie aber zeitgleich mit Schuldzuweisungen überflutet werden, dann befinden sie sich in einer verzwickten Lage, die Flexibilisierung lähmt.

Dass Frauen sich in dieser oder jener Form als Feministin beschreiben, ist weniger ein Problem als das Gebräu feministischer Ideologien, das die Dämonisierung von Männern verfestigen konnte. Indem Männer dazu schwiegen, haben sie möglich gemacht, dass die genderfeministische Ideologie eine mächtige Phalanx von Behörden, Frauenhäusern, Forschungsinstituten, Fachzeitschriften und Frauenförderung aus dem Boden stampfen konnte. Viele Institutionen ausserhalb politischer, fiskalischer und wissenschaftlicher Kontrolle verbreiten die Ideologie von der schwachen Frau.

So hat der Genderfeminismus Frauen letztlich kollektiv zu Wesen ohne Willen und Durchsetzungskraft erniedrigt. Das ähnelt dem Diktum, das Paul Justus Möbius mit dem «physiologischen Schwachsinn des Weibes» 1900 in die Welt setzte, um Frauen aus der Berufswelt fernzuhalten. Ähnliches soll heute gelten: Frauen schaffen es alleine nicht. Sie brauchen einen Retter. Damals sollte die Rettung der heimische Herd sein, heute ist es ein nach Massgabe feministischer Vorgaben umgestalteter Staat. Weil Frauen Opfer seien, kann Erfolg nur durch Bevorzugung entstehen. So werden Befreiung und Wettbewerb zur Unmöglichkeit.

Die Verteufelung der Männer zu Tätern hat dazu geführt, dass sie diskriminiert werden. Dazu gehört, dass Knaben in Schule und Freizeit beigebracht wird, dass das Männliche nicht erstrebenswert sei und dem Weiblichen als dem Überlegenen weichen müsse. Obendrein entfremdet feministische Scheidungsförderung Väter von den Kindern. Das trifft vor allem unverheiratete Väter. Und die damit einhergehende Verherrlichung des Alleinerziehens garantiert, dass Mütter selbstherrlich über Kinder verfügen können. Zugleich begünstigt die staatlich alimentierte Ideologie des Alleinerziehens Frauen beim Ausagieren von Rachegefühlen und Enttäuschungen.

Unausgetragene Konflikte

Für die Flexibilitätsbereitschaft unter Männern hat das ungeahnte Folgen. Denn solange Frauen als Opfer vorgeführt werden, sollen sie diese in der Kavalierstradition weiterhin als Hilfsbedürftige wahrnehmen. Männer sehen dann die weibliche Berufstätigkeit mehr als Ausflug in die ausserfamiliäre Welt, die das Einkommen des Brotverdieners aufbessert, der aber keine entschlossene Perspektive innewohnt. Männer sehen sich dann in ihrer lebenslangen Vollzeitorientierung ausser Haus bestätigt. Die Frauen wiederum sehen sich, wie Umfragen zeigen, letztlich doch im Haus verankert.

Darüber hinaus hat feministische Politik den demokratischen Prozess geschwächt. Denn was als Konflikt ausgetragen werden müsste, endet in der Zuschreibung von Wesensmerkmalen. Einmal Täter, immer Täter – eben ein Mann! Männer wie Frauen stehen sich dann nur noch im Wege, Flexibilisierung wird schier unmöglich. Da der Feminismus keine Konfliktlösung anstrebt, soll der Staat zugunsten der Frauen tief in die Privatsphäre und das Geschlechterarrangement eingreifen.

Solange diese Opferbesessenheit die Interessen von Frauen einer Ideologie unterordnet, bleibt nur der Ruf nach dem starken Staat. An der Erstarrung der Männer wird sich deshalb nichts ändern. Denn für die männliche Gefühlswelt sind unzufriedene Frauen ein Hinweis auf verfehlte Pflichten. Sie folgern daraus, dass sie sich noch mehr Mühe als bisher geben müssen. Denn das kann ihre Schuldgefühle beschwichtigen. Aber vielleicht schweigen die Männer zu alledem, weil sie auch die Angst ahnen, die sich unter Frauen angesichts ihrer neu gewonnenen Freiheiten ausgebreitet hat. Und diese Freiheiten dürften vielen Männern ebenso grosse Angst bereiten. Flexibilisierung ist offenbar ein voraussetzungsreiches Projekt.


Gerhard Amendt ist Professor für Soziologie an der Universität Bremen und Gründer des dortigen Instituts für Geschlechter- und Generationenforschung. – Beim abgedruckten Text handelt es sich um die leicht gekürzte Fassung des Vortrags, den er am vergangenen Donnerstag am NZZ-Podium «Der flexible Mann» gehalten hat.

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