Montag, Oktober 18, 2010

Selbstlos helfen aus Mitgefühl

Neue Zürcher Zeitung
13. Oktober 2010
Selbstlos helfen aus Mitgefühl
Die Hirnaktivierung verrät Unterschiede in der Hilfsbereitschaft

Menschen sind manchmal erstaunlich gleichgültig gegenüber dem Leid anderer, oder sie zeigen sogar Schadenfreude. Aber sie verbringen auch Heldentaten und helfen anderen in Not, selbst wenn sie sich dabei gefährden. Aus der Sozialpsychologie ist bekannt, dass die Hilfsbereitschaft von sozialen Faktoren, wie etwa der Gruppenzugehörigkeit, beeinflusst wird. Nun haben Forscher der Universität Zürich untersucht, was im Gehirn abläuft, wenn Personen Mitglieder der eigenen und einer fremden Gruppe leiden sehen, und wie dies altruistisches Helfen beeinflusst.¹

Sie massen dazu im Labor die Hirnaktivität von Fussballfans, die dabei zuschauten, wie ein Fan des eigenen oder einer des rivalisierenden Teams einen schmerzhaften Stromschlag erhielt. Es stellte sich heraus, dass die Aktivität in einem bestimmten Hirnareal, genannt vordere Inselrinde, grösser war, wenn sie einen Fan des eigenen Teams leiden sahen. Dieses Areal steht...
mit dem Empfinden von Empathie bei Schmerzen in Verbindung. Im Gegensatz dazu wurde häufiger ein Bereich im sogenannten Nucleus accumbens aktiv, wenn die Probanden einen Fan des rivalisierenden Teams leiden sahen; das Signal war umso stärker, je negativer sie diesen beurteilten. Dieses Areal spielt im Belohnungssystem des Gehirns eine Rolle, und eine Aktivierung steht womöglich im Verbindung mit dem Gefühl von Schadenfreude.

Die Probanden erhielten später die Möglichkeit, dem anderen zu helfen. Dafür war aber ein Opfer nötig, sie nahmen nämlich die Hälfte des Stromschlags auf sich. Dies sei wirklich ein altruistischer Akt, sagt Grit Hein, die Erstautorin der Studie. Denn die Probanden mussten echte Schmerzen in Kauf nehmen. Alternativ dazu konnten sie sich ablenken und ein Video eines Fussballspiels schauen oder aber einfach zusehen, wie der andere litt. Die Forscher stellten fest, dass die Stärken der Aktivierung in den beiden Hirnregionen gute Kriterien waren, um die spätere Hilfsbereitschaft der Probanden vorherzusagen. Je stärker die Inselrinde aktiv war, desto öfter halfen die Personen einer anderen, und je stärker der Nucleus accumbens aktiv war, desto kleiner war die Wahrscheinlichkeit, dass sie einem Fan des rivalisierenden Teams halfen.

Die Hirnaktivität sei sogar eine bessere Vorhersage für das Verhalten gegenüber einem Fremden als Angaben auf Fragebögen, die das empathische Empfinden und die Beurteilung des anderen erfassten, sagt Hein. Anscheinend gibt die Hirnaktivität eher das ungefilterte Empfinden wieder als Fragebögen, bei denen Wertvorstellungen und Erwartungshaltungen einfliessen.

¹ Neuron 68, 149–160 (2010).

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