Kultur
«Das sind Heuchler, Egoisten und Nostalgiker»
Von Philippe Zweifel.
Harmlose Ewiggestrige oder Gefahr für die Zukunft? Windenergie-Gegner in Deutschland.

Gerhard Matzig, geboren 1963, hat Politische Wissenschaften und Architektur in Passau und München studiert. Nach einer Tätigkeit als freier Autor wurde er 1997 Redakteur im Feuilleton der «Süddeutschen Zeitung», seit 2009 leitet er das Ressort «SZ Wochenende». Für seine journalistische Tätigkeit in den Bereichen Architektur und Design wurde er mit renommierten Preisen ausgezeichnet. Gerhard Matzig ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt am Rand von München. (Bild: Goldmann Verlag/Peter von Felbert)
Bedenken haben derzeit Konjunktur, «Wutbürger» wurde in Deutschland zum «Wort des Jahres». Die Zukunftslust ist uns offenbar vergangen. Fortschritt ist mittlerweile ein Wort, das Allergien auslöst, Technik ein Feindbild - so lautet die Diagnose von Gerhard Matzig. In seinem Buch «Einfach nur dagegen» untersucht er auf unterhaltsame Art, wie dieser Wille zum Stillstand entstand und warum Utopien heute in solch schlechtem Ruf stehen. Matzig zeigt, wie der grassierende Egoismus unseren Kindern die Zukunft verbaut, und entwirft Szenarien einer neuen Moderne in Politik, Wirtschaft und Technik. Gerhard Matzig: Einfach nur dagegen. Wie wir unseren Kindern die Zukunft verbauen. Goldmann Verlag. ISBN: 978-3-442-31273-3. Das Buch erscheint am 12. Oktober.
Den Teufel an die Wand zu malen: Das überlasse ich gerne den amtierenden Wutbürgern. Insofern ist die Lage zwar ernst, aber nicht hoffnungslos. Richtig ist aber, dass gerade in Deutschland eine tendenziell überalterte Gesellschaftsschicht dominiert, der die Belange der nachfolgenden Generationen im Grunde egal sind.
Ihrer Meinung nach liegt das Problem in einer Angst vor der Zukunft, die sich in einem Wutbürgertum ausdrückt. Wer sind die Wutbürger? Ist der «klassische» Wutbürger soziodemografisch kategorisierbar? Ist er politisch kategorisierbar?
Interessant ist hier die Studie des Göttinger Politikwissenschaftlers Franz Walter, die kürzlich vorgestellt wurde. Demnach rekrutiert sich das Wutbürgertum vor allem aus älteren, akademisch gebildeten und wohlhabenden Menschen, die aber keineswegs uneigennützig sind. Vielmehr haben sie egoistische Motive. Sie sind mehrheitlich Grundstückseigentümer, die um den Wert ihrer Immobilien fürchten. Es ist also logisch, dass sie sowohl gegen infrastrukturelle, langfristige Vorhaben wie Bahnhöfe wettern – aber auch gegen Windkraftanlagen vor der eigenen Tür.
Sehnen sich solche Menschen nicht einfach nach den guten alten Zeiten?
Ja, sie flüchten vor den Herausforderungen einer schwierigen Gegenwart und ungewissen Zukunft in die neobiedermeierliche Vorstellung einer vermeintlich besseren Vergangenheit. Das nimmt bisweilen sogar reaktionäre Züge an. Einerseits also dürfte der Wutbürger ein Relikt der links sozialisierten, grün angehauchten 68er-Bewegung darstellen, erfahren in der Protestkultur; andererseits trifft man ihn auch in rechten Zirkeln an. Letztlich sind sie vor allem eines: gefährlich. Mit den Worten Bernard Shaws: «Alte Männer sind gefährlich, denn ihnen ist die Zukunft egal.»
Wenn der Wutbürger politisch nicht klar definierbar ist – wie steht es eigentlich mit dem Begriff «Innovation»: Ist das ein rechter oder linker Begriff?
Weder noch. Früher, in fortschrittsfreundlicheren Zeiten, war der Begriff positiv besetzt, das Neue war oft ein Versprechen auf eine bessere Welt, links wie rechts – heute wird die Innovation oft als Neuerungssucht geschmäht. Dagegen hat das Alte Konjunktur. Denken Sie an die Rückkehr zum Griechisch-Unterricht, an die Renaissance von Benimmkursen – bis hin zu den Retrowellen in der Automobil- oder Mode-Branche. Womit wir wieder bei der wohlhabenden