In seiner Rede zur Lage der Nation hat US-Präsident Bush erstmals die globale Klimaerwärmung ernst genommen. Diese ist für viele Amerikaner längst ein dringliches Problem.
28. Januar 2007, NZZ am Sonntag
Bushs Klima-Dilemma
Tribut an das zunehmende Umweltbewusstsein im Volk
In seiner Rede zur Lage der Nation hat US-Präsident Bush erstmals die globale Klimaerwärmung ernst genommen. Diese ist für viele Amerikaner längst ein dringliches Problem.
Ronald D. Gerste, Washington
In den ersten Januartagen wehte des Abends ein ungewöhnlicher Duft durch manche Vororte Washingtons. Es war der appetitanregende Geruch frisch grillierter Würstchen und saftiger Steaks. Der vermeintliche Winter war so mild, dass nicht wenige Bewohner der Hauptstadt-Region Freunde und Nachbarn zum Barbecue einluden und dabei eine denkwürdige Frage diskutierten: Würde die Kirschblüte, eine der grossen Natur- und Touristenattraktionen Washingtons nahe dem Jefferson Memorial, in diesem Jahr nicht wie gewohnt Anfang April, sondern vielleicht Mitte Januar beginnen?
Wie in der Hauptstadt war das Wetter in weiten Teilen des Landes zeitweise das Gesprächsthema Nummer eins gewesen, bevor in den letzten Tagen mit dem Vordringen einer Kaltfront scheinbare klimatische Normalität zurückkehrte. Noch vor dem ungewöhnlich warmen Winter hatte eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Zogby festgestellt, 74 Prozent der Amerikaner seien stärker als noch vor zwei Jahren davon überzeugt, dass es eine globale Klimaerwärmung gibt. Mehr als zwei Drittel der Befragten äusserten die Überzeugung, dass der Klimawandel schwere Hurrikane wie «Katrina» zumindest mitverursacht.
Dem geschärften Bewusstsein seiner Landsleute trug Präsident George Bush am Dienstag Rechnung, als er in der Rede zur Lage der Nation die Erwähnung neuer Technologien, die Amerikas Abhängigkeit vom Erdöl mindern sollen, mit den Worten schloss: «Sie werden uns gegenüber der ernsten Herausforderung des globalen Klimawandels helfen.» Bush hatte zwar schon früher verschiedentlich von diesem Problem gesprochen, nie jedoch bei so prominenter Gelegenheit und ohne die Dringlichkeit durch Hinweise auf vermeintliche wissenschaftliche Unsicherheiten zu relativieren. Bushs Plan sieht eine Reduzierung des Benzinverbrauchs um 20 Prozent über die nächsten 10 Jahre vor, die durch das Umsteigen auf Ethanol und andere alternative Energieträger erreicht werden soll. Der Effekt auf die Gesamtmenge der Emissionen entspräche nach den Berechnungen des Weissen Hauses der Stilllegung von 26 Millionen Autos und Lastwagen.
Kritiker weisen allerdings darauf hin, dass die 20-Prozent-Senkung sich auf den für das Jahr 2017 vorausgesagten Schadstoffausstoss bezieht und nicht vom heutigen Wert ausgeht. Die Administration bleibt nach wie vor unter den Vorgaben des von ihr abgelehnten Kyoto-Protokolls, das eine Senkung des Ausstosses bis 2012 um 5 Prozent unter das Niveau von 1990 vorsieht. Auch sind bei der Konzentration auf den Strassenverkehr keine verbindlichen Richtlinien für die Industrie zu erkennen. Das Weisse Haus setzt grosse Hoffnungen in neue Technologien. Für deren Entwicklung und für Klimaforschung insgesamt hat es nach Angaben eines Sprechers 29 Milliarden Dollar vorgesehen. Präsident Bush wies diese Woche die Regierungsbehörden an, künftig Autos mit Hybridantrieb als Dienstwagen zu benutzen.
Gliedstaaten warten nicht
Die Administration in Washington ist indes nicht die einzige treibende Kraft beim Klimaschutz. Kalifornien hat auf Initiative von Gouverneur Arnold Schwarzenegger eine Vorreiterrolle eingenommen, der andere Gliedstaaten folgen wollen. Seit dem 1. Januar gilt dort das «Clean Air»-Programm, mit dem der Schadstoffausstoss auf den Stand von 1990 gesenkt werden soll. Hier wie auch in anderen Teilen der USA ist der rapide Bevölkerungszuwachs und mit ihm die Zunahme der Verkehrsdichte ein Hindernis auf dem Weg zu diesem Ziel.
Im Kongress zirkulieren inzwischen mehrere Gesetzesvorschläge. Ein von Senatoren beider Parteien unterstützter Entwurf des Senators Jeff Bingaman zielt auf eine jährliche Verringerung der Emissionen um 2,6 Prozent. Der unabhängige Senator Bernie Sanders aus Vermont fordert in seinem Entwurf eine Treibhausgas-Senkung um 80 Prozent bis 2050.
Forschung vernachlässigt
Geringerer Aufmerksamkeit durch die Politiker erfreut sich hingegen die wissenschaftliche Erforschung des Klimawandels. Die Mittel der Weltraumbehörde Nasa für Geowissenschaften sind seit dem Jahr 2000 um 30 Prozent geschrumpft. Die National Oceanic and Atmospheric Administration hat das Budget ihres Satellitenprogramms weit überzogen. Von hier kommt auch eine Warnung davor, sich zu grosse Hoffnungen zu machen. Selbst wenn alle Länder ihre selbstauferlegten Verpflichtungen erfüllten, so erklärte Tom Wigley, der wissenschaftliche Leiter des U.S. Center for Atmospheric Research, würde die Durchschnittstemperatur auf unserem Planeten im Jahr 2050 nur um 0,07 Grad unter jener des Jahres 2006 liegen. Damals erlebten die USA den wärmsten Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen.
Das Bewusstsein von der Bedrohung greift auch bei Präsident Bushs Anhängern um sich. In der Zogby-Umfrage erklärten 56 Prozent der befragten Republikaner, von der Tatsache der globalen Erwärmung überzeugt zu sein - gegenüber 87 Prozent unter erklärten Demokraten. Aus deren Lager kommt ein Mahner, der immer mehr Gehör findet und jetzt vor einer Ehrung steht, die dem Problem weitere Aufmerksamkeit sichern würde: Ex-Vizepräsident Al Gores Dokumentarfilm «Eine unbequeme Wahrheit» über eine drohende Klimakatastrophe wurde diese Woche für zwei Oscars nominiert.
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