Mittwoch, Januar 03, 2007

NZZ: Keine Gnade für den Irak

Guter Kommentar zur Hinrichtung Saddam Husseins. Hervorzuheben ist vor allem der Satz zum Urteil als Akt der Rache. Wobei man - auch in der NZZ - gerne mehr über die Verwicklung der westlichen Welt in die 30 jährige Herrschaft Saddams lesen würde. Die schnelle Hinrichtung und die Verurteilung wegen der Ermordung der Einwohner eines Dorfes dürfte in manchen Hauptstädten mit Erleichterung aufgenommen worden sein.
Washingtons Erleichterung deshalb: 4min Thank you-video

3. Januar 2007, Neue Zürcher Zeitung
Keine Gnade für den Irak

Wenige Tage nach der Bestätigung des Todesurteils durch das Berufungsgericht ist Saddam Hussein im Morgengrauen des 30. Dezembers hingerichtet worden. Kein Unschuldiger wurde gehenkt; der Tod des Tyrannen sühnt zahllose Verbrechen, die auf seinen Befehl verübt wurden und die sein Land zugrunde gerichtet haben. Aber die Eile, mit der Saddam zum Galgen geführt wurde, hat viele überrascht. Weder wurde auf das nahende Opferfest Rücksicht genommen, den höchsten Feiertag im muslimischen Kalender, noch wurde das Urteil in einem zweiten Prozess abgewartet, in dem sich Saddam für die blutige Repression des Kurdenaufstandes in den achtziger Jahren verantworten musste. Die Regierung in Bagdad wollte den Irakern, die unter der Schreckensherrschaft Saddams gelitten hatten und heute von Gewalt und Anarchie heimgesucht werden, für einmal eine gute Nachricht bescheren. Die Eile ist aber auch ein Hinweis darauf, dass die heutigen Machthaber in Bagdad den politischen Faktor Saddam so schnell wie möglich loswerden wollten.

Mehr als ein Akt der Gerechtigkeit ist Saddams Tod denn auch ein Akt der Rache. Das Urteil, das am Samstag vollstreckt wurde, war für die Ermordung von 148 Einwohnern eines einzigen Dorfes gesprochen worden. Die Tötung von Zehntausenden von Kurden und Schiiten in militärischen Kampagnen im Norden und Süden sowie von Tausenden von Oppositionellen in den Folterkammern und den Hinrichtungsstätten im ganzen Land hat keine Richter gefunden. Wer ist verantwortlich dafür, dass Saddam sein Herrschaftssystem errichten konnte und während 30 Jahren den Irak in seinem Griff behalten konnte? Nicht nur in Bagdad, sondern auch in einigen arabischen und westlichen Hauptstädten sind solche Fragen wohl nicht erwünscht. Dass Saddam selber darauf keine Antworten mehr geben kann, kommt vielen gelegen. Aber die Iraker haben eine Gelegenheit vertan, die Geschichte der letzten 30 Jahre aufzuarbeiten und damit eine Grundlage zu nationaler Aussöhnung zu legen.

Der kurze Wortwechsel zwischen Saddam auf dem Schafott und einigen Zuschauern, der in den inoffiziellen Bildern von der Hinrichtung zu hören war, hat denn auch das Misstrauen und den Hass illustriert, die den Irak und immer mehr auch den ganzen Mittleren Osten zerreissen. Die Sunniten fühlen sich von den Machtansprüchen der Schiiten, der «Perser», wie Saddam sagte, bedroht. Die Schiiten, im Irak wie auch in Libanon, sehen im Gegenteil die Zeit gekommen, sich von der jahrhundertealten Unterdrückung durch die Sunniten zu befreien.

Saddams Hinrichtung ändert die politische Lage kaum. Sie verstärkt höchstens die Gegensätze und erschwert damit die Suche nach einer Lösung. Es ist wohl möglich, dass Ministerpräsident Maliki Saddams Verschwinden von der Bühne zum Anlass eines neuen Versuchs nimmt, die Sunniten in den politischen Prozess einzubinden. Angesichts der angestachelten Ressentiments zwischen den verfeindeten Lagern dürfte er damit wenig Chancen haben. Jene, die in Saddam einen Märtyrer sehen, werden kaum bereit sein, mit jenen einen Pakt einzugehen, die ihn an den Galgen gebracht haben.

So bleibt denn nach dem Tod durch Erhängen eines blutigen Diktators wenig Grund zur Befriedigung. Die USA haben Saddam von der Macht verjagt, seinen repressiven Apparat zerstört und ihn dem Henker übergeben. Sie - und die Exilpolitiker, die im Gefolge der Amerikaner in den Irak zurückgekehrt sind - haben sich jedoch als unfähig erwiesen, eine neue, friedliche und demokratische Ordnung aufzubauen, die den Irakern versprochen worden war. Anarchie und Gewalt, Saddams letztes, noch unbewältigtes Vermächtnis, sind nicht besiegt und der Weg zu einer neuen Ordnung im Irak noch nicht gefunden.

jbi.

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