Samstag, Januar 20, 2007

SAir-Verwaltungsräte: Schweigen als Job

Am Swissair-Prozess sagten die angeklagten Verwaltungsräte: nichts. Damals, in den Sitzungen sagten sie dasselbe: nichts.

Wirtschaft
Tages-Anzeiger vom 18.01.2007
SAir-Verwaltungsräte: Schweigen als Job

Am Swissair-Prozess sagten die angeklagten Verwaltungsräte: nichts. Damals, in den Sitzungen sagten sie dasselbe: nichts.

Von Constantin Seibt, Bülach

Der Swissair-Prozess ist gerade zwei Tage alt. Und wird schon zum Ritual. Der Richter fragt. Der Angeklagte schweigt.

Der Angeklagte Andres Leuenberger, von 1995 bis 2002 Swissair-Verwaltungsrat, hatte sichtlich Mühe damit: Er blies die Backen auf und kniff den Mund zusammen. Er verschränkte die Arme und senkte den Blick. Zweimal, als der Richter aus Untersuchungsberichten zitierte, knurrte Leuenberger: «Das ist ein Parteigutachten!» Dann schwieg er wieder.

Es war ein weiterer stummer Tiefpunkt in Leuenbergers hart erarbeiteter Karriere als gefallener Topmanager. Als Bub schuftete er nach der Schule in der elterlichen Metzgerei, als Mann machte er Karriere bei Roche – erst als Chef in Japan, dann wieder als Sanierer. Diesen Job übernahm er für den frisch eingesetzten Boss Fritz Gerber. Dieser brauchte in einem feindlichen Konzern einen Vertrauten: Der junge Leuenberger flog um die Welt und entliess faule oder renitente Manager. 1983 sass er im Verwaltungsrat.

1994 wählte man Leuenberger zum Präsidenten des Wirtschaftsdachverbands Vorort. Er war nun der mächtigste Wirtschaftslobbyist der Schweiz, «der achte Bundesrat». Leuenberger plädierte gegen «luxuriöse Arbeitslosengelder», erklärte den Bundesrat für «unfähig» und forderte für die Schweiz eine «liberale Schocktherapie». Es hagelte Verwaltungsratsmandate: 1995 Swissair, 1998 Präsident der Rentenanstalt. 2001 gehörten Leuenberger 15 Sitze.

Vitaminkartell brachte Wende
Dann wendete sich das Glück: 1999 ertappte die EU Roche als Drahtzieher bei systematischen Preisabsprachen bei Vitaminprodukten. Roche zahle 4,4 Milliarden Franken Busse. Der Chef der Vitaminsparte hiess Leuenberger. 2001 crashte die Swissair. Kurz darauf musste die von Leuenberger vorangetriebene Expansionsstrategie bei der Rentenanstalt wegen Milliardenverlusten abgebrochen werden, kurze Zeit später wurde das gesamte Topmanagement der Firma bei Börsenspekulationen erwischt. Leuenberger musste gehen. Bei seinem Abgang rechnete ein Wirtschaftsjournalist seine Bilanz aus: Leuenberger, der ein Leben lang hart gearbeitet hatte, hatte 20 Milliarden Franken Schäden mitzuverantworten.

Der Nachmittagsangeklagte sagte noch weniger. Paul-Antoine Hoefliger ist ein Meister des Schweigens. Er sass 24 Jahre im Verwaltungsrat der Swissair – sein letztes öffentliches Interview zur Fluglinie stammt von 1996. Hoefliger wurde seinem Ruf gerecht. Sogar die Erklärung, warum er schwieg, las sein Anwalt vor. Dieser begründete Hoefligers Schweigen mit Millionenklagen bei den Zivilprozessen. Deshalb sei es für seinen Mandanten klüger zu schweigen.

Nur – was hätten Leuenberger und Hoefliger zu den über 100 Detailfragen der Richter sagen sollen? Wussten Sie überhaupt Bescheid?

Schweigen seit 10 Jahren
Was bis jetzt aus den Verwaltungsratssitzungen bekannt wurde, zeigt: Ihr Schweigen ist nicht neu. Wie heute im Prozess schwiegen sie auch damals in den Sitzungen. Die Chronik:

* 1996 äussert der Verwaltungsrat erstmals Besorgnis über die Finanzlage der Swissair. Die Sabena-Beteiligung sei «risikoreich». Die Finanzkommission warnt: Vorsicht bei Beteiligungen!

* Im Januar 1998 beschliesst derselbe Verwaltungsrat eine hochriskante Expansionsstrategie. Diese wird in einer einzigen Sitzung beschlossen: nach einer Folienpräsentation des Konzernchefs Philippe Bruggisser. Konkrete Angaben über Risiken fehlen.

* Kurz darauf kauft Bruggisser in horrendem Tempo Aktienanteile von Fluggesellschaften. Und zwar nicht wie geplant 10 bis 20 Prozent, sondern knapp 50 Prozent. Der Verwaltungsrat stellt kaum Fragen. Und merkt nicht, dass sämtliche Verträge eine Klausel enthalten, die die Swissair zur vollen Übernahme aller Defizite zwingen. Und einen Ausstieg unmöglich machen. Bruggissers Präsentationen sind oft nur mündlich, fast ohne Zahlen. Auf Buchprüfung der Kaufobjekte wird verzichtet. So kauft der Verwaltungsrat praktisch blind im Oktober 1998 eine fast bankrotte Firma: das Milliardengrab LTU.

* 1999 wies der Verwaltungsrat Bruggisser an, die Finanzierung der Hunter-Strategie genauer zu erklären. Gleichzeitig kauft er die Air Littoral. Der Beschluss dazu – immerhin ein 250-Millionen-Deal – dauerte nur 10 Minuten – Bruggissers Präsentation inklusive.

* Im April 2000 gibt der Verwaltungsrat in einer 4-Stunden-Sitzung grünes Licht für Investitionen und Kostenrisiken von 1,836 Milliarden Franken.

* Im Oktober entdeckt McKinsey eine Finanzierungslücke von 3,2 Milliarden. Banker Lukas Mühlemann fordert sofortige Massnahmen. Der Rest des Verwaltungsrats bestellt zwei weitere Studien. Öffentlich verkündet man, dass man dieses Jahr 200 Millionen Gewinn machen werde.

* 2001 entlässt der Verwaltungsrat Bruggisser ohne klare Nachfolgeregelung. Ein riesiges Chaos folgt. Als im März klar wird, dass die Swissair 2,7 Milliarden Verlust macht, kennt der Verwaltungsrat nur eine Massnahme: Flucht. Alle wollen sofort zurücktreten. Nur Mario Corti bleibt. Drei unglückliche Kollegen werden verdonnert, ihn bis Ende Jahr zu begleiten.

Woher stammt diese Inkompetenz? Den wichtigsten Grund nannte Leuenberger selbst: Der primäre Job eines Verwaltungsrates sei nicht das Prüfen en détail, sondern die Wahl eines Konzernchefs mit Charisma und Kompetenz.

Um diesen zu kontrollieren, war er viel zu beschäftigt – mit anderen Mandaten. Der langjährige Swissair-Präsident Hannes Goetz etwa war sechsfacher Verwaltungsrat – unter anderem bei der UBS und der NZZ. Kein Wunder, hatte er keine Chance gegen einen Bruggisser, der 18 Stunden täglich in der Swissair arbeitete.

Statt Durchblick gab es Ehre. Als Goetz 1999 abtrat, feierte ihn NZZ-Chefredaktor Hugo Bütler. Der «liebe Hannes» hinterlasse ein Unternehmen, das die Zukunft «mit Optimismus» angehen könne. 15 Monate später war die Swissair tot.

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