Sonntag, Januar 21, 2007

Mexiko in der Tortilla-Krise

Der Preis für Tortillas, das tägliche Brot der Mexikaner, ist in die Höhe geschossen. In der Bevölkerung wächst der Unmut, die Regierung ist beunruhigt.
...und was dies mit dem Treibstoffverbrauch der Automobile zu tun hat.

21. Januar 2007, NZZ am Sonntag
Mexiko in der Tortilla-Krise
Die arme Bevölkerung kann sich das Grundnahrungsmittel Mais immer weniger leisten

Der Preis für Tortillas, das tägliche Brot der Mexikaner, ist in die Höhe geschossen. In der Bevölkerung wächst der Unmut, die Regierung ist beunruhigt.

Victor Merten

Der neue mexikanische Präsident Felipe Calderón hat keinen guten Start erwischt. Der Preis der Tortilla steigt und steigt und droht dieser Tage völlig ausser Kontrolle zu geraten. In der ärmeren Bevölkerung wächst der Unmut über die Verteuerung ihres Grundnahrungsmittels mit jedem Peso, den sie mehr für die dünnen Maisfladen hinzulegen hat. Nur eineinhalb Monate nach seinem Amtsantritt, den ihm die Wahlverlierer mit allen Mitteln verderben wollten, steht Calderón bereits vor der ersten Bewährungsprobe.

Der Preis für Tortillas schoss letzte Woche dramatisch in die Höhe. In der Hauptstadt kostete das Kilo zwischen 10 und 17 Pesos statt der üblichen 6 bis 7 Pesos (10 Pesos entsprechen etwa 1 Franken 10). Das nachdem der Preis letztes Jahr um 14 bis 20 Prozent gestiegen war, wie die Zentralbank berichtet. Bei einem Durchschnittseinkommen von 200 Pesos im Tag ist dies für viele eine schwere Belastung. Die Hälfte der 107 Millionen Mexikaner lebt in ärmlichen bis elenden Verhältnissen. «4 von 10 Familien sind vom Preisanstieg betroffen; so viele wenden für Tortillas zehn Prozent ihres Einkommens auf», erklärte die Vizeministerin für Industrie und Handel, Rocío Ruiz.

Mexiko befindet sich in einer Tortilla-Krise. Das zum Luxus gewordene tägliche «Vitamin T» ist derzeit beherrschendes Thema. Noch ist es zu keinen grösseren Kundgebungen gekommen. Am Mittwoch versammelten sich in Mexiko-Stadt nur einige Dutzend Unzufriedene zum Protest mit Spruchbändern und Pfannendeckeln vor dem Volkswirtschafts- und dem Landwirtschaftsministerium. Sie kündigten einen grossen Protestmarsch gegen die Regierung am 31. Januar an. Bei anderer Gelegenheit schimpfte der linke Oppositionsführer Andrés Manuel López Obrador den Präsidenten in gewohnt hemdsärmliger Art einen Lügner, der sein Wahlversprechen, die Preise zu senken, nicht einhalte.

Das Konflikt- und Mobilisierungspotenzial einer Preisexplosion könne unvorhersehbare Folgen haben, schreibt der Ökonom und Kolumnist Alejandro Villagómez in der Zeitung «El Universal». Dessen scheint sich die konservative Regierung nur zu gut bewusst zu sein. Präsident Calderón höchstpersönlich stellte am Donnerstag Gegenmassnahmen vor. Unter anderem soll die zollfreie Einfuhr von 750 000 Tonnen Mais dessen Preis stabilisieren. Mit Produzenten und Unternehmern der Branche wurde ein Höchstpreis von 8 Pesos 50 das Kilo vereinbart. Missbräuchliche Preise und Spekulation werden scharf geahndet.

Spekulationsgewinne
Als eine der Ursachen der Tortilla-Krise gilt, dass Spekulanten grosse Maismengen horteten, um das Marktangebot zu verknappen und nach einem Preisanstieg höhere Gewinne zu erzielen. Die Linke fordert daher staatlich festgesetzte Preise für Grundnahrungsmittel wie Mais und Tortillas.

Bis 1999 stützte die Regierung den Tortilla-Preis. Sie gab dies jedoch auf, nachdem sich dank des Freihandelsabkommens Nafta die Maiseinfuhren aus den Vereinigten Staaten verbilligten. Wirtschaftsminister Eduardo Sojo sieht vor allem die zunehmende Herstellung von Treibstoff aus Mais in den USA und damit das sinkende Maisangebot im Nahrungsmittelmarkt als Ursache. Gestützt wird er von Lester R. Brown vom Earth Policy Institute in Connecticut. In einem neuen Bericht warnt Lester vor der Gefahr, dass Mais immer mehr für die Ethanol-Herstellung statt als Nahrungsmittel verwendet wird. Die USA bauen die Zahl der Ethanol-Brennereien seit dem Ölpreis- Anstieg Ende 2005 stark aus, um die Abhängigkeit vom Öl zu mindern. Dies wird laut dem Bericht dazu führen, dass statt des erwarteten Bedarfs von 60 Millionen Tonnen im nächsten Jahr 139 Millionen Mais benötigt werden. Ende 2006 gab es in den USA 116 Brennereien, 11 davon wurden ausgebaut, 79 waren im Bau und 200 in Planung.

Autos gegen Menschen
«Der Wettbewerb zwischen Autos und Menschen um Mais wird den Preis wohl in ungeahnte Höhen treiben», schreibt Brown. Da die US-Ernte weltweit für 40 Prozent der Maisproduktion und 70 Prozent der Exporte sorge, würde ein Rückgang der US-Exporte die Weltwirtschaft erschüttern.

Mexiko kann hoffen, dass die amerikanischen Bauern die Produktion erhöhen. Der viertgrösste Maisproduzent sollte aber auch seine eigene Produktion schleunigst steigern. Dazu müsste das Land laut dem Ökonomen Villagómez allerdings den lange vor ausländischer Konkurrenz geschützten Maisanbau modernisieren. Im Durchschnitt erwirtschaften Mexikos Maisbauern nur 2,8 Tonnen je Hektare, verglichen mit 8,2 Tonnen in den USA. Kurzfristig ist eine Produktivitätssteigerung jedoch nicht zu erreichen.

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