Der kürzlich in Bukarest vorgestellte Bericht einer Expertenkommission über die kommunistische Vergangenheit lässt manche Fragen offen. Ihren Mitgliedern blieb der Zugang zu vielen Archivbeständen verwehrt. Er enthält deshalb nur wenige neue Erkenntnisse.
4. Januar 2007, Neue Zürcher Zeitung
Rumäniens lange Schatten der Vergangenheit
Der neue Expertenbericht zum kommunistischen Regime lässt viele Fragen offen
Der kürzlich in Bukarest vorgestellte Bericht einer Expertenkommission über die kommunistische Vergangenheit lässt manche Fragen offen. Ihren Mitgliedern blieb der Zugang zu vielen Archivbeständen verwehrt. Er enthält deshalb nur wenige neue Erkenntnisse.
Von Daniel Ursprung*
Nur knapp zwei Wochen vor dem EU-Beitritt hat in Rumänien der Schlussbericht einer Expertenkommission, die im Auftrag von Präsident Basescu Licht auf die kommunistische Herrschaft werfen sollte, für einige Aufmerksamkeit gesorgt. Die Kommission war vom Präsidenten im April 2006 ins Leben gerufen worden mit dem deklarierten Ziel, eine solide dokumentierte Grundlage zu schaffen, die eine formelle Verurteilung des Kommunismus ermöglichen würde. Die Ergebnisse waren mit einiger Spannung erwartet worden, war den Experten um den in den USA lehrenden Politologen Vladimir Tismaneanu doch in Aussicht gestellt worden, unbeschränkten Zugang zu sämtlichen relevanten Archivbeständen zu erhalten. Hoffnungen weckte dies, da der Umgang mit dem Aktenmaterial aus der Zeit der kommunistischen Herrschaft bisher äusserst restriktiv gehandhabt worden war, was die Aufarbeitung der jüngeren Geschichte enorm behinderte und viele brennende Fragen unbeantwortet gelassen hatte.
Verschlossene Archive
Leider blieb jedoch auch den Autoren des Expertenberichtes der Zugang zu vielen Archivbeständen aus teilweise fadenscheinigen Gründen verwehrt. Neue Erkenntnisse vermag der immerhin 660 Seiten starke Expertenbericht den bisherigen Forschungen daher kaum hinzuzufügen. Er stützt sich vielmehr im Wesentlichen auf bereits publiziertes Forschungsmaterial, auf Memoirenliteratur und auf Datenmaterial, das von Nichtregierungsorganisationen wie der Bürgerallianz insbesondere in Form von Interviews zusammengetragen wurde. Der Bericht ist damit die detaillierteste und umfassendste Darstellung des rumänischen Kommunismus. In der Sichtung und Aufbereitung der inzwischen doch recht ansehnlichen Literatur zum rumänischen Kommunismus liegt denn auch das Hauptverdienst des Berichtes.
Bei dem relativ kleinen zeitlichen Rahmen, der den Autoren zur Verfügung stand, war es nur in Einzelaspekten möglich, eigenständige Erkenntnisse zu präsentieren. So wird mit Hilfe neuer Archivfunde belegt, dass hohe geistliche Würdenträger wie der 1986 zum Patriarchen aufgestiegene und noch heute amtierende Teoctist ihre Position der engen Zusammenarbeit mit dem Regime verdankten. Viele Fragen bleiben jedoch offen wie diejenige nach der Verantwortung des Ceausescu-Regimes für die mysteriösen Todesfälle in der Leitung der rumänischen Abteilung bei Radio Free Europe. Keinerlei Stellung nimmt der Bericht zudem zur nach wie vor heftig umstrittenen Frage, inwiefern der Sturz Ceausescus im Dezember 1989 inszeniert war. Ebenso unsicher sind die Schätzungen zur Zahl der politisch Verfolgten. Die Autoren schwanken zwischen einer Zahl von 350 000 bis zu maximal 2 Millionen Betroffener für den Zeitraum von 1945 bis 1989.
Verklärung der Widerstandskämpfer
Der fehlende Zugang zu neuen Archivquellen geht zudem mit dem Problem einher, dass teilweise aus der sehr persönlich gefärbten Memoirenliteratur Standpunkte übernommen werden, die einer kritischen Überprüfung kaum standhalten. So wird etwa das Ausmass des bewaffneten antikommunistischen Widerstandes der späten vierziger und fünfziger Jahre recht ausführlich thematisiert. Mit der Einschätzung, Rumänien habe damit über den zahlenstärksten und aktivsten antikommunistischen Widerstand aller osteuropäischen Länder verfügt, trägt der Bericht bei zu der seit 1990 ungebrochen anhaltenden Mythenbildung über die Widerstandskämpfer in den Bergen. Vergessen geht dabei, dass es sich in aller Regel um kleine, versprengte Haufen von Leuten handelte, die sich aus den verschiedensten Motiven der Kontrolle des Regimes zu entziehen versuchten. Die isolierten Gruppen vereinten weder politische Ziele noch ein wie auch immer geartetes Oberkommando. Von einer eigentlichen Partisanentruppe kann daher eigentlich nicht die Rede sein. In Ermangelung breit abgestützter Manifestationen von Widerstand, die eine demokratische Alternative zum herrschenden System aufgezeigt hätten wie 1956 in Ungarn, 1968 in der Tschechoslowakei oder 1980 in Polen, begann nach dem Ende der kommunistischen Diktatur eine Verklärung der bewaffneten Widerstandskämpfer. Dass unter ihnen auch viele dubiose Kräfte, deren politische Zielsetzungen alles andere als demokratisch waren, zu finden sind, verleiht der romantischen Verherrlichung des Freiheitskampfes zusätzliche Brisanz. Hier wie auch an anderen Stellen hat sich die Kommission eine Sichtweise angeeignet, die über ihr eigentliches Ziel, eine Anklageschrift gegen die Verbrechen des Kommunismus zu erstellen, hinausschiesst.
Zerstörung der Persönlichkeit
Breiten Raum widmet der Bericht den Terrormassnahmen der Anfangszeit unter Gheorghiu- Dej (1945-1965), wobei vor allem der institutionelle Rahmen thematisiert wird. Recht blass bleiben die Beschreibungen zu den Terrormechanismen und der Umsetzung der zentralen Vorgaben auf den unteren Hierarchieebenen. Unterbelichtet erscheinen daneben die Angaben zur Herrschaft Nicolae Ceausescus (1965-1989). Wenn auch die Repression subtiler gestaltet wurde, wirkte sie sich nicht weniger verheerend aus. An die Stelle physischer Gewalt trat nun oft eine ganze Palette perfider Massnahmen, die auf die Zerstörung der Persönlichkeit abzielten. Der groteske Personenkult, die Bespitzelung durch den Staatssicherheitsdienst Securitate und der restriktive Zugang zu Ressourcen des täglichen Überlebens bezweckten die gegenseitige Kompromittierung der Bürger. Das Regime legte es darauf an, jeden Einzelnen aktiv in die rituelle Inszenierung und die Stabilisierung des Systems einzubeziehen, ihn immer wieder zu Loyalitätsentscheiden zu zwingen, um ihn so zum Mittäter, zum Kollaborateur zu machen.
Die Verleugnung eigener Werte, der Verrat an nahestehenden Personen, das allgemeine Misstrauen und die Angst gehören zweifellos zu den prägendsten und verheerendsten Effekten der kommunistischen Herrschaft, da sie weitaus flächendeckender wirksam wurden als der blanke Terror. Die massiven gesellschaftlichen Folgen, die damit einhergingen, wirken bis heute nach und holten auch die Kommission bei ihrer Arbeit ein. Sorin Antohi, Kommissionsmitglied und angesehener Intellektueller aus den Reihen der Bürgergesellschaft, zog sich nach kurzer Zeit von der Arbeit zurück und gestand überraschend ein, in seiner Jugend mit der Securitate zusammengearbeitet zu haben. Der zum bekennenden Antikommunisten geläuterte Kommissionspräsident Tismaneanu seinerseits sah sich mit dem Vorwurf konfrontiert, als Sohn eines hochrangigen kommunistischen Funktionärs und damit - bis zu seiner Ausreise aus Rumänien - als Angehöriger der privilegierten Nomenklatura nicht über die notwendige moralische Autorität zu verfügen, den Kommunismus zu verurteilen.
Aufarbeitung statt Opfermythos
Dass der Vorwurf ausgerechnet aus der Ecke notorischer Galionsfiguren des alten Systems zu hören war, zeigt nur, wie unverfroren diese Kreise in der Öffentlichkeit agieren. Es ist dies auch ein Hinweis mehr, wie notwendig eine vorbehaltlose Ausleuchtung der kommunistischen Vergangenheit ist. Denn nicht belegte Behauptungen und Vermutungen über die Spitzel-Vergangenheit gehören zum Standardrepertoire der Verunglimpfung von Gegenspielern und vergiften das politische Klima. Gerade den unverbesserlichen Apologeten des kommunistischen Regimes gelingt es immer wieder, aufgrund von Insiderkenntnissen und guten Verbindungen zum Geheimdienstapparat gezielt Schwachstellen bei Vertretern der Bürgergesellschaft oder der politischen Mitte aufzudecken und damit den politischen Willen zur Klärung der Vergangenheit zu hintertreiben.
Die im Bericht angeregten Massnahmen umfassen neben der Rehabilitierung der Opfer und der juristischen Aufarbeitung vor allem die Schaffung einer zentralen Gedenkstätte und eines Museums, die weitere Erforschung der kommunistischen Vergangenheit, insbesondere durch die Öffnung der Archive, sowie eine verstärkte Berücksichtigung der Thematik im Unterricht. Neben der Aufdeckung der Repressionsmechanismen darf jedoch nicht vergessen werden, in Zukunft den Blick auch auf die Stabilisierung des Systems durch mannigfaltige Formen von Passivität, Kollaboration im Alltag und Opportunismus zu werfen.
Mit dem jetzt vorliegenden Bericht und der offiziellen Verurteilung des Kommunismus als illegitimes und kriminelles System ist ein sehr notwendiger und wichtiger Schritt getan worden, der noch vor wenigen Jahren undenkbar schien. Wenn sich die postkommunistische Gesellschaft jedoch damit begnügt, einen kollektiven Opfermythos zu pflegen und die Verantwortung an die paar Dutzend im Bericht namentlich genannten hauptverantwortlichen Personen auszulagern, bleibt der zwar äusserst schmerzhafte, aber letztlich heilsame Prozess der Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit auf halbem Wege stecken.
* Daniel Ursprung ist Assistent am Seminar für Osteuropäische Geschichte der Universität Zürich.
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