Sonntag, Januar 28, 2007

Wassermangel in Australien - und die Folgen.

Australiens Bauern leiden unter grosser Trockenheit, und viele begehen Selbstmord. Neue Beratungsstellen sollen Hilfe gegen Depressionen bieten.

28. Januar 2007, NZZ am Sonntag
Australiens Farmer in Not
Die Dürre bringt die harten Männer an psychische Grenzen

Australiens Bauern leiden unter grosser Trockenheit, und viele begehen Selbstmord. Neue Beratungsstellen sollen Hilfe gegen Depressionen bieten.

Ruedi Hermann, Goulburn

Zwanzig Jahre ist es her, dass Noel Trevaskis eine Farm hatte in der Riverina in Australiens Südosten, wo die grossen Flüsse des Murray und des Murrumbidgee mit ihrem Wasser das Land zur Speisekammer des Kontinents machen. Milchwirtschaft gedeiht; Getreide, Südfrüchte, Wein, ja sogar Reis wachsen hier. Trevaskis war ein ehrgeiziger Bauer in einer kleinen, eingeschworenen ländlichen Gemeinschaft. Er wollte der Beste von ihnen sein.
Gefährlicher Machokult

«Ich habe mir eingeredet, dass ich das für die Familie tue, für meine Frau und meine Kinder», sagt Trevaskis. «Ich sah die Zeichen an der Wand nicht, als ich mich immer mehr in die Arbeit flüchtete. Dann kam der grosse Knall. Ich war so tief in der Depression, dass ich fünf Monate im Spital behandelt werden musste.» Doch der schwerste Schritt kam erst dann: die Rückkehr in eine Dorfgemeinschaft, in der es keine Geheimnisse gibt. Wie würde er aufgenommen als Mann, der Schwäche gezeigt hatte? Trevaskis versuchte es und scheiterte. Es gab keine Hilfe von aussen, seine Ehe ging in die Brüche. Um zu genesen, fing er fünfhundert Kilometer entfernt ein neues Leben an.

Australiens Bauern sind ein eigener Menschenschlag. Mehr als achtzig Prozent der Bevölkerung des Landes wohnen in städtischen Agglomerationen, doch es sind die Kerle aus dem Busch und dem Outback, die das Selbstverständnis der Nation geprägt haben. In den Farmern von heute spiegeln sich die unerschrockenen europäischen Entdecker, die einst der unbarmherzigen Natur einen ganzen Kontinent abzuringen vermochten.

Australische Farmer leben auf riesigen Höfen in grosser Einsamkeit. Sie sind völlig auf sich gestellt, sie müssen Probleme allein bewältigen, ohne fremde Hilfe ihre Entscheidungen treffen und die Konsequenzen tragen können. Deshalb müssen sie stark sein, sie dürfen keine Schwäche zeigen. «Es ist dieser Machokult, der es einem Mann auf dem Land nicht erlaubt, sich zu psychischen Problemen zu bekennen», meint Trevaskis.

Mehr Bereitschaft zu solcher Ehrlichkeit wäre gerade jetzt nötiger denn je. Der Südosten Australiens befindet sich im Griff der schlimmsten Dürre seit hundert Jahren. Die Flüsse, die den Landwirtschaftsgürtel am Leben halten, sind am Austrocknen. Viele Bauern haben nur noch wenig oder gar kein Wasser mehr, ganze Landstriche sind braun und gelb. Kornbauern haben gar nicht mehr angesät; sie werden diesen Sommer nichts verdienen. Wer Schafe und Rinder hat, muss die Herden reduzieren, weil es kein Gras mehr gibt und sich die Farmer Futter je länger, desto weniger leisten können. Die Tiere aber will niemand kaufen; die Preise sind eingebrochen. Zukunftsangst macht sich breit.

Der Dürre sind die Bauern hilflos ausgeliefert. Dazu kommt das Gefühl, dass man die eigene Familie hängenlasse, statt für sie zu sorgen, dass man versagt habe. Alle vier Tage nimmt sich in Australien ein Farmer das Leben; so heisst es in einem Informationsblatt der Organisation «Beyondblue», die sich mit Prävention und Heilung von Depression auseinandersetzt.

Trevaskis wäre trotz allem gerne Bauer geblieben, doch er hatte das Geld nicht, um sich nach seiner Genesung wieder einen Hof zu leisten. Nun ist er Regionalvertreter eines Düngemittelproduzenten. Zudem reist er seit sechs Jahren in seiner Freizeit unermüdlich durchs Land und spricht im Namen von «Beyondblue» in Dörfern und an Konferenzen von seinen Erfahrungen. Er will anderen die Begegnung mit der Depression ersparen helfen.
Grassierende Selbstmorde

Die Statistiken sprechen eine deutliche Sprache. Die Selbstmordrate unter Männern zwischen zwanzig und dreissig Jahren ist in entlegenen Gebieten mehr als doppelt so hoch wie in den Städten. Aber auch wenn ein Bauer bereit ist zu akzeptieren, dass er ein psychisches Problem hat - um es zu lösen, muss er auch noch einen Ansprechpartner finden. Der Berufskollege in der Kneipe, mit dem er bisher seinen Kummer im Alkohol ertränkte, wird es kaum sein. Die nächste Fachperson kann Dutzende, vielleicht sogar Hunderte von Kilometern weit weg sein. Schon bei «normalen» Gesundheitsproblemen sehen sich Outback-Familien oft mit der Frage konfrontiert, ob sie stundenlange Autofahrten in Kauf nehmen sollen, um einen Arzt aufzusuchen, oder ob sie die Situation allein durchstehen sollen.

Die Dürre, die viele Bauern in Australien unter grossen Druck bringt, hat das Problem der ungenügenden psychischen Gesundheitsversorgung auf dem Land zwar nicht geschaffen, aber es stark akzentuiert. Nun wird intensiv nach Lösungen gesucht. «Beyondblue» und andere Organisationen sind dabei, ein Netz von einfach zu erreichenden Beratungsstellen aufzubauen. Die Depression soll vertrieben werden.

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