Mittwoch, Dezember 09, 2009

NZZ: Aufklärer, Schönredner und Prediger

8. Dezember 2009,
Neue Zürcher Zeitung
Aufklärer, Schönredner und Prediger

Die Islam-Debatte rückt auch die Rolle der Journalisten in den Blickpunkt

Die überraschende Zustimmung zur Minarett-Initiative hat auch eine Diskussion um die Rolle der Journalisten ausgelöst. Haben sie ihre Informationspflicht erfüllt? Der folgende Beitrag beleuchtet das Thema aus deutscher Sicht.

Heribert Seifert

Unter der etwas irritierenden Überschrift «Verweigerte Bildung – Drei Zuwandererkinder haben den Aufstieg geschafft» berichtete vor kurzem die «WAZ», Deutschlands auflagenstärkste Abonnentenzeitung aus dem Ruhrgebiet, über das Scheitern einer jungen Türkin auf ihrem Weg zur Lehrerin. Sie erzählte, wie übel man ihr im Institut für Lehrerbildung mitgespielt habe. Im Text galt die bedingungslose Parteinahme für die Betroffene. Bei ihren Ausbildern nachzufragen, kam den Reportern nicht in den Sinn.

Parteilich


In ähnlicher Weise ignorierte jüngst die Gerichtsreporterin des «Spiegels» Berufsregeln, als sie über den Prozess gegen den Mörder einer Ägypterin in Dresden berichtete. Sie steigerte sich dem Angeklagten gegenüber in eine parteiische Rage hinein, die jede Distanz vermissen liess. Blätter wie die....


8. Dezember 2009,
Neue Zürcher Zeitung
Aufklärer, Schönredner und Prediger

Die Islam-Debatte rückt auch die Rolle der Journalisten in den Blickpunkt

Die überraschende Zustimmung zur Minarett-Initiative hat auch eine Diskussion um die Rolle der Journalisten ausgelöst. Haben sie ihre Informationspflicht erfüllt? Der folgende Beitrag beleuchtet das Thema aus deutscher Sicht.

Heribert Seifert

Unter der etwas irritierenden Überschrift «Verweigerte Bildung – Drei Zuwandererkinder haben den Aufstieg geschafft» berichtete vor kurzem die «WAZ», Deutschlands auflagenstärkste Abonnentenzeitung aus dem Ruhrgebiet, über das Scheitern einer jungen Türkin auf ihrem Weg zur Lehrerin. Sie erzählte, wie übel man ihr im Institut für Lehrerbildung mitgespielt habe. Im Text galt die bedingungslose Parteinahme für die Betroffene. Bei ihren Ausbildern nachzufragen, kam den Reportern nicht in den Sinn.

Parteilich


In ähnlicher Weise ignorierte jüngst die Gerichtsreporterin des «Spiegels» Berufsregeln, als sie über den Prozess gegen den Mörder einer Ägypterin in Dresden berichtete. Sie steigerte sich dem Angeklagten gegenüber in eine parteiische Rage hinein, die jede Distanz vermissen liess. Blätter wie die «Zeit» und der «Tagesspiegel» verurteilten in steilen Kommentaren die mangelnde Empörung der Öffentlichkeit über diesen Mordfall als Indiz für die verborgene Islamfeindschaft der deutschen Mehrheit, ungeachtet der Tatsache, dass der Täter selber ein Einwanderer war.

Die beiden Beispiele sind typisch für eine seit langem dominierende Berichterstattung deutscher Leitmedien über Probleme der Einwanderungsgesellschaft. Diese Probleme provozieren offenbar in besonderem Masse das Selbstverständnis deutscher Journalisten, in dem der Journalist als «Agent der Aufklärung» (Lutz Hachmeister) als weithin akzeptiertes Rollenmodell gilt.

Der publizistische Umgang mit der Einwanderung von Muslimen stellt dieses Selbstverständnis allerdings auf eine harte Probe, findet sich hier doch eine schwer zu durchschauende Gemengelage von Fakten und Fiktionen, von Einstellungen und Gefühlen. Es geht dabei um den Alltag und die ganz trivialen Lebensverhältnisse der Beteiligten, aber auch um Fragen nach der künftigen institutionellen Verfassung des Staates und nach den Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens.

Minderheitenschutz im Widerspruch zu den Interessen der Mehrheit, die Rolle ethnokultureller Eigenarten, die Zukunft eines Sozialstaats, der zum Ziel von Einwanderern geworden ist, ein verschärfter Wettbewerb auf den Arbeitsmärkten, die künftige Gestalt von Städten mit ethnisch segregierten Vierteln und das Spannungsverhältnis zwischen einem Integrations-Minimum und dem Recht auf Leben in soziokulturellen Eigenwelten sind nur einige der Probleme, vor die dieser grosse soziale Feldversuch in einem global vernetzten sozialen Wandel Bürger und Medien gleichermassen stellt.

Pädagogische Perspektive


Bei der publizistischen Begleitung dieses Prozesses, der viel Angst und Ressentiment freisetzt, herrscht ein erstaunliches Einverständnis über eine moralisch grundierte volkspädagogische Perspektive, die bei der Berichterstattung einzuhalten sei. Dass Medien als Transmissionsriemen einer nur diffus umrissenen «Integration» zu funktionieren haben, gilt vielerorts als Leitlinie redaktioneller Praxis.

Diese pädagogische Botschaft behandelt die Leser, Hörer und Zuschauer als Objekte eines strengen Erziehungsprojekts. Sie «müssen» lernen, den Einwanderer in seiner Besonderheit zu verstehen und zu schätzen. Vor allem das Fernsehen schwelgt in Bildern, die das schöne Fremde zur Schau stellen. Geschichte wird dabei gern geglättet, so dass die islamische Welt der Vergangenheit primär als Hort kultureller Blüte und gesellschaftlicher Toleranz erscheint. Aus der Gegenwart sind biografische Erfolgsgeschichten beliebt.

An den Rändern des publizistischen Spektrums wird nicht bloss das einfühlende Verstehen verlangt, sondern, wie vor kurzem in der Berliner «TAZ», sogar die Fremdenliebe. Die spezifisch moderne Gleichgültigkeit des metropolitanen Lebens reicht im Umgang mit Einwanderern offenbar nicht aus, könnte sich doch dahinter mentale Feindschaft verbergen.

Rücken Probleme und Konflikte ins Blickfeld, begegnen wir Muslimen in der Doppelrolle als Opfer und Unterprivilegierte: Deutsche «Fremdenfeindlichkeit» und «Islamophobie» grenzen sie angeblich aus und verwehren ihnen den Zutritt zu Wohnungen und Arbeitsplätzen. Es gilt die bedingungslose Parteinahme für die Betroffenen.

Jeder Konflikt zwischen einem eingesessenen Deutschen und einem muslimischen Einwanderer kann in der Medienwahrnehmung blitzartig als Fall von Rassismus inszeniert werden. Starre Wahrnehmungs- und Urteilsschablonen führen zu reflexartigen Skandalisierungen, die in den letzten Jahren zwar häufig nach wenigen Tagen aufgegeben werden mussten, ohne dass jedoch in den Redaktionen fürs nächste Mal etwas gelernt worden wäre.

Camouflagen

Treten muslimische Einwanderer unübersehbar nicht als Opfer, sondern als Täter auf, wird gern relativiert oder gar camoufliert. Der endlose Streit, ob Medien die ethnische Herkunft von Straftätern nennen dürfen, produziert dabei groteske Blüten. In Einzelfällen sind Zeitungen dazu übergegangen, den Verdächtigen deutsche Namen zu geben, um auf keinen Fall Vorurteilen Vorschub zu leisten. Solche Zurückhaltung gilt auch dann, wenn die Straftaten durchaus ethnospezifische Muster aufweisen, also die Information über das Tätermilieu zum Verständnis des Verbrechens dient.

Während gewalttätige Übergriffe auf Muslime medial in der Regel als Exempel einer latent verbreiteten deutschen Neigung zu einem «Hassverbrechen» interpretiert werden, gilt der Angriff eines Türken auf einen Deutschen auch dann als Einzelfall üblicher Kriminalität, wenn der Angreifer «Scheissdeutscher!» brüllt.

Die Sorge, durch realitätstüchtige Berichterstattung negative Affekte auszulösen, ist zur Obsession vieler deutscher Medien geworden. Offenkundig wirkt hier die nationalsozialistische Geschichte nach und führt zu einer spezifischen Verzerrung bei der Wahrnehmung des Integrationsproblems: Integration erscheint in dieser Betrachtung als Modernisierungsproblem der Einheimischen.

Die deutsche Volksseele gilt in vielen Redaktionen als immer noch unheilbar vom Ungeist des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit kontaminiert. Solcher Generalverdacht wird regelmässig durch wissenschaftliche Studien genährt, deren luftige Empirie im Takt der Jahreszeiten Anlass zu neuen Schreckensnachrichten liefert.

Auch wird moniert, dass in den politischen Teilen der Presse sowie in der Auslandberichterstattung von Radio und Fernsehen jene Formen von Gewalt und Barbarei präsent sind, die nur zu oft das politische und gesellschaftliche Leben islamischer Staaten prägen. Die «diskursanalytisch» operierenden Kritiker erklären die Präsenz solcher negativen Berichte zu Indizien einer Islamfeindschaft und blenden systematisch aus, dass solche Berichte etwas mit einer düsteren Wirklichkeit zu tun haben, von der sie erzählen.

Das ist zwar ein medienkritischer Rosstäuschertrick, hat aber Wirkung, wenn man die Reaktionen der journalistischen Berufsverbände und die Verunsicherung der Journalisten sieht. Die Versuche der EU, unter Berufung auf den Kampf gegen Diskriminierung die Kritik an ethnischen und religiösen Minderheiten strafrechtlich zu sanktionieren, verstärken die Einschüchterung.

Dennoch erodiert dieses Muster der Berichterstattung. Der penetrant vormundschaftliche Auftritt, das unsichere Schwanken zwischen offener Information und schönfärbender Camouflage haben beim Publikum zu lebhaftem Widerspruch geführt. Die Leserkommentare auf den Websites der Zeitungen dokumentieren dies.

«Rechtes» auch bei Linken

Neu ist dabei, dass diese Differenz jetzt auch bei linken Medien auftritt: «TAZ»-Leser stimmten der Kritik des Bundesbankers Thilo Sarrazin an Teilen des türkisch-arabischen Einwanderermilieus von Berlin lebhaft zu und widersprachen den Leitartiklern des eigenen Blatts. Und die Schweizer Volksabstimmung über die Minarett-Initiative fand sehr verständnisvolle Worte im Blog eines Vorstandsmitglieds der Piratenpartei, die eher zur links-alternativen Seite des politischen Spektrums gehört.

In dem Masse, in dem die problematischen Folgen der Einwanderung von Muslimen auch die Wohnbezirke erreichen, in denen die Wähler der Grünen zu Hause sind und in denen sie ihre Kinder zur Schule schicken, kippt die Begeisterung fürs Multikulturelle um.

Riskant an dieser Entwicklung ist, dass sich dem grobschlächtig-pauschalen Positivkult um das Fremde und die Fremden nun eine ebenso grobschlächtig pauschale Ablehnung entgegenstellen kann. Wie die Schweizer Abstimmung zeigt, kann das dazu führen, dass sich diffuser Zorn auf einem sachlich denkbar ungeeigneten Feld entlädt.

Medien sind mitschuldig daran, mit ihrer Vorliebe für den Predigerton des Leitartiklers, der vor allem Haltung und Gesinnung produziert und sich dabei um die vielfältigen Unterscheidungen in der komplexen sozialen Wirklichkeit nicht schert. Dabei ist Genauigkeit bei diesem Thema die höchste Tugend.

Es gibt wunderbare Erfolgsgeschichten auch unter diesen Zuwanderern, aber auch deprimierende Beispiele von Verwahrlosung und Festhalten an atavistischen Mentalitäten und Praktiken. In ähnlicher Weise muss zwischen Religion und ethnokulturell überformter Religionspraxis unterschieden werden, wobei freilich auch fragwürdige Elemente der religiösen Überlieferung zur kritischen Erörterung freigegeben sein müssen.

Zum ganzen Bild, das Medien zu liefern haben, gehören beide Seiten. Paternalistischer Minderheitenschutz durch selektive Berichterstattung hilft gerade den Minderheiten nicht. Wenn man die Mehrheit für einen sozial verträglichen Integrationsprozess gewinnen will, wird man auch ihre Interessen als legitim anerkennen müssen und ihre Sorgen und Ängste nicht als blosse Affekte von Modernisierungsverlierern abqualifizieren dürfen.

Ermutigende Beispiele


Mittlerweile mehren sich die ermutigenden Beispiele für einen ebenso neugierigen wie unerschrockenen Journalismus: Die «WAZ» lässt ihre Reporter berichten, wie deutsche Anwohner die Umwandlung ihres Viertels in einer westfälischen Kleinstadt in eine türkisch-islamisch geprägte Zone erleben. Die «Welt» beleuchtet die Binnendiskussion in den türkischen Gemeinden, die sich auf die Wahlen zu den Ausländerbeiräten in Rheinland-Pfalz vorbereiten, und die «FAZ» lieferte nüchterne Sozialreportagen aus Berliner Problemkreisen. Selbst die «Süddeutsche Zeitung» glaubt mittlerweile, dass in Neukölln Einwanderer zu einem erheblichen Teil für die desolaten Verhältnisse verantwortlich sind. Nur durch solche realitätstüchtige Berichte kann liberale Publizistik, die ein kluger «Zeit»-Blogger gegenwärtig bedroht sieht, ihren Rang zurückgewinnen.

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