Mittwoch, Dezember 16, 2009

NZZ: Der Klimawandel wird Indien teuer zu stehen kommen

21. November 2009, Neue Zürcher Zeitung
Der Klimawandel wird Indien teuer zu stehen kommen
Dem Subkontinent drohen durch die Veränderung des Monsuns mehr Dürren und Flutkatastrophen

Auf dem indischen Subkontinent dürfte sich der Klimawandel vor allem durch eine Veränderung des Sommermonsuns bemerkbar machen. Experten erwarten, dass Dürren und Flutkatastrophen in den nächsten fünfzig Jahren deutlich zunehmen werden.

Andrea Spalinger, Delhi

In Indien hat dieses Jahr der Sommermonsun – der in der Regel von Juni bis September dauert – zwei Monate zu spät eingesetzt. Er brachte ein paar sehr heftige Regenschauer und war dann auch schon wieder vorbei. Für die Landwirtschaft hatte dies katastrophale Folgen, denn nur ein kleiner Teil des Ackerlandes auf dem Subkontinent ist bewässert, und die grosse Mehrheit der Bauern ist vom Regen abhängig, das heisst hauptsächlich vom Monsun, der rund 80 Prozent des jährlichen Niederschlages bringt.

Ein schlechter Monsun trifft vor allem jene zwei Drittel des Milliardenvolkes hart, deren Einkommen direkt von der Landwirtschaft abhängt. Er hat aber auch negativen Einfluss auf die städtische Bevölkerung, weil er zu Wasserknappheit und....


21. November 2009, Neue Zürcher Zeitung
Der Klimawandel wird Indien teuer zu stehen kommen
Dem Subkontinent drohen durch die Veränderung des Monsuns mehr Dürren und Flutkatastrophen

Auf dem indischen Subkontinent dürfte sich der Klimawandel vor allem durch eine Veränderung des Sommermonsuns bemerkbar machen. Experten erwarten, dass Dürren und Flutkatastrophen in den nächsten fünfzig Jahren deutlich zunehmen werden.

Andrea Spalinger, Delhi

In Indien hat dieses Jahr der Sommermonsun – der in der Regel von Juni bis September dauert – zwei Monate zu spät eingesetzt. Er brachte ein paar sehr heftige Regenschauer und war dann auch schon wieder vorbei. Für die Landwirtschaft hatte dies katastrophale Folgen, denn nur ein kleiner Teil des Ackerlandes auf dem Subkontinent ist bewässert, und die grosse Mehrheit der Bauern ist vom Regen abhängig, das heisst hauptsächlich vom Monsun, der rund 80 Prozent des jährlichen Niederschlages bringt.

Ein schlechter Monsun trifft vor allem jene zwei Drittel des Milliardenvolkes hart, deren Einkommen direkt von der Landwirtschaft abhängt. Er hat aber auch negativen Einfluss auf die städtische Bevölkerung, weil er zu Wasserknappheit und zu einem deutlichen Anstieg der Nahrungsmittelpreise führt.

Alarmierende Anzeichen

Rund die Hälfte der über 600 Distrikte Indiens leiden derzeit unter einer der schlimmsten Dürren seit Jahrzehnten. Im bevölkerungsreichsten Gliedstaat, Uttar Pradesh im Norden, rechnet man damit, dass die Reisernte im Vergleich zum Vorjahr um 60 Prozent schlechter ausfallen dürfte. Die Zuckerrohrbauern im westlichen Maharashtra leiden ebenfalls schwer unter dem Ausbleiben des Regens, und selbst die Aussichten für die winterliche Weizenernte in der nördlichen Kornkammer Punjab sind angesichts der halbvollen Wasserreservoire düster. Während weite Teile des Landes unter Trockenheit leiden, führten heftige Regenfälle in den südlichen Gliedstaaten Karnataka und Andhra Pradesh in den letzten Wochen zu Überschwemmungen, was für das Ackerland genauso verheerend war.

Indische Wissenschafter sind angesichts der extremen Witterung alarmiert. Einige wenige sprechen zwar noch immer von normalen zyklischen Bewegungen, die grosse Mehrheit von ihnen ist heute aber überzeugt, dass diese mit dem Klimawandel zusammenhängt. Die globale Erwärmung habe bereits Auswirkungen auf den Wetterzyklus auf dem Subkontinent, sagt Anumita Roychowdhury vom Centre for Science and Environment in Delhi. Indien habe zwar schon immer unter Dürren und Überschwemmungen gelitten, doch Statistiken zeigten ganz klar, dass sich diese häuften und an Intensität gewännen. Unter anderen hat auch das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) in seinem letzten Bericht eine deutliche Veränderung des indischen Monsuns festgestellt.

Mehr Regen in weniger Tagen

Meteorologische Daten zeigen, dass sich die durchschnittlichen Temperaturen Indiens in den letzten hundert Jahren um 0,4 Grad erhöht haben. Der Sommermonsun blieb in der Zeitspanne insgesamt zwar relativ stabil, doch sind auffällige regionale Veränderungen festzustellen. So nahmen entlang der Nordwestküste wie auch im Norden von Andhra Pradesh die Niederschläge um etwa 12 Prozent zu, während sie im Nordosten, in Madhya Pradesh und in Kerala um 6 bis 8 Prozent zurückgingen.

Angesichts der enormen Grösse und der klimatischen Diversität Indiens ist es schwierig, allgemeingültige Prognosen zu erstellen. Die Temperaturerhöhung wird sich in den einzelnen Regionen ganz unterschiedlich auswirken. Sämtliche wissenschaftlichen Studien der letzten Jahre gehen jedoch davon aus, dass die Temperaturen auf dem Subkontinent in den nächsten hundert Jahren deutlich steigen und die Niederschläge zunehmen werden. Bezüglich der exakten Zahlen gehen die Einschätzungen zum Teil weit auseinander, je nachdem, welche Daten verwendet wurden und ob die Wissenschafter ein eher optimistisches oder pessimistisches Szenario für den künftigen Treibhausgasausstoss verwendeten. Dramatisch sind die Prognosen aber in allen Fällen.

Die Regierung hat in einer Dokumentation zuhanden der Uno-Klimarahmenkonvention verschiedene globale und regionale Klimamodelle ausgewertet und einen Trend herauszuarbeiten versucht. Der Bericht prognostiziert bis 2050 eine deutliche Erhöhung sowohl der durchschnittlichen Maximal- als auch der Minimaltemperaturen. Für Südindien wird eine Erhöhung der maximalen Temperatur zwischen 2 und 4 Grad erwartet, für den Norden sogar über 4 Grad. Gleichzeitig dürften die minimalen Temperaturen landesweit um mindestens 4 Grad steigen. Das scheint auf den ersten Blick nicht viel, die Erhöhung würde aber dazu reichen, den Ertrag von traditionell in Indien angebautem Saatgut deutlich zu vermindern und den Schädlingsbefall zu erhöhen.

In Bezug auf die Regenmenge stellt der Regierungsbericht bis 2050 insgesamt eine leichte Zunahme in Aussicht. Die Zahl der Regentage dürfte in weiten Teilen des Landes allerdings deutlich zurückgehen und die Intensität der Niederschläge zunehmen. «Die Lage wird sich überall zuspitzen», sagt Suruchi Bhadwal von The Energy and Resources Institute (Teri), einem der renommiertesten wissenschaftlichen Institute in Delhi. «Trockene Regionen werden noch trockener werden, Gebiete, die unter flutartigen Regen leiden, noch häufiger überschwemmt werden.»

Wassermangel und Missernten


Wenn Niederschläge stärker, aber seltener werden, hat das auch Einfluss auf den Grundwasserspiegel und den Wasserhaushalt des Landes, da bei flutartigem Regen ein grosser Teil des Wassers nicht langsam in der Erde versickert, sondern wegfliesst. Bereits heute leidet Indien unter Wasserknappheit. Bis 2050 dürfte laut dem IPCC das pro Kopf zur Verfügung stehende Wasser jedoch nochmals deutlich zurückgehen.

In den letzten 50 Jahren litt Indien unter 15 schweren Dürren, die sich verheerend auf die Nahrungsmittelproduktion auswirkten. «Der Wassermangel und die höheren Temperaturen werden einen negativen Einfluss auf die Erträge der wichtigsten landwirtschaftlichen Produkte wie Reis, Weizen und Zuckerrohr haben», sagt Bhadwal. «Da die indische Bevölkerung bis 2050 auf etwa 1,6 Milliarden anwachsen wird, müssen wir uns ernsthafte Sorgen um unsere Nahrungsmittelsicherheit machen.»

Eine kürzlich publizierte Studie über die Kosten des Klimawandels, die von der Swiss Re mitfinanziert wurde, stellt fest, dass die Zunahme von Dürren beträchtliche Kosten verursachen wird. Als Fallbeispiel wird in dem Bericht der westliche Gliedstaat Maharashtra erwähnt, der überdurchschnittlich dürreanfällig ist (in 23 der 35 Distrikte fiel in den letzten 100 Jahren durchschnittlich weniger als ein Meter Regen pro Jahr). Laut der Studie dürfte sich die Lage in Maharashtra in den nächsten 20 Jahren verschärfen. Der jährliche Niederschlag könnte demnach in dieser Zeitspanne um 8 Prozent zurückgehen. Schwere Dürren, die momentan etwa alle 10 Jahre verzeichnet werden, werden laut der Prognose bis 2030 im Abstand von nur noch 3 Jahren auftreten.

Die landwirtschaftliche Produktion in den dürregeplagten Gebieten Maharashtras hatte 2008 etwa einen Wert von 7,7 Milliarden Dollar. Wegen Wasserknappheit hatten die Bauern allerdings einen Ernteausfall in der Höhe von rund 240 Millionen Dollar zu verzeichnen – und das in einem Jahr mit einem guten Monsun. Die Studie geht davon aus, dass sich die Verluste wegen des Klimawandels bis 2030 bei einem optimistischen Szenario um 10 Prozent, bei einem pessimistischen Szenario um bis zu 50 Prozent erhöhen könnten.

Auch die Weltbank stellte in einem Bericht 2008 fest, dass die klimatischen Veränderungen Indien teuer zu stehen kommen werden. Das Land habe in den letzten Jahrzehnten zwar eines der effizientesten Nothilfesysteme entwickelt. Die meisten Gliedstaaten gäben heute aber mehr Geld für Nothilfe aus als für die Förderung der Landwirtschaft und für die dringend nötige Strukturanpassung in diesem Sektor. In Maharashtra hat laut der Weltbank allein die Nothilfe nach der Dürre 2003 und der Flutkatastrophe 2005 mehr Geld verschlungen, als das Gesamtbudget für die Landwirtschaft des Staates von 2002 bis 2007 betrug. Die Weltbank-Experten wiesen warnend darauf hin, dass, wenn sich extreme klimatische Ereignisse häuften, die für Indien so wichtige ländliche Entwicklung ernsthaft gefährdet sei.

«Nicht nur die wirtschaftlichen, auch die sozialen Kosten des Klimawandels werden enorm sein», sagt die Wissenschafterin Anumita Roychowdhury. In der Tat braucht es nicht viel Phantasie, um sich die menschlichen Tragödien auszumalen, die ein Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion mit sich bringen wird. Die Mehrheit der Bauern lebt unter der Armutsgrenze und wird auch von kleinen Einkommenseinbussen schwer getroffen. Schlechte Ernten oder Naturkatastrophen enden meist in einer verhängnisvollen Schuldenspirale. Wenn die ländliche Armut in den nächsten Jahrzehnten weiter zunimmt, wird dies Indien in seiner Entwicklung immens zurückwerfen.

Die Regierung ist aufgewacht


Die Katastrophenszenarien haben auch die Politiker aufgeschreckt. Lange habe die Regierung wenig Interesse am Thema Klimawandel gezeigt, sagt Suruchi Bhadwal von Teri. Doch im letzten Jahr habe ein bemerkenswerter Meinungsumschwung stattgefunden. Mitte 2008 hat ein von Premierminister Singh ernannter Council on Climate Change einen Aktionsplan mit verbindlichen Vorgaben für eine Anpassung an die erwarteten Veränderungen vorgelegt. Durch besseres Wasser-Management (vor allem durch Bewässerungssysteme und effizienteres Speichern von Regenwasser) und eine Anpassung des Saatgutes an die veränderten Bedingungen sollen die negativen Auswirkungen auf die Landwirtschaft abgefedert werden.

Gleichzeitig hat sich Delhi in dem Aktionsplan auch das Ziel gesetzt, den Ausstoss von Treibhausgasen durch die Förderung von erneuerbaren Energien, durch energiesparende Technologien in verschiedensten Bereichen und durch Aufforstung zu reduzieren. Allerdings hält die Regierung an ihrer alten Maxime fest, dass sie das Wirtschaftswachstum um keinen Preis bremsen will. Die offizielle Position Indiens an der Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember dürfte entsprechend hart bleiben.

Laut Umweltminister Jairam Ramesh will Delhi künftig zwar mehr als bisher für den Klimaschutz tun. Indien will aber eigene gesetzliche Massnahmen zur Verringerung des CO 2 -Ausstosses treffen und sich nicht – wie von der EU gefordert – verbindlichen Zielen eines internationalen Abkommens unterwerfen. «Wir handeln nicht auf Druck des Auslands, sondern im Interesse unserer Bürger, die zunehmend unter dem Klimawandel leiden», meinte der Minister jüngst in einem Interview mit einem indischen Fernsehsender.

Indien liegt auf der Rangliste der grössten Emittenten mit einem Kohlendioxidausstoss von 1,5 Milliarden Tonnen im Jahr noch deutlich hinter den USA und China auf Platz fünf. Der Ausstoss des Schwellenlandes dürfte sich angesichts des hohen Wachstums in den nächsten 20 Jahren aber vervielfachen. Die Regierung verweist darauf, dass die westliche Welt die Hauptverantwortung für die bisherige Veränderung der Erdatmosphäre trägt und dass die Inder auch heute noch nur einen Fünftel so viel Kohlendioxid pro Kopf verursachen wie die Amerikaner. Delhi fordert deshalb, dass die reichen Länder stärker in die Pflicht genommen werden und die USA und die EU ihre Emissionen im nächsten Jahrzehnt um 40 Prozent verringern. Ein Kompromiss in dieser Frage ist nicht absehbar. Der indische Umweltminister sagt denn auch unumwunden, in Kopenhagen werde man sich kaum auf ein Abkommen einigen können.

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