Freitag, Dezember 18, 2009

TA: Wer darf eigentlich über wen Witze machen?

Tages Anzeiger 16.12.2009
Wer darf eigentlich über wen Witze machen?
Von Peter Schneider.

Als Gast bei Giacobbo/Müller haben Sie kürzlich gesagt, das Problem, ob nur ein Jude über Juden Witze machen dürfe, käme Ihnen vor wie die Frage, ob man Nazi sein müsse, um über Hitler lachen zu dürfen. Das hat mich ziemlich befremdet. Denn sich über etwas lustig machen darf (und sollte) ja wirklich nur einer, der in eine bestimmte Kategorie von Menschen gehört – so ein Kleinwüchsiger, ein Rothaariger, ein Homosexueller oder auch ein Jude (die alle wurden so geboren und werden oft von anderen verspottet, was unfair und geschmacklos ist) –, und nicht ein Nazi, der ja wissentlich zu dem geworden ist, was er ist. Ich hoffe, Sie sehen den kleinen, aber wesentlichen Unterschied. K. S. .......


Tages Anzeiger 16.12.2009
Wer darf eigentlich über wen Witze machen?
Von Peter Schneider.

Als Gast bei Giacobbo/Müller haben Sie kürzlich gesagt, das Problem, ob nur ein Jude über Juden Witze machen dürfe, käme Ihnen vor wie die Frage, ob man Nazi sein müsse, um über Hitler lachen zu dürfen. Das hat mich ziemlich befremdet. Denn sich über etwas lustig machen darf (und sollte) ja wirklich nur einer, der in eine bestimmte Kategorie von Menschen gehört – so ein Kleinwüchsiger, ein Rothaariger, ein Homosexueller oder auch ein Jude (die alle wurden so geboren und werden oft von anderen verspottet, was unfair und geschmacklos ist) –, und nicht ein Nazi, der ja wissentlich zu dem geworden ist, was er ist. Ich hoffe, Sie sehen den kleinen, aber wesentlichen Unterschied. K. S.

Liebe Frau S.

Natürlich hinkt mein Vergleich, und zwar nicht nur auf einem Bein, sondern grad auf allen vieren. Allerdings war er auch bloss als das gedacht, was Freud einen «Überbietungswitz» nennt: Man enthüllt die Pseudologik eines Arguments, indem man sie auf eine noch absurdere Spitze treibt. Sollte der Unterschied zwischen einem antisemitischen und einem nicht antisemitischen JudenWitz davon abhängen, ob der Erzähler von einer jüdischen Mutter geboren wurde oder nicht? (Wo kämen wir da auch hin: Zum Nicht-Nichtarier-Nachweis für Komiker? – Noch so ein kleiner Überbietungsscherz.)

Um den Unterschied zwischen rassistischer Feindseligkeit und aufklärerischem oder fröhlich-albernem Spott auszumachen, darf man sich eben nicht von blossen «Inhalten» ins Bockshorn jagen lassen, sondern braucht man einen Sinn für die Gesetze der Rhetorik «uneigentlicher Rede». Wer sich über die bescheuerte Pro-Behinderten-Kampagne der IV lustig macht, indem er die behaupteten Pappkameraden-Vorurteile, dass Behinderte dauernd krank seien und nur Geld kosteten, satirisch noch ein paar Zacken überdreht, muss dazu nicht durch eine eigene Behinderung legitimiert sein.

Und die Behauptung, Homosexualität sei deshalb natürlich, weil es schwule Flamingopärchen gibt, verdient es, in spöttischer Absicht mit der Tatsache konterkariert zu werden, dass auch häusliche Gewalt etwas ganz Natürliches ist, weil z. B. Löwenmännchen hin und wieder den eigenen Nachwuchs auffressen. Damit behauptet man nämlich nicht die Widernatürlichkeit der Homosexualität, sondern entlarvt ein dummes «naturalistisches» Argument. Und um auf solche Ideen zu kommen (und sie ggf. lustig und befreiend zu finden), braucht man weder ein homo- noch ein heterosexuelles Gen, sondern lediglich ein komisches.

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