Donnerstag, Januar 14, 2010

Nackt sind wir doch schon

NZZ Online
9. Januar 2010
Nackt sind wir doch schon
Der Mensch unterm Scanner – und seine Daten vernetzt

Gefahren nicht erst bekämpfen, wenn sie akut werden, sondern vorausschauend abwenden – darin liegt ein menschliches Streben. Doch die Risikovorsorge, dieser grosse Zug der Moderne, steckt voller Ambivalenz, verspricht Schutz und verlangt Entblössung.

Joachim Güntner

Die Wahrheit ist nackt, die Unschuld ebenfalls, aber die Heimtücke muss sich verhüllen. Mit dem Dolch «im Gewande» lässt Schiller seinen auf Tyrannenmord erpichten Helden Damon zu Dionys schleichen. So dumm, die Waffe in der blanken Faust zu tragen, ist kein Attentäter. Desto schwerer lässt er sich identifizieren. Schiller behandelt diesen Umstand eher nonchalant; sein Damon geht den Wachen sogleich ins Netz, wird offenbar einer Leibesvisitation unterzogen («Was wolltest du mit dem Dolche? Sprich!») und gefesselt. In schöner Beiläufigkeit bezeichnet des Dichters Rede von der Kleidung als Waffenversteck jenes Grundproblem, dessen technologischer Bewältigung wir heute Ganzkörper-Scanner bei Sicherheitskontrollen auf Flughäfen verdanken. Seit eh und je gilt: Wie zur bösen Absicht das....


NZZ Online
9. Januar 2010
Nackt sind wir doch schon
Der Mensch unterm Scanner – und seine Daten vernetzt

Gefahren nicht erst bekämpfen, wenn sie akut werden, sondern vorausschauend abwenden – darin liegt ein menschliches Streben. Doch die Risikovorsorge, dieser grosse Zug der Moderne, steckt voller Ambivalenz, verspricht Schutz und verlangt Entblössung.

Joachim Güntner

Die Wahrheit ist nackt, die Unschuld ebenfalls, aber die Heimtücke muss sich verhüllen. Mit dem Dolch «im Gewande» lässt Schiller seinen auf Tyrannenmord erpichten Helden Damon zu Dionys schleichen. So dumm, die Waffe in der blanken Faust zu tragen, ist kein Attentäter. Desto schwerer lässt er sich identifizieren. Schiller behandelt diesen Umstand eher nonchalant; sein Damon geht den Wachen sogleich ins Netz, wird offenbar einer Leibesvisitation unterzogen («Was wolltest du mit dem Dolche? Sprich!») und gefesselt. In schöner Beiläufigkeit bezeichnet des Dichters Rede von der Kleidung als Waffenversteck jenes Grundproblem, dessen technologischer Bewältigung wir heute Ganzkörper-Scanner bei Sicherheitskontrollen auf Flughäfen verdanken. Seit eh und je gilt: Wie zur bösen Absicht das Verbergen gehört, so zur Prävention des Verbrechens das Aufdecken.

Der Zug zur Risikovorsorge

«Enthüllen» hat, über die buchstäbliche Bedeutung des Wortes hinaus, längst den Doppelsinn von Entdecken und Entblössen angenommen. Diese investigative Metaphorik erhält derzeit durch das Reizwort «Nackt-Scanner» eine drastische Kontur. Drastisch, weil damit die Vorstellung einhergeht, dass Menschen, und sei es auch nur auf dem Bildschirm, in Sicherheitskontrollen die Hüllen fallen lassen müssen. Wären alle Fluggäste nackt, so verlören auch die unter ihnen weilenden Wölfe ihre Schafspelze und liessen sich neutralisieren – das mag als Grundidee plausibel scheinen, führt aber zu einer anstössigen Praxis.

Was genau ein Ganzkörper-Scanner im Einsatz zeigen kann und darf, lassen die divergierenden Auskünfte der Behörden vorerst im Ungefähren. In Deutschland suchen die Befürworter dieser Technologie das Publikum mit der Angabe zu beruhigen, der Intimbereich der kontrollierten Person werde extra unscharf dargestellt. Körperliche Details seien nicht zu erkennen, verdächtige Dinge würden gleichwohl signalisiert. In England hingegen hat, wie der «Guardian» berichtet, die Qualität der Aufnahmen dazu geführt, dass Aktivisten der «Action for Rights of Children» das Scannen mit Kinderschändung in Verbindung bringen. Sie machten geltend: Sollten bei der Kontrolle der Reisenden indezente Bilder von Minderjährigen entstehen, so werde eines der englischen Gesetze gegen Kinderpornografie verletzt. Der Flughafen von Manchester hat es daraufhin Eltern freigestellt, ob sie es gestatten, dass man von ihren Kindern Body-Scans nimmt oder nicht.

Durch solche Nachrichten bekommt die Diskussion skurrile Züge, jedoch sollte man die ernsten Aspekte nicht leichtfertig übergehen. Die Verletzung der individuellen Freiheitsrechte durch die Scanner, der Übergriff in die Intimsphäre, ist evident. Selbst wenn die Geräte, anders als in Manchester, keinen detaillierten Blick auf Genitalien erlauben, wird die Kontrolle notwendig zum Voyeurismus. Ob Prothesen aller Art, künstliche Darmausgänge, Herzschrittmacher, Inkontinenz-Windeln, delikate Implantate oder einfach nur Intimschmuck – es bleiben der Apparatur genug Dinge zu melden übrig, die der Fluggast lieber für sich behalten möchte, und zwar mit Recht. Wenn daher der deutsche Bundesinnenminister die Zuversicht äussert, dass eine ausgereifte Scanner-Technologie sehr wohl die Persönlichkeitsrechte zu wahren vermöge, dann nährt er bloss die alte Illusion, es sei möglich, den Pelz zu waschen, ohne ihn nass zu machen.

Als Beispiel für den klassischen Konflikt zwischen Freiheits- und Sicherheitsinteressen sind die «Nackt-Scanner» in den letzten Tagen hinreichend oft Gegenstand politischer Betrachtung gewesen; wir müssen das an dieser Stelle nicht fortführen. Umfragen ebenso wie Zeitungskommentare zeigen ein Übergewicht der Ablehnung von Körper-Scannern. Doch Lippenbekenntnisse zugunsten der Freiheit fallen leicht; wofür sich hingegen der Angsthase in uns in der Praxis entscheidet, steht dahin. Man probiere einmal folgendes Gedankenspiel: Im Angebot seien zwei Fernflüge von Zürich nach New York, der eine mit laxen, der andere mit hochgerüsteten Sicherheitskontrollen. Welche Maschine wird man selber wählen? Wo wird wohl die Mehrheit der Passagiere einsteigen? Deckt sich ihre Entscheidung mit den bei Umfragen abgegebenen Voten? Zweifel sind angebracht. Und wie standhaft bleibt die liberale Ablehnung der intimen Durchleuchtung, wenn es neue Nachrichten von Anschlagsversuchen gibt?

Ilija Trojanow, emsiger Kritiker des «Sicherheitswahns», hat gegen die jüngsten Erregungen das Faktum aufgeboten, dass «es seit den Anschlägen vom 11. September 2001 weltweit keinen einzigen Anschlag auf ein Passagierflugzeug gegeben hat und nur drei Anschläge verhindert werden mussten: 2001 der Reid, 2006 in London der Versuch, Flüssigsprengstoff in mehrere Flugzeuge zu schmuggeln, sowie der jüngste Fall» vom ersten Weihnachtsfeiertag. Jedoch sieht es kaum danach aus, als könnte die nüchterne Sprache der Statistik den fortgesetzten Ausbau der Sicherheitstechnologien bremsen.

Sozialphilosophisch ist der Trend nicht schwer zu verstehen. Der Mensch als das mit Zeitbewusstsein begabte Tier, das vorausschaut, war immer schon in hohem Masse gespannt zwischen Sein und Sorge. Gibt man ihm die entsprechenden Mittel an die Hand, so wird er sie auch nutzen, um die Zukunft im Vorgriff zu bewältigen. Not und Gefahr wird er nicht erst im akuten Fall bekämpfen, sondern bereits die Möglichkeit ihres Entstehens verhindern wollen. So ist die Geschichte der technischen Zivilisation zugleich eine Geschichte der veränderten Staatsaufgaben. Die Gefahrenabwehr hat sich zur Risikovorsorge erweitert. Dass die dabei zum Einsatz kommenden Technologien Folgen und Nebenfolgen haben, die ihrerseits Risiken bergen, hat sich herumgesprochen.

Wo liegt, um beim Thema zu bleiben, das politische Risiko des «Nackt-Scanners»? Die Kränkung seiner Scham und Souveränität, die der bis auf die Haut inspizierte Reisende erfährt, ist das eine. Sie ist schwerwiegend, und sie wird auch nicht dadurch aus der Welt geschafft, dass man den Vorgang automatisiert und den Blicken Neugieriger entzieht. Als «Risiko» aber wäre der Souveränitätsverlust falsch bezeichnet; denn er ist ein Preis, den der Fluggast an Ort und Stelle entrichtet. Das Risiko liegt in dem, was anschliessend geschieht. Werden die Bilder und die beim Scannen erhobenen Daten archiviert? Erhalten so private Sicherheitsfirmen oder auch staatliche Dienste Zugriff zum Beispiel auf Informationen über körperliche Einschränkungen des Betreffenden? Rechtsstaatlich geboten wäre die umgehende Vernichtung der Daten. So hat – in einer freilich nur entfernt vergleichbaren Sachlage – das deutsche Verfassungsgericht die automatisierte Erfassung von Autokennzeichen gebilligt, diese aber an Bedingungen geknüpft, darunter auch die, dass das Kennzeichen «ohne weitere Auswertung sofort und spurenlos gelöscht wird». Leider belehrt die Erfahrung darüber, dass die in Karlsruhe gesetzten Normen nicht immer und überall konsequent umgesetzt werden.

Ambivalenz des Steckbriefs

Von einem «Denken in der Logik des Steckbriefs» sprach der konservative Kultursoziologe Hans Freyer, als er sich vor nun bald fünfzig Jahren Gedanken über bürokratische Verwaltung in der Industriegesellschaft machte: «Nur dass der Steckbrief nicht dazu dient, jemand zu fangen, sondern ihn dingfest zu machen.» Heute betreiben dieses Geschäft nicht mehr bloss die staatlichen Bürokratien, sondern desgleichen die Wirtschaftsunternehmen, wenn sie in grossem Stil Kundendaten sammeln. Was unsere Neigungen und Interessen, Leiden und Bedürfnisse angeht, sind wir längst nackt, und mit den Körper-Scannern auf den Flughäfen nimmt diese informationelle Blösse bloss noch eine Wendung ins Anschauliche.

Und sind nicht wir alle, bis in die Freizeitvergnügen hinein, daran beteiligt, die Welt in Steckbriefen zu erfassen? Man denke nur an einen der neusten Dienste des Internet-Giganten Google, der nicht allein Landkarten und Satellitenbilder sowie Fotos von Strassenzügen und Häusern im Netz präsentiert und uns erlaubt, noch die entfernteste Lokalität auf den Bildschirm vor unserer Nase zu zoomen. Sondern der es überdies – unter dem Titel «Google goggles» – möglich macht, dass wir als Reisende an unbekanntem Ort mit dem Smartphone eine Foto der Umgebung schiessen, sie Google senden und sodann erfahren, welches Objekt da zu sehen ist. Wie komfortabel. Aber das ist ja die Tücke, die Ambivalenz der umfassend gescannten Welt: Ihre und unsere Nacktheit ist ebenso sehr Bedrohung wie Verlockung.

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