Mittwoch, Januar 27, 2010

Eine Epidemie der Selbstverliebtheit

Tages Anzeiger Online 26.01.2010
Eine Epidemie der Selbstverliebtheit
Von Klaus Wilhelm

Die Anzahl Narzissten nimmt rapide zu. Das belegen Studien aus den USA. Das Phänomen breitet sich auch in Europa aus, denn Selbstverliebtheit kommt in der Gesellschaft gut an.

Man könne ja glauben oder hoffen, «dass wir in Europa von der Epidemie des Narzissmus in den USA verschont geblieben sind», sagt der Psychologe Hans-Werner Bierhoff von der Ruhr-Universität Bochum. «Wahrscheinlich ist das aber nicht, ich fürchte, wir stecken mittendrin.»

Epidemie des Narzissmus? Tatsächlich häufen sich in den USA wissenschaftliche Daten, die auf eine immer höher schwappende Welle der Selbstverliebtheit unter jungen Menschen deuten. Jean Twenge spricht von der «Generation Me», der Generation Ich. «Narzissmus hat so viele negative Konsequenzen», sagt die Psychologin von der San Diego State University, «und trotzdem scheint unsere Kultur Narzissmus weitgehend zu akzeptieren.»

Bereits in der Antike bekannt

Das Phänomen des Narzissmus war bereits in der Antike bekannt. Narziss, ein 16-jähriger Jüngling aus der griechischen Mythologie, hat dem Narzissmus seinen Namen gegeben. Das Bürschchen versagte aus Stolz der Nymphe Echo seine Liebe, worauf ihn die gekränkte Dame mit einem Fluch belegte: Der Knabe musste sein Spiegelbild in jedem Wasser lieben, das sich ihm aber immer wieder entzog.

Im 20. Jahrhundert prägte die aufkeimende Klinische Psychologie die Bewertung des Phänomens, indem sie Kriterien für die Diagnose einer....


Tages Anzeiger Online 26.01.2010
Eine Epidemie der Selbstverliebtheit
Von Klaus Wilhelm

Die Anzahl Narzissten nimmt rapide zu. Das belegen Studien aus den USA. Das Phänomen breitet sich auch in Europa aus, denn Selbstverliebtheit kommt in der Gesellschaft gut an.

Man könne ja glauben oder hoffen, «dass wir in Europa von der Epidemie des Narzissmus in den USA verschont geblieben sind», sagt der Psychologe Hans-Werner Bierhoff von der Ruhr-Universität Bochum. «Wahrscheinlich ist das aber nicht, ich fürchte, wir stecken mittendrin.»

Epidemie des Narzissmus? Tatsächlich häufen sich in den USA wissenschaftliche Daten, die auf eine immer höher schwappende Welle der Selbstverliebtheit unter jungen Menschen deuten. Jean Twenge spricht von der «Generation Me», der Generation Ich. «Narzissmus hat so viele negative Konsequenzen», sagt die Psychologin von der San Diego State University, «und trotzdem scheint unsere Kultur Narzissmus weitgehend zu akzeptieren.»

Bereits in der Antike bekannt

Das Phänomen des Narzissmus war bereits in der Antike bekannt. Narziss, ein 16-jähriger Jüngling aus der griechischen Mythologie, hat dem Narzissmus seinen Namen gegeben. Das Bürschchen versagte aus Stolz der Nymphe Echo seine Liebe, worauf ihn die gekränkte Dame mit einem Fluch belegte: Der Knabe musste sein Spiegelbild in jedem Wasser lieben, das sich ihm aber immer wieder entzog.

Im 20. Jahrhundert prägte die aufkeimende Klinische Psychologie die Bewertung des Phänomens, indem sie Kriterien für die Diagnose einer «narzisstischen Persönlichkeitsstörung» postulierte. Darin fliessen beispielsweise Kriterien ein wie «grandioses Verständnis der eigenen Wichtigkeit», «Glaube an die eigene Einzigartigkeit», «Anspruchsdenken», «Arroganz» oder «Mangel an Einfühlungsvermögen».

«Schockierende Daten»

Die narzisstische Persönlichkeitsstörung ist die Extremform des klinisch unauffälligen «normalen» Narzissmus, der jetzt im Fokus vor allem von Sozialpsychologen wie Bierhoff oder Twenge steht. Seit 1979 befragten amerikanische Psychologen mittels eines standardisierten Tests regelmässig US-Studenten auf Narzissmus-Merkmale – bis 2009 fast 20'000 junge Frauen und Männer. Zeigten Mitte der Achtzigerjahre etwa 14 Prozent der Interviewten erhöhte Narzissmuswerte, waren es 2009 mehr als 25 Prozent. «Der Anstieg beschleunigt sich noch schneller, als wir dachten», sagt Twenge nach einer neuen vergleichenden Studie mit ihrem Kollegen Josh Foster von der University of South Alabama: Von 2002 bis 2007 stiegen die Werte doppelt so schnell wie zwischen 1982 und 2006.

Dazu kommen die für Twenge «schockierenden Daten» der nationalen Gesundheitsinstitute der USA. Deren Forscher haben 35'000 Amerikaner danach gefragt, ob sie sich an Symptome einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung in ihrem Leben erinnern. Resultat: 3 Prozent der über 65-Jährigen konnten das, bei den 20- bis 30-Jährigen waren es 10 Prozent. Selbst wenn den einen oder anderen Senior Gedächtnislücken plagen sollten, ist die Diskrepanz für die Psychologin deutlich: «Da kommt in den nächsten Jahrzehnten einiges auf uns zu», prognostiziert Twenge.

Hans-Werner Bierhoff bestätigt die Tendenzen für Europa. In einer seiner jüngsten Studien erwies sich jeder fünfte deutsche Student als übermässig narzisstisch. Die zunehmende Tendenz zur Individualisierung wirkt bis in die Familien hinein. «Welche Eltern gerade aus der oberen Mittelschicht glauben noch, ein ‹ganz normales Kind› zu haben?», fragt der Psychologe. «Da bleibt dem Kind nichts anderes übrig, als sich grandios zu finden.»

Nichts für Partnerschaften

Der Bochumer untersucht vor allem das kaum erforschte Feld des Narzissmus in der Partnerschaft. An einer gerade veröffentlichten Studie nahmen 250 Studenten teil, die seit durchschnittlich dreieinhalb Jahren eine Beziehung führen. Die Forscher ermittelten zunächst den Narzissmus der Personen. Danach beurteilten die Paare jeweils die eigene Attraktivität und die des Partners: Dabei ging es um die Wahrnehmung der äusseren Erscheinung, um Statusfragen wie Bildung und Einkommen oder auch um die Anziehungskraft des anderen.

Klares Ergebnis: «Je narzisstischer ein Partner», sagt Bierhoff, «umso mehr überschätzt er die eigene Attraktivität» – und mithin den eigenen Beitrag zur Partnerschaft. Durch die verzerrte Selbstwahrnehmung bewerteten die Narzissten die Leistung des Partners geringer als die eigene und würdigen sie kaum. «Die narzisstische Person setzt den Partner ständig unter Druck», sagt Bierhoff. Seine gut gemeinte Empfehlung: «Finger weg von einem narzisstischen Menschen!» Das dürfte aber schwierig werden, vor allem weil Narzissten meist unterhaltsam und witzig sind. Das kann attraktiv wirken, zumal das überbordende Ego oft zu beruflichem Erfolg verhilft. Doch «als Partner kann die charmante Bekanntschaft später selten halten, was sie verspricht», warnt der Psychologe und Autor des Buches «Narzissmus – die Wiederkehr».

Eitle Selbstverliebtheit bei Frauen steigt

Den jüngsten Untersuchungen zufolge nimmt die eitle Selbstverliebtheit auch unter Frauen zu, wenngleich Männer noch immer dominieren. In einer Medienwelt, die nach narzisstischen Promis oder Pseudopromis giert, erscheint der Trend zwangsläufig. Entsprechend zeigen jüngste Untersuchungen unter Schauspielern und Musikern deutlich erhöhte Narzissmuspegel im Vergleich zu einer Gruppe von Nichtpromis. An der Spitze: Gewinner von Casting-Shows oder Reality-Sendungen im Fernsehen.

Rabiat kulturpessimistisch vermutet die Psychologin Susan Linn von der Harvard University, dass derlei TV-Sendungen zu stetig wachsender Akzeptanz narzisstischer Tendenzen führen. «Ein Desaster für Kinder», findet Linn, «da werden ungesunde Werte vermittelt und falsche Erwartungen an das Leben.» Es gibt aber auch andere Stimmen, etwa von der Psychologin Kali Trzesniewski von der University of Western Ontario in Kanada. Junge Menschen heute seien sich halt «ihrer potenziell zahllosen Möglichkeiten bewusst». Das könne dann schon sehr selbstbezogen wirken. (Tages-Anzeiger)

Erstellt: 26.01.2010, 04:00 Uhr

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