Dienstag, Januar 26, 2010

Oel: Am Kaspischen Meer kämpft jeder gegen jeden

23. Januar 2010, Neue Zürcher Zeitung
Am Kaspischen Meer kämpft jeder gegen jeden

Aserbeidschan spielt eine neue Runde des «Great Game» um die Bodenschätze zwischen Europa und Asien

Um das Kaspische Becken und dessen Bodenschätze haben lange die USA und Russland gerungen. Die Konfrontation der zwei ist unterdessen einem Durcheinander gewichen, in dem alle ihren Vorteil suchen.

Eric Gujer, Baku

Im Sonnenlicht glänzen die Schiffe und ihre Aufbauten draussen auf dem Meer vor Istanbul: die roten und grünen Container der Frachtschiffe, die mächtigen Rümpfe der Tanker, dazwischen flinke Fischerboote und Fähren. Der Bosporus ist eine der am meisten befahrenen Meerengen der Welt und ein geopolitischer Vorteil der Türkei. Das Land kontrolliert den Zugang zum Schwarzen Meer, in seinem Mittelmeerhafen bei Ceyhan endet eine wichtige Pipeline. Was eine günstige Lage wert ist, erkennt man drei Flugstunden weiter östlich, wenn man das karge Hochland Anatoliens und die Ausläufer des Kaukasus überquert hat. Aserbeidschan besitzt Öl und Gas im Überfluss, aber es liegt gefangen im Kaspischen Becken, ein Binnenland, das für den Transport seiner Bodenschätze auf....

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23. Januar 2010, Neue Zürcher Zeitung
Am Kaspischen Meer kämpft jeder gegen jeden

Aserbeidschan spielt eine neue Runde des «Great Game» um die Bodenschätze zwischen Europa und Asien

Um das Kaspische Becken und dessen Bodenschätze haben lange die USA und Russland gerungen. Die Konfrontation der zwei ist unterdessen einem Durcheinander gewichen, in dem alle ihren Vorteil suchen.

Eric Gujer, Baku

Im Sonnenlicht glänzen die Schiffe und ihre Aufbauten draussen auf dem Meer vor Istanbul: die roten und grünen Container der Frachtschiffe, die mächtigen Rümpfe der Tanker, dazwischen flinke Fischerboote und Fähren. Der Bosporus ist eine der am meisten befahrenen Meerengen der Welt und ein geopolitischer Vorteil der Türkei. Das Land kontrolliert den Zugang zum Schwarzen Meer, in seinem Mittelmeerhafen bei Ceyhan endet eine wichtige Pipeline. Was eine günstige Lage wert ist, erkennt man drei Flugstunden weiter östlich, wenn man das karge Hochland Anatoliens und die Ausläufer des Kaukasus überquert hat. Aserbeidschan besitzt Öl und Gas im Überfluss, aber es liegt gefangen im Kaspischen Becken, ein Binnenland, das für den Transport seiner Bodenschätze auf den Goodwill der Nachbarn angewiesen ist.

Geopolitischer Balanceakt

Rund ums Kaspische Meer wird die zweite Runde des grossen Spiels ausgetragen, das bereits in den neunziger Jahren die Phantasie der Strategen in Washington und Moskau erhitzte. Damals mussten die in der Sowjetunion vernachlässigten Vorkommen erforscht, neue Förderanlagen errichtet und der Reichtum zwischen Aserbeidschan und den internationalen Energiekonzernen verteilt werden. Inzwischen ist die Ölproduktion von 180 000 Fass am Tag im Jahr 1997 auf knapp 900 000 Fass gestiegen. Die nachgewiesenen Reserven betragen 7 Milliarden Fass – und noch einmal 1,2 Billionen Kubikmeter Erdgas. In der Hauptstadt Baku haben Hochhäuser mit viel Marmor die heruntergekommenen Backsteinbauten der Sowjetzeit verdrängt; statt einer Schlaglochpiste führt eine sechsspurige Autobahn vom Flughafen ins Zentrum.

Die Basis für den Boom ist gelegt, doch jetzt wird erneut darum gerungen, wer die Ressourcen und damit Aserbeidschan künftig kontrolliert. Die Regierung des langjährigen Präsidenten Haidar Alijew hatte sich nach dem Zerfall der Sowjetunion aus dem Schatten Moskaus gelöst und – gestützt auf den Ölreichtum – eine geschickte Schaukelpolitik zwischen West und Ost betrieben. Alijew verdarb es sich mit Moskau nicht, aber er lehnte sich zugleich an die Türkei und die USA an. Während die kaukasischen Nachbarn Georgien und Armenien zu Hinterhöfen Amerikas und Russlands herabsanken, wahrte Aserbeidschan seine Selbständigkeit.

Orientalische «Monarchie»

Unterdessen ist die Macht, einer orientalischen Erbmonarchie nicht unähnlich, auf Alijews Sohn Ilham übergegangen, und neue Allianzen oder mindestens taktische Bündnisse zeichnen sich ab. Denn ausgerechnet das Verhältnis zur ethnisch und sprachlich verwandten Türkei, die sich als Schutzmacht Bakus sieht, ist merklich abgekühlt.

Ankara, das in den neunziger Jahren damit gescheitert war, sich als Führungsmacht der turksprachigen Staaten Zentralasiens zu etablieren, konzentriert sich nun auf seine engere Nachbarschaft. Das Land, das selbst nicht über Energievorräte verfügt, will zur unangefochtenen Transport-Drehscheibe für die Bodenschätze des Kaspischen Beckens aufsteigen. Durch den Bosporus wird schon kasachisches und aserbeidschanisches Öl verschifft, das in Pipelines bis zum Schwarzen Meer fliesst. Neben der bestehenden Ölleitung von Aserbeidschan in den türkischen Mittelmeerhafen bei Ceyhan wird zudem eine Gaspipeline gebaut. Weitere Leitungen sind in Planung, und Ankara nutzt diese neuerdings als Druckmittel gegen Baku. So verzögert die Türkei ein Transitabkommen für die künftige Nabucco-Pipeline, die aserbeidschanisches Gas in die EU leiten soll.

Baku reagiert darauf, indem es mit Moskau zusammenspannt. Aserbeidschan liefert ab nächstem Jahr Gas nach Russland und plant zu diesem Zweck, alte sowjetische Pipelines nachzurüsten. Dies ist eine Kehrtwende gegenüber den neunziger Jahren, als Aserbeidschan noch mit Hilfe Washingtons alles unternahm, um sich durch den Bau neuer Leitungen durch Georgien und die Türkei aus der Abhängigkeit vom Kreml zu befreien. Russland, das lange als Hegemon der Region beargwöhnt wurde, löst heute weniger Berührungsängste aus. So hat Moskau den Dialog mit den Anrainern des Kaspischen Meeres intensiviert und führt Gespräche über eine Zusammenarbeit in Bereichen wie Grenzsicherheit.

Russland kooperiert beim Pipelinebau auch mit der Türkei, getrieben von dem Ziel, den Transport aller Energieträger aus Kasachstan und den anderen zentralasiatischen Staaten am Ostufer des Kaspischen Meeres zu kontrollieren. Zugleich versucht Moskau, Ankara politisch stärker an sich zu binden, um so den amerikanischen Einfluss im Kaukasus zu verringern. Ausserdem will der Kreml Georgien als bisher wichtigstes Transitland isolieren, indem er durch neue Leitungen möglichst viel Öl und Gas an Georgien vorbeilenkt. Iran und neuerdings China, das sich nachdrücklich Zugang zum zentralasiatischen Gas zu verschaffen sucht, gehören zu den weiteren Akteuren in diesem «Great Game». Die klare Schlachtordnung des vorigen Jahrzehnts, als es hauptsächlich darum ging, Alternativen zum russischen Leitungsnetz zu schaffen, ist längst einem Durcheinander gewichen, in dem jeder seinen Vorteil sucht. Öl und Gas bedeuten Macht – und Pipelines. Wer an diesem eurasischen Schachbrett, wie es der frühere amerikanische Sicherheitsberater Zbignew Brzezinski genannt hat, als Sieger hervorgeht, ist noch nicht ausgemacht. Die Europäer werden es vermutlich nicht sein, denn sie verfolgen divergierende energiepolitische Interessen und Pipelineprojekte. Der Einfluss der USA in der Region ist seit der Niederlage ihres Schützlings Georgien im Krieg gegen Russland ebenfalls zurückgegangen, zudem hat Washington noch keine Antwort auf die neuen Allianzen am Kaspischen Meer. Moskau macht auf Kosten Amerikas Boden gut.

Auch Aserbeidschans Position ist noch nicht gefestigt. Der politische Analyst und Autor Tabib Huseynov warnt Baku davor, zu hoch zu pokern. Denn die Türkei bleibe die wichtigste Transitroute für Aserbeidschan und letztlich auch ein zuverlässigerer Partner als Russland. Die Regierung in Baku strotzt indessen vor Selbstbewusstsein. Westliche Diplomaten beklagen, dass das Alijew-Regime immer weniger zugänglich sei beispielsweise für Ermahnungen wegen der zahlreichen Menschenrechtsverstösse.

Die Zeit der Ungewissheit nach dem Untergang der Sowjetunion, als die junge Republik eine neue Orientierung suchte, ist jedenfalls vorbei. Vor der Finanzkrise war Aserbeidschan mit einer Rate von mehr als 30 Prozent die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft der Welt. Der markante Rückgang des Ölpreises im Gefolge der globalen Rezession hat dem extremen Höhenflug zwar ein Ende gesetzt, aber die Öl- und Gasreserven spülen auch bei niedrigeren Erlösen gewaltige Summen in den Staatshaushalt.

Petro-Pfründen

Aserbeidschan ist das klassische Beispiel für den «Fluch des Öls», also die Abhängigkeit einer Volkswirtschaft von Bodenschätzen. Die hohen Wachstumsraten gehen ausschliesslich auf die Einnahmen für Öl und Gas zurück, während andere Industriezweige im Schatten der Petro-Profite verkümmern. Das leicht verdiente Geld führt bei schwachen staatlichen Institutionen auch zu einer endemischen Korruption. Wer in Baku ein Auto einlösen möchte, muss auf der Zulassungsstelle nacheinander bei 13 Beamten vorsprechen. Und alle erwarten einen Obolus. Sie kopieren damit nur, was sich an der Spitze des Gemeinwesens abspielt, denn die wichtigsten Unternehmen und die lukrativsten Immobilien befinden sich in der Hand weniger einflussreicher Familien.

Wenn der Wohlstand nur aus einer einzigen Quelle sprudelt, dann ist die Versuchung für die Herrschenden gross, nach totaler Kontrolle zu streben. Der Alijew-Clan verfügt dank der staatlichen Ölgesellschaft und einem vom Präsidenten beaufsichtigten Ölfonds nach Gutdünken über die Rohstoff-Einnahmen. Auch die politische Macht unterliegt in Petro-Staaten ohne gefestigte Demokratie oft einem Konzentrationsprozess. «Während der Vater Alijew in den neunziger Jahren noch eine schwache Opposition zuliess, hat sein Sohn Ilham diese Kräfte völlig marginalisiert», sagt die regimekritische Journalistin Khadija Ismayilova. Vor kurzem wurden zwei Blogger zu Haftstrafen verurteilt – angeblich wegen Körperverletzung und Rowdytum, in Wirklichkeit aber, weil sie die politische Elite mit Eseln verglichen hatten.

Bewegungsspielraum


Ernsthafte Kritik aus dem Ausland muss die Regierung nicht fürchten, denn Aserbeidschan bleibt ein wirtschaftlich interessanter Partner. Auch der Balanceakt zwischen Ost und West verschafft Baku in einer Region, in der sonst Klientelstaaten Moskaus oder Washingtons vorherrschen, einen zusätzlichen Bewegungsspielraum – zumal die politischen Verhältnisse rund ums Kaspische Meer in Bewegung geraten sind. Manche Konstanten zeigen allerdings erhebliche Beharrungskraft. So blockiert Moskau seit den neunziger Jahren die Verhandlungen über den rechtlichen Status des Binnenmeeres. Ohne eine Einigung können am Meeresboden zwischen Aserbeidschan und Zentralasien keine Leitungen gebaut werden, mit denen sich Russland umgehen liesse. Letztlich dreht sich in dieser Region eben alles um die Frage, wie Öl und Gas aus diesem von Politik und Geografie bedrängten Becken zu den Kunden gebracht werden können.

Am Hafen von Baku mit seinem ausgedehnten Park hat sich vieles verändert. Wo früher eine kaukasische Schaschlik-Bude stand, wartet nun ein blitzblankes, rundum verglastes Karussell auf die Kinder der neuen Mittelschicht. Auf Englisch preist ein Stand Zuckerwatte und andere Süssigkeiten an. Nur das Kaspische Meer hat sich nicht verändert: Die grauen Wogen, die an die Mole schlagen, sehen aus wie Meereswellen; die salzige Luft schmeckt nach grenzenloser Weite – aber eigentlich ist es nur ein von der eurasischen Landmasse umgebener See.

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