Freitag, April 30, 2010

Fliegen trotz Vulkanasche

28. April 2010, Neue Zürcher Zeitung
Fliegen trotz Vulkanasche
Der Weg zu einem sicheren Grenzwert für die Luftfahrt ist noch weit

Bisher galt die Devise: Flugzeuge sollen Vulkanasche auf jeden Fall meiden. Nun aber wollen Industrie und Behörden diese strenge Regelung lockern. Die Frage ist nur, wie viel Asche die Maschinen aushalten können.

Hanna Wick

Am Himmel über Europa ist alles wieder beim Alten. Der Eyjafjallajökull spuckt kaum noch Asche, die Flugzeuge fliegen nach Plan. Und trotzdem herrscht bei Behörden und Luftfahrtindustrie Hochbetrieb. Denn hier hat das Ringen um einen besseren Umgang mit Vulkanasche begonnen. Bisher hiess es im Protokoll: Wo Asche ist – und sei es auch noch so wenig –, dürfen keine Flugzeuge fliegen. Heute empfinden viele Experten diese Nulltoleranz-Strategie als zu streng. Vor allem die Airlines drängen auf einen Grenzwert für Vulkanasche, unterhalb dessen der Flugverkehr nicht eingeschränkt werden müsste. So einen Wert zu definieren, ist allerdings alles andere als einfach.

Aus der Geschichte gelernt


Dass die bisherige Regelung so strikt ist, hat mit dramatischen Ereignissen der Vergangenheit zu tun: 1982 gerieten...



28. April 2010, Neue Zürcher Zeitung
Fliegen trotz Vulkanasche
Der Weg zu einem sicheren Grenzwert für die Luftfahrt ist noch weit


Bisher galt die Devise: Flugzeuge sollen Vulkanasche auf jeden Fall meiden. Nun aber wollen Industrie und Behörden diese strenge Regelung lockern. Die Frage ist nur, wie viel Asche die Maschinen aushalten können.

Hanna Wick

Am Himmel über Europa ist alles wieder beim Alten. Der Eyjafjallajökull spuckt kaum noch Asche, die Flugzeuge fliegen nach Plan. Und trotzdem herrscht bei Behörden und Luftfahrtindustrie Hochbetrieb. Denn hier hat das Ringen um einen besseren Umgang mit Vulkanasche begonnen. Bisher hiess es im Protokoll: Wo Asche ist – und sei es auch noch so wenig –, dürfen keine Flugzeuge fliegen. Heute empfinden viele Experten diese Nulltoleranz-Strategie als zu streng. Vor allem die Airlines drängen auf einen Grenzwert für Vulkanasche, unterhalb dessen der Flugverkehr nicht eingeschränkt werden müsste. So einen Wert zu definieren, ist allerdings alles andere als einfach.

Aus der Geschichte gelernt


Dass die bisherige Regelung so strikt ist, hat mit dramatischen Ereignissen der Vergangenheit zu tun: 1982 gerieten zwei Boeing 747 mitten in die Aschewolke des indonesischen Vulkans Galunggung. Für die Piloten war die Wolke unsichtbar, weil der Bordradar die winzigen Partikel nicht entdecken kann. Innert weniger Minuten fielen bei beiden Maschinen alle vier Triebwerke aus. Erst nach mehreren Versuchen konnten die Piloten die Turbinen wieder starten und im nahen Jakarta landen. Passagiere wurden keine verletzt; die Triebwerke mussten komplett ersetzt werden.

Die Vorfälle waren ein Weckruf für die Luftfahrt. Sie zeigten, dass die Begegnung von Flugzeugen mit vulkanischer Asche Leben kosten könnte. Und dass sie enorme Reparaturkosten verursacht. Seither gilt die Devise, Aschewolken wenn immer möglich zu meiden; so empfehlen es Airlines und Flugzeughersteller in ihren Handbüchern. Sofort rief die Internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO eine Arbeitsgruppe für die Warnung vor Vulkanasche ins Leben und etablierte ein Überwachungssystem. Es wurden Regeln aufgestellt, wie Daten über Eruptionen gesammelt und ausgewertet werden sollen und wie Piloten über Ausbrüche auf ihren Flugrouten zu informieren sind. Denn es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwo auf der Welt ein Vulkan aktiv ist.

Bei den meisten Vulkanausbrüchen werden die Flüge heute einfach um die Aschewolke herum gelenkt, ohne dass die Passagiere davon etwas mitbekommen. Einen zentralen Part spielen dabei die neun Volcanic Ash Advisory Centres. Sie haben den globalen Luftraum unter sich aufgeteilt und modellieren jeweils für ihr Gebiet das Auftreten von Vulkanasche in der Luft. Wegen ihrer Warnungen werden immer wieder zahlreiche Flüge annulliert – in jüngerer Vergangenheit zum Beispiel beim Ausbruch des Kasatochi auf den Aleuten im Jahr 2008. Nur selten hingegen kommt jede Warnung zu spät, und eine Maschine gerät unerwartet in eine Aschewolke. Bis heute sind insgesamt 90 solche Fälle bekannt; in 7 davon fielen Triebwerke aus, noch nie aber ist eine Maschine abgestürzt.

Grundsätzlich ist die Nulltoleranz- Strategie also erfolgreich. Trotzdem machen sich Experten schon lange Gedanken darüber, wie man einen Grenzwert für Vulkanasche festlegen könnte, damit es nicht zu übertriebenen Luftraumsperren kommt. Das Thema stand immer wieder auf der Traktandenliste der ICAO-Arbeitsgruppe, so auch bei der letzten Sitzung im März in Chile. Doch auch diesmal habe niemand eine Antwort darauf gewusst, wo der Grenzwert liegen könnte, sagt Fred Prata vom Norwegian Institute for Air Research. Auch die anwesenden Industrievertreter zeigten sich ratlos.

Asche im Getriebe

Dabei sind die Effekte von Vulkanasche auf Triebwerke im Prinzip gut bekannt. Die feinen, harten Partikel können die rotierenden Teile am Eingang der Turbinen abschmirgeln, zum Beispiel die Schaufeln des Verdichters (siehe Grafik). Das verschlechtert die Effizienz der Triebwerke und ihre Schubkraft. Die Vulkanasche wirkt hier ähnlich wie Wüstensand, der vor allem im Nahen Osten und in Afrika ein Problem ist. Flugzeuge, die dort unterwegs sind, müssen öfter gewartet werden. Einige wenige Triebwerkhersteller wie die deutsche Firma MTU Aero Engines bieten deshalb neuerdings spezielle Schutzschichten an, mit denen die Bauteile überzogen werden können. Sie basieren auf ultraharten Metall-Keramiken und würden möglicherweise auch gegen die erodierende Wirkung von Vulkanasche helfen.

Doch damit wäre das Problem Vulkanasche noch lange nicht aus der Welt. Weitaus schlimmer als die Erosion ist es nämlich, wenn die Asche tief ins Triebwerk vordringt: In den Brennkammern moderner Maschinen liegen die Temperaturen bei 1300 bis 1500 Grad Celsius – zumindest dann, wenn sie nicht im Leerlauf sind. Die Vulkanasche aber besteht zu einem Grossteil aus Silikaten, die schon bei rund 1100 Grad schmelzen. Sie wird also flüssig und lagert sich weiter hinten als dicke Glasschicht auf den Turbinenschaufeln ab. Manchmal blockiert sie auch die Kanäle für die Kühlluft und die Treibstoffeinspritzdüsen. All das kann das Triebwerk zerstören.

Vollständig vor der Verglasung schützen lassen sich Triebwerke nicht. Ein Filter vor der Turbine müsste sehr fein sein, um die winzigen Aschepartikel tatsächlich aus dem reissenden Luftstrom aussondern zu können. Das aber würde die Effizienz des Triebwerks enorm verringern und den Treibstoffverbrauch in die Höhe schnellen lassen. Glücklicherweise platzt die Verglasung teilweise wieder ab, wenn die Turbinenschaufeln erkalten. Diese bestehen nämlich aus Metall und ziehen sich deshalb beim Abkühlen stärker zusammen als die Glasschicht, wie Christoph Leyens vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt erklärt. Das Glas bricht in Stücke und wird vom Luftstrom weggeblasen. Daraufhin können die Triebwerke oft wieder gestartet werden.

Neben den Triebwerken zieht die Asche auch andere Flugzeugteile in Mitleidenschaft: Sie macht Geschwindigkeitsmesser untauglich, verschmutzt die Tanks und schmirgelt im Extremfall die Scheiben blind. Das beschert den Fluggesellschaften hohe Wartungskosten.

Unklar ist allerdings, ab welchen Asche-Konzentrationen die Schäden auftreten. Das ganze heutige Wissen stammt aus Untersuchungen von Flugzeugen, die durch Aschewolken geflogen sind. Aus solchen historischen Daten lassen sich aber schon deshalb keine Grenzwerte ableiten, weil man die damaligen Asche-Konzentrationen in der Luft meist nicht kennt. Klar sei heute nur, dass 50 Milligramm Asche pro Kubikmeter definitiv gefährlich seien, so Prata. Ebenso wenig weiss man darüber, welchen Einfluss die Grösse der Aschekörner hat und wie unterschiedliche Typen von Triebwerken reagieren.

Um all dies herauszufinden, müsste die Triebwerkindustrie Tests am Boden durchführen. Dabei würde man in einem Windkanal unter kontrollierten Bedingungen Vulkanasche in ein laufendes Düsentriebwerk hineinströmen lassen und danach die Schäden systematisch erfassen – ähnlich, wie dies für Wüstensand heute schon gemacht wird. Bisher haben die Hersteller solche kostspieligen Untersuchungen für Vulkanasche unterlassen. Es gebe bei der Zertifizierung von Triebwerken keine entsprechenden Auflagen, die solche Tests erforderten, heisst es beim Hersteller Pratt & Whitney. Andere Firmen wie Rolls-Royce und Snecma geben derzeit überhaupt keine Auskunft zum Thema.

Viele Forscher vermuten indes, dass die Unternehmen mehr wissen über die Anfälligkeit ihrer Turbinen auf Vulkanasche, als sie zugeben. «Es hat sicher schon mehr Begegnungen mit Asche gegeben, als gemeldet wurden», sagt William Rose von der Michigan Technological University. Man habe die Hersteller immer wieder nach Daten dazu gefragt, doch sie hätten nichts herausgegeben. Das dürfte sich nun ändern: Mit dem Ausbruch des Eyjafjallajökull hat das Problem weltweit an Priorität gewonnen. Jetzt fordern die Airlines die Hersteller plötzlich mit Nachdruck auf, Sicherheitsspannen für ihre Triebwerke anzugeben. Es gebe nicht nur Schwarz und Weiss, sondern einen Graubereich, so Steve Lott vom Welt-Dachverband der Fluggesellschaften, Iata.

Aus dem Hut gezaubert?

Zusätzlichen Druck hat vergangene Woche die britische Civil Aviation Authority (CAA) aufgebaut. Sie setzte ad hoc einen Grenzwert von 2 Milligramm Asche pro Kubikmeter fest. In Gebieten mit niedrigeren Asche-Konzentrationen durfte ab Mittwoch wieder geflogen werden. Gemäss diesem Wert hätte der Luftraum grösstenteils gar nicht gesperrt werden müssen. Die höchste über Mitteleuropa gemessene Konzentration vulkanischer Partikel lag bei etwa 0,6 Milligramm pro Kubikmeter. Dieser Wert wurde über dem Schweizer Mittelland gemessen; andernorts in Europa lag die Konzentration oft deutlich tiefer.

Offenbar hat die CAA ihren Wert in Zusammenarbeit mit der Industrie erarbeitet. Das wird vom Triebwerkhersteller General Electric bestätigt. Zur Frage, wie es gelingen konnte, so rasch eine Einigung zu erzielen, wo man doch schon lange nach einem Grenzwert sucht, wollte die CAA allerdings nicht Stellung nehmen. Die Kritik vonseiten der Forschung liess jedenfalls nicht lange auf sich warten. Der Wert vernachlässige die Expositionszeit, sagt Thomas Peter von der ETH Zürich – also jene Zeitspanne, in der ein Flugzeug der Asche ausgesetzt ist. Das sei ein grosses Manko, meint auch Thomas Casadevall vom United States Geological Survey. Zudem sage der Wert nichts über die Partikelgrösse der Asche aus. Ein guter Grenzwert sollte all diese Aspekte widerspiegeln. Dennoch dürfte der britische Wert nun als Ausgangspunkt für die Gespräche bei der ICAO dienen.

Doch auch wenn sich die Parteien dort bald auf einen Grenzwert einigen sollten, bleibt ein Problem bestehen: dass sich die Konzentration und die Partikelgrösse der Asche nicht für jeden Kubikmeter Himmel genau messen lassen. Nicht überall gibt es Flugzeuge mit entsprechenden Instrumenten, die man rasch losschicken kann. Dasselbe gilt für Laser, welche die Asche vom Boden aus vermessen. Ausserdem ändern sich Aschewolken laufend. Extrapolationen werden also wichtig bleiben. Heute verwenden die Volcanic Ash Advisory Centres eine Art Wettermodell, das die Ascheverteilung in der Atmosphäre simuliert. Es wird laufend mit neuen Berichten von Augenzeugen und Satellitendaten gefüttert und so verfeinert.

Eine andere Möglichkeit wäre, jedes Flugzeug mit einem Infrarotsensor auszustatten. Im Infrarotlicht lassen sich Aschepartikel von anderen Teilchen wie Wasser und Schwefelgasen unterscheiden. Prata hat schon vor mehreren Jahren einen solchen Sensor entwickelt und laut eigenen Angaben erfolgreich getestet. Das Gerät würde um die 30 000 Dollar kosten – bisher zu viel für die Airlines. Nach den Erfahrungen mit dem Eyjafjallajökull könnten sie nun aber zu dieser Investition bereit sein.

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