Donnerstag, April 15, 2010

«Zürich ist eine Sexdestination, dazu sollte man endlich stehen»

«Zürich ist eine Sexdestination, dazu sollte man endlich stehen»
Interview: Tina Fassbind

Die Arbeitsbedingungen für die Prostituierten an der Langstrasse werden immer härter. Lea Bösiger, Beraterin für Sexworkerinnen, kennt die Probleme der Frauen. Und sie weiss, was Freier verlangen.

Lea Bösiger

Seit 10 Jahren ist Lea Bösiger in der Beratung- und Anlaufstelle «Isla Victoria» tätig. Davor arbeitete sie bereits bei der Aidsberatung Kanton Aargau und hatte in dieser Funktion täglich mit Sexworkerinnen zu tun. «Isla Victoria» ist ein Angebot der Zürcher Stadtmission und richtet sich an Frauen, die im Sexgewerbe arbeiten. Täglich besuchen rund 60 Sexworkerinnen die Anlaufstelle. «Wir besprechen alles, was Frauen bewegt – von persönlichen Dramen und Beziehnungsproblemen bis hin zu Erziehungsfragen und Pflichten im Aufenthaltsland», sagt Bösiger.

Immer mehr Roma-Frauen weichen vom Strassenstrich am Sihlquai ins Langstrassenquartier aus. Wie akut ist die Situation?
Es gab schon früher vereinzelt Prostituierte aus Ungarn, aber keine Romas. Im vergangenen Jahr haben rund 300 Prostituierte aus Ungarn während je 90 Tagen legal an der Langstrasse angeschafft. Die Lage ist....


«Zürich ist eine Sexdestination, dazu sollte man endlich stehen»
Interview: Tina Fassbind


Die Arbeitsbedingungen für die Prostituierten an der Langstrasse werden immer härter. Lea Bösiger, Beraterin für Sexworkerinnen, kennt die Probleme der Frauen. Und sie weiss, was Freier verlangen.

Immer mehr Roma-Frauen weichen vom Strassenstrich am Sihlquai ins Langstrassenquartier aus. Wie akut ist die Situation?
Es gab schon früher vereinzelt Prostituierte aus Ungarn, aber keine Romas. Im vergangenen Jahr haben rund 300 Prostituierte aus Ungarn während je 90 Tagen legal an der Langstrasse angeschafft. Die Lage ist also noch nicht so angespannt. Aber wie jede neue Ethnie, die in einem bestimmten Bereich in Erscheinung tritt, fallen diese Frauen auf.

Wie erleben Sie bei Ihrer Arbeit in der Beratungsstelle Isla Victoria die Roma-Frauen?
Wir haben noch nie negative Erfahrungen mit ihnen gemacht. Sie sind ausgesprochen nett, freundlich und anständig. Und sie sind im allgemeinen gerne hier, selbst wenn sie oft in beengten Wohnsituationen leben und wirtschaftlich unter Druck stehen. Mir fällt allerdings auf, dass viele von ihnen im Vergleich zu anderen Sexworkerinnen physisch und psychisch verbraucht wirken.

Warum ist das so?
Viele haben kein Geld. Wer arm ist, kann sich keinen Arzt leisten. Grippen werden nicht auskuriert, Zähne sind kaputt – da sieht man nicht aus wie eine blühende Rose.

Würden Sie die Roma-Frauen als Opfer bezeichnen, die in die Prostitution gedrängt werden?
Die Roma-Frauen gehören einem Kulturkreis an, der bereits im Heimatland grosse Probleme hat. Ihr Bildungsniveau ist schlecht, viele sind Analphabetinnen. Sie haben oft keine andere Möglichkeit, ihr Geld zu verdienen. Kommt hinzu, dass oft schon ihre Mütter angeschafft haben. Sie kennen nichts anderes. Ich sehe diese Frauen aber nicht generell als Opfer. Sie gehen einem Beruf nach wie andere auch.

Ist der Konkurrenzdruck zwischen den Prostituierten härter geworden?
Ja. Die Roma-Frauen gehen fordernder und direkter vor, als die anderen Frauen an der Langstrasse. Zudem steigt die Polizeipräsenz, wenn es mehr Prostituierte hat. Was wiederum zur Folge hat, dass weniger Freier unterwegs sind. Die Prostituierten verdienen also weniger – aber sie verdienen immer noch.

Gegenüber Rolf Vieli von Langstrasse Plus haben sich Prostituierte darüber beklagt, dass die Roma-Frauen alles tun und das zu Dumpingpreisen. Damit würden sie sie das Geschäft vermiesen. Ist das so?
Es gibt tatsächlich eine Änderung im Sexualverhalten: Es wird mehr Analverkehr verlangt. Warum das so ist, weiss ich nicht. Vielleicht liegt es an den neuen Pornos, in denen Analverkehr dazu gehört. Die meisten Prostituierten im Langstrassenquartier sind allerdings freischaffend und tun nur das, was sie machen möchten.

Gibt es denn keine Zuhälter an der Langstrasse?
Nein, die Geschichten von Zuhältern sind Märchen. Zumindest an der Langstrasse. Die gab es in den 50ern. Heute sind sie verschwunden. Mit den Roma-Clans fängt die Zuhälterei allerdings wieder an. Unter den Zuhältern sind übrigens auch Frauen.

Und damit geraten die Frauen wieder in die Abhängigkeit und werden Opfer von Gewalt?

Die Gewalt hat tatsächlich leicht zugenommen. Aber dieses Phänomen betrifft die gesamte Gesellschaft – und das Sexmilieu reagiert immer besonders sensibel auf solche Veränderungen. Zu Vergewaltigungen kommt es im Sexgewerbe allerdings nicht häufiger als im Familien- und Freundeskreis. Wenn es zu solchen Übergriffen kommt, dann schalten wir die Polizei ein und klären ab, ob die Frau zu einem Arzt muss und ob sie eine Anzeige erstatten will. Das kommt aber Gott sei Dank nicht oft vor.

Wie ist der Gewalt im Sexgewerbe am besten beizukommen?
Je emanzipierter die Gesellschaft mit dem Thema Prostitution umgeht, desto grösser ist der Schutz der Frauen. Ein toleranter Umgang mit Sexarbeit führt zu weniger Frauenhandel und weniger Gewalt. Je mehr Repressionen und je starrer die Formen sind, desto schlechter ist es für die Frauen. Viele verfolgen allerdings genau dieses Ziel: Sie wollen alles kontrollieren. Sexualität ist aber nicht kontrollierbar – auch wenn viele Leute froh darüber wären.

Und was kann die Stadt Zürich unternehmen, um die Macht der Roma-Clans einzudämmen?
Die Stadt hat schon im Zuge der Euro versucht, repressiver vorzugehen. Ich denke, es wäre besser, die Langstrasse klar als Rotlichtmilieu zu markieren. Zürich ist eine Sexdestination und man hat das Bedürfnis nach käuflichem Sex. Dazu sollte man endlich stehen.

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