Mittwoch, April 28, 2010

«Mehr Demokratie in der Wirtschaft fände ich angebracht»

Tages Anzeiger Online 26.04.2010
«Mehr Demokratie in der Wirtschaft fände ich angebracht»
Von Simone Meier.

Der Psychoanalytiker Peter Schneider spricht über den bösen Blick der Neidgesellschaft, erklärt, weshalb wir Vulkanen einfach nicht böse sein können, und plädiert für eine muntere Skepsis.

Wir wundern uns alle über das Geld, das so dreist in den Manager-Etagen der Grossbanken verlocht wird, und sind neidisch und hätten für unsere harte Büez auch gerne mehr. Und ich frage mich: Braucht es den Neid an sich eigentlich als Motor für unsere Leistungsgesellschaft?
Ich brauchte ihn nicht; mir würde das Geld allein völlig reichen. Aber Ihnen wahrscheinlich meine Antwort nicht. Also: Neid ist ein heikler Affekt; gerade wenn er als Motor funktionieren soll, muss er diskret bleiben bzw. darf sich nur in seiner zivilisierten Form – als neidlos neidische Anerkennung äussern. Purer Neid spornt nämlich keineswegs automatisch zu eigenen Leistungen an, sondern vor allem dazu, die Leistungen anderer herabzusetzen oder zu zerstören. Der böse Blick vergiftet aber nicht nur die Seelen der Neider, er schüchtert auch die Beneideten ein. Eine lediglich durch Neid angetriebene Leistungsgesellschaft....


Tages Anzeiger Online 26.04.2010
«Mehr Demokratie in der Wirtschaft fände ich angebracht»
Von Simone Meier.

Der Psychoanalytiker Peter Schneider spricht über den bösen Blick der Neidgesellschaft, erklärt, weshalb wir Vulkanen einfach nicht böse sein können, und plädiert für eine muntere Skepsis.

Wir wundern uns alle über das Geld, das so dreist in den Manager-Etagen der Grossbanken verlocht wird, und sind neidisch und hätten für unsere harte Büez auch gerne mehr. Und ich frage mich: Braucht es den Neid an sich eigentlich als Motor für unsere Leistungsgesellschaft?
Ich brauchte ihn nicht; mir würde das Geld allein völlig reichen. Aber Ihnen wahrscheinlich meine Antwort nicht. Also: Neid ist ein heikler Affekt; gerade wenn er als Motor funktionieren soll, muss er diskret bleiben bzw. darf sich nur in seiner zivilisierten Form – als neidlos neidische Anerkennung äussern. Purer Neid spornt nämlich keineswegs automatisch zu eigenen Leistungen an, sondern vor allem dazu, die Leistungen anderer herabzusetzen oder zu zerstören. Der böse Blick vergiftet aber nicht nur die Seelen der Neider, er schüchtert auch die Beneideten ein. Eine lediglich durch Neid angetriebene Leistungsgesellschaft würde einer Schulklasse gleichen, deren Hauptbeschäftigung darin bestünde, dem Klassenprimus das Leben schwer zu machen, was den Klassenbesten dazu zwänge, mehr Zeit für die Beschwichtigung der neidischen Klassenkameraden als für die Hausaufgaben aufzuwenden. Man müsste also Herrn Dougan im eigenen Interesse neidlos seine 70 Millionen per anno gönnen, wenn . . .

Wenn?
. . . wenn sein finanzieller Erfolg tatsächlich ein plausibles Mass seiner Leistung wäre. Was, wenn man andere Leistungen und deren bezifferbaren Ertrag vergleicht, nun doch mehr als zweifelhaft ist: Warum gibt es zwar Billignäherinnen in Pakistan, die einen Designer-Fummel so prima zusammenbüezen können, dass man ihn ungeachtet der darin enthaltenen Billiglohnarbeit für ein paar Tausender an der Bahnhofstrasse verkaufen kann – aber warum gibt es auf dem grossen indischen Kontinent keinen einzigen begabten Jungmanager, der Dougans verantwortungsvolle Aufgabe zum Dumpinglohn übernehmen könnte? Mit anderen Worten: Nicht jeder Neid auf jedes Geld führt zwangsläufig in eine vom Ressentiment vergiftete Neidgesellschaft. Sondern vielleicht auch nur zu ein paar kritischen Gedanken darüber, was gerecht ist und was nicht – weil Leistung und Erfolg/Geld nun einmal nicht bloss zwei verschiedene Wörter für ein und dieselbe Sache sind.

Fast könnte man meinen, dass die isländische Aschewolke direkt nach der UBS-Generalversammlung von den Banken inszeniert wurde, um den Volkszorn in eine Art Schicksalsgelassenheit gegenüber der Naturkatastrophe umzuleiten. Gibt es das eigentlich, einen Zorn des Menschen auf die Natur?
Unser Denken hat den Begriff eines Naturbösen schon vor geraumer Zeit aus seiner Vorstellungswelt verbannt. Was immer ein Vulkan anrichtet, niemand würde deshalb seinen Zorn gegen den feuerspeienden Berg selbst richten. Naturkatastrophen rücken stattdessen regelmässig menschliche Fehler ins Bewusstsein: Erdbeben offenbaren die Korruption der Baubehörden und die Geldgier skrupelloser Unternehmer, welche minderwertige Materialien verbaut und hochwertige verrechnet haben; Flutkatastrophen zeigen die Unfähigkeit der Politiker, Hilfsgüter zu verteilen; der Vulkanausbruch und die damit verbundenen Flugverbote weisen auf skandalöse Lücken in der globalen Wetterbeobachtung hin usw. Von Schicksalsergebenheit also keine Spur.

Der Mensch ist dem Menschen also böse, ganz egal, was geschieht?
Jede Naturkatastrophe mündet heutzutage in eine Anklage menschlicher Unzulänglichkeiten und menschengemachter Skandale. In der letzten Woche erging sich zum Beispiel ein Leserbriefschreiber in dieser Zeitung in einer Tirade gegen die «einkaufsverrückten Damen, die glauben, über das Wochenende zum selbstbefriedigenden Shopping nach New York fliegen zu müssen», und «die Herren, die glauben, ihre Lustknaben in Thailand besuchen zu müssen» – frevelnde Tätigkeiten, denen der Vulkan für ein paar Tage Einhalt geboten hat.

Dieses latente Misstrauen gegenüber der Politik, der Wissenschaft, den Banken, allen andern, ist ja ein grundsätzliches Problem. Gerade Sie als Psychoanalytiker sind doch auch damit beschäftigt, sehr viel Misstrauen wieder in Vertrauen zu verwandeln. Wie schaffen Sie das?
Ist das wirklich meine Aufgabe als Psychoanalytiker? Ich misstraue meinerseits solchen Zielvorgaben. Ist ein gewisses Misstrauen – nicht zuletzt sich selbst gegenüber – überhaupt so etwas Schlechtes? Und umgekehrt nicht eine bestimmte Art von Misstrauen, die sich im extremen Fall als paranoide Verschwörungstheorie äussert, nicht geradezu ein Ausdruck von zu wenig (Selbst-)Skepsis und allzu viel Selbstvertrauen? Es ist strukturell ziemlich dasselbe, ob ich z. B. «der Wissenschaft» blind vertraue oder ihr grundsätzlich misstraue, weil ich fest davon überzeugt bin, dass alle Forschungen ohnehin von der CIA ferngesteuert werden. Misstrauen in dieser Form ist blindes Vertrauen in die Schlechtigkeit der Welt – eine Haltung, die für konkrete Kritik schlecht taugt. Eine muntere Skepsis, die auch riskiert, mal falsch zu liegen, ist mir wesentlich sympathischer.

Heisst das etwa, Sie hätten vergangene Woche den Luftraum über Europa früher wieder geöffnet in der Hoffnung, dass einfach nichts passiert?

Wie kommen Sie auf die Idee?

«Eine muntere Skepsis, die riskiert, auch mal falsch zu liegen»...
. . . kann ja wohl nicht bedeuten, leichtsinnig das Leben von Flugpassagieren zu riskieren. Sondern, das Risiko einzugehen, selber blöd dazustehen.

Pardon, klar. Und letztlich ist diese Bereitschaft, sich selbst nicht ganz so ernst zu nehmen, ja auch ein Zeichen von Bescheidenheit. Denken Sie, dass es den Herren Villiger, Grübel und Konsorten etwa genau daran mangeln könnte?
Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich werde jetzt jedenfalls nicht den Dalai Lama machen und mehr Bescheidenheit und weniger Gier, mehr Spiritualität und weniger Materialismus oder von mir aus auch mehr Selbstironie im Wirtschaftsleben anmahnen. Mehr Demokratie in der Wirtschaft, wie sie die SP in ihrem neuen Parteiprogramm fordert, fände ich angebrachter. «Muntere Skepsis, die riskiert, auch mal falsch zu liegen . . .» ist eine Maxime fürs Denken, nicht fürs Regieren. Und auch nicht fürs Bankgeschäft – jedenfalls dann nicht, wenn nicht man selber, sondern vor allem andere fürs muntere Falschliegen geradestehen müssen. Was im Individuellen Skepsis ist, bedeutet im Politischen Demokratie und Recht: eine Vielfalt von «checks and balances», die mutige Schnellschüsse verhindern.

Schön, dass Sie sich an dieser Stelle für die SP ins Zeug legen. Was mir neulich sehr gefallen hat, war der Bericht über eine englische Studie, die belegt, dass Menschen mit einem höheren IQ lieber links wählen als andersrum. Dem scheinen Sie zuzustimmen, oder nicht?
Wenn die Wissenschaft das herausgefunden hat, bleibt einem schliesslich gar nichts anderes übrig . . .

Das dürfen Sie jetzt gerne noch erläutern!

Da ich der Wissenschaft noch so gerne beipflichte, wenn sie immer wieder mal herausfindet, wie entscheidend ein Fläschchen Rotwein am Abend mein Leben signifikant bis zum nächsten Morgen verlängert, werde ich doch die Seriosität wissenschaftlicher Studien an dieser oder auch anderer Stelle nicht mutwillig infrage stellen.

Mit Peter Schneider mailte Simone Meier

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