Mittwoch, Mai 12, 2010

Der herzensgute Massenmörder Mussolini

8. Mai 2010, Neue Zürcher Zeitung
Der herzensgute Massenmörder Mussolini
Aram Mattiolis Studie über die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis

Franz Haas ⋅ Wer sich in den letzten zwanzig Jahren viel mit Italien und auch nur ein wenig mit seiner Geschichte befasst hat, der wird in diesem Buch nichts grundlegend Neues finden. Und doch macht es Eindruck, in einer so kompakten Zusammenschau noch einmal das ganze Ausmass des Desasters der politischen Kultur Italiens vorgeführt zu bekommen. Der Luzerner Historiker Aram Mattioli lehrt auch den vermeintlich Eingeweihten noch das Gruseln mit seiner Studie « Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis», denn allzu leicht scheint in Vergessenheit zu geraten, was im Bel Paese zunächst schleichend, dann immer unverschämter salonfähig wurde: die Verharmlosung, Verteidigung und Verherrlichung des Duce.

Land ohne historisches Gedächtnis

Aram Mattioli ist nicht der Erste, der Italien «ein Land ohne historisches Gedächtnis» nennt, aber seine brillante Studie ist systematisch, mit vielen Quellen belegt, und ihre Übersichtlichkeit erhöht noch den Schauder vor den Fakten. Sie befasst sich mit der Zeit von den 1980er Jahren bis 2009, vor allem mit den Verheerungen nach dem politischen Erdbeben....


8. Mai 2010, Neue Zürcher Zeitung
Der herzensgute Massenmörder Mussolini
Aram Mattiolis Studie über die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis

Franz Haas ⋅ Wer sich in den letzten zwanzig Jahren viel mit Italien und auch nur ein wenig mit seiner Geschichte befasst hat, der wird in diesem Buch nichts grundlegend Neues finden. Und doch macht es Eindruck, in einer so kompakten Zusammenschau noch einmal das ganze Ausmass des Desasters der politischen Kultur Italiens vorgeführt zu bekommen. Der Luzerner Historiker Aram Mattioli lehrt auch den vermeintlich Eingeweihten noch das Gruseln mit seiner Studie « Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis», denn allzu leicht scheint in Vergessenheit zu geraten, was im Bel Paese zunächst schleichend, dann immer unverschämter salonfähig wurde: die Verharmlosung, Verteidigung und Verherrlichung des Duce.

Land ohne historisches Gedächtnis

Aram Mattioli ist nicht der Erste, der Italien «ein Land ohne historisches Gedächtnis» nennt, aber seine brillante Studie ist systematisch, mit vielen Quellen belegt, und ihre Übersichtlichkeit erhöht noch den Schauder vor den Fakten. Sie befasst sich mit der Zeit von den 1980er Jahren bis 2009, vor allem mit den Verheerungen nach dem politischen Erdbeben von 1994, seit dem das Land bis heute keine Ruhe gefunden hat. Damals zauberte der Medienmagnat Berlusconi nach dem Zusammenbruch der Democrazia Cristiana aus deren Ruinen die Partei Forza Italia hervor. Gestützt auf sein TV-Imperium und auf die Rhetorik der Fussballstadien, verbündet mit der xenophoben Lega Nord und mit der damals noch unverblümt rechtsextremen Alleanza Nazionale, gewann er die Wahlen gegen den zerstrittenen Haufen der Linken. Im desorientierten und deprimierten Italien gelingt es ihm bis heute, den Kalten Krieg und den Revisionismus am Köcheln zu halten, seine Gegner durchwegs als Kommunisten zu diffamieren und dem Faschismus rosige Seiten abzugewinnen.

Es sind allerdings nicht alle Vertreter des rechten Lagers so ganz glücklich mit Berlusconis zündelnden Sprüchen: etwa der derzeitige Parlamentspräsident, der sich vom strammen Faschisten zum Demokraten gewandelt hat – veranschaulicht durch Kniefälle in Auschwitz und Bittgänge nach Jerusalem. Diesem widmet Aram Mattioli das Kapitel «Die Metamorphosen des Gianfranco Fini», an dessen gute Absicht er nicht so recht glauben will. Mattioli übersieht freilich die Rolle, die Fini notgedrungen immer mehr übernimmt, die des Feuerwehrmanns, der die Schäden des plappernden Brandstifters mit rügenden Worten einzudämmen versucht.

Die meisten italienischen Revisionisten seien beileibe keine Auschwitz-Leugner, schreibt Mattioli, aber doch sehr emsige Mussolini-Weisswäscher. «Die Erosion des antifaschistischen Grundkonsenses» habe allerdings schon lange vor Berlusconi begonnen, und die Linke sei nicht ganz unschuldig daran. Einerseits hat sie jahrzehntelang einen verkitschten Mythos der Resistenza gepflegt, andererseits hat ihr Führer Togliatti als Justizminister bereits 1946 aus taktischen Gründen eine leichtfertige Generalamnestie für allerlei faschistische Verbrecher erlassen. Für die «Apologie des Faschismus» droht zwar seit 1952 auf dem Papier eine Strafe, aber kein juristischer Hahn kräht danach, und kein internationales Tribunal hat jemals über italienische Massenmörder Gericht gehalten.

Seriöse Historiker haben längst bewiesen, was der italienische Faschismus nicht nur im eigenen Land verbrochen hat. Die Feldzüge in Afrika, in Libyen und vor allem in Abessinien waren nicht nur Eroberungs-, sondern Vernichtungskriege, samt Gaseinsatz und Massenhinrichtungen – Mattioli selbst hat fundierte Studien dazu geschrieben. Auch beim Balkanfeldzug waren die Italiener nicht nur Mandolinenspieler. Insgesamt ist die Diktatur für den Tod von etwa einer Million Menschen verantwortlich, was nie ins kollektive Bewusstsein der Italiener gelangt ist. Die Mär vom guten Onkel Mussolini, der erst unter Hitlers Einfluss Fehler gemacht habe, hielt sich über Jahrzehnte und wird nun, so Mattioli, durch «Berlusconis kalkulierte Tabubrüche» wieder aufgewärmt. Der Regierungschef sei zwar «historisch nicht sonderlich bewandert», aber er hat die grosse Gabe, seine ex-faschistischen Koalitionspartner bei Laune zu halten und Mussolinis «Rosenwasserdiktatur» schönzureden.

Rechtfertigung, Beschönigung

Flankiert wird Berlusconi bei dieser Verniedlichung von Heerscharen in seinen Medien, in Talkshows, TV-Serien und Büchern, die einen Faschismus und auch einen italienischen «Kolonialismus mit menschlichem Antlitz» evozieren. Auch diese Tendenz hat eine lange Tradition: Schon 1947 verfasste der Starjournalist Indro Montanelli die Rechtfertigungsschrift «Buonuomo Mussolini». Ernsthafter und umso einflussreicher waren die Bücher des Historikers Renzo De Felice, der sich 1956 von der Linken losgesagt und unermüdlich an einem milden Mussolini-Bild gearbeitet hatte. Später kam der Politologe Ernesto Galli della Loggia dazu, den bis heute ein seltsamer Revisionismus im «Corriere della Sera» umtreibt, ähnlich wie den Journalisten Giampaolo Pansa, der in seinen reisserischen Bestsellern von blutrünstigen Partisanen und herzensguten Faschisten berichtet.

In der italienischen Gesellschaft haben diese Umtriebe Spuren hinterlassen. Die auftrumpfende Rechte fordert immer schamloser eine Rehabilitierung der «Kämpfer von Salò» in Mussolinis Marionettenregierung ab 1943 sowie eine Gleichstellung der Opfer der Shoah mit jenen der «Partisanengreuel». Politiker wie der ehemalige Staatspräsident Francesco Cossiga können ungestraft von Mussolini als «grossem Staatsmann» schwadronieren, und bekennende Faschisten sind gerngesehene Gäste in Talkshows, nicht nur in Berlusconis Propagandasendern. Etwas zu viel Gewicht gibt Aram Mattioli jedoch der Allgegenwart von faschistischen Symbolen im Alltag, von Mussolini-Weinetiketten bis zu den Spruchbändern der Fussballfans. Diese Art von volkseigener Dummheit gibt es nicht nur in Italien – hier blüht sie allerdings unter dem wohlwollenden Auge der Herrschenden.

Aram Mattioli: «Viva Mussolini!» Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis. Schöningh-Verlag / NZZ Libro, Paderborn/Zürich 2010. 201 S., Fr. 38.–.

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