Samstag, Mai 08, 2010

Dieter Meier: «Jeder Mensch ist Gott»

Tages Anzeiger Online
«Jeder Mensch ist Gott»
Interview: Michèle Binswanger

Er war Profi-Pokerspieler, Konzeptkünstler, Popstar. In Berlin ist Dieter Meier nun eine Ausstellung gewidmet, in Zürich zeigt er den Film «Lightmaker». Ein Gespräch mit dem grossen Schweizer Tausendsassa.

Sie haben ihre Laufbahn als Konzeptkünstler begonnen, hörten damit aber nach einer Einzelausstellung im Kunsthaus Zürich wieder auf. Es heisst, sie hätten keine Lust mehr gehabt. Weshalb?
Im Kunstbereich ist man abhängig von einem sozialen Umfeld, einer Nahrungskette, man muss sich anbiedern, das lag mir nicht. In der Plattenindustrie ist es ganz anders. Es ist leichter, ein grösseres Publikum....


Tages Anzeiger Online
«Jeder Mensch ist Gott»
Interview: Michèle Binswanger

Er war Profi-Pokerspieler, Konzeptkünstler, Popstar. In Berlin ist Dieter Meier nun eine Ausstellung gewidmet, in Zürich zeigt er den Film «Lightmaker». Ein Gespräch mit dem grossen Schweizer Tausendsassa.

Sie haben ihre Laufbahn als Konzeptkünstler begonnen, hörten damit aber nach einer Einzelausstellung im Kunsthaus Zürich wieder auf. Es heisst, sie hätten keine Lust mehr gehabt. Weshalb?
Im Kunstbereich ist man abhängig von einem sozialen Umfeld, einer Nahrungskette, man muss sich anbiedern, das lag mir nicht. In der Plattenindustrie ist es ganz anders. Es ist leichter, ein grösseres Publikum zu erreichen und wenn einem das gelingt, ist man in einer völlig unabhängigen Position. Das ist viel demokratischer als in der Kunstwelt, wo diese Entscheidungskriterien über Erfolg oder Nicht-Erfolg mit fortschreitender Postmoderne immer irrationaler werden. Deshalb ist heute ja das soziale Talent eines Künstlers, also über Kunst zu reden und sie selber zu promoten, so enorm wichtig. Damien Hirst ist darin ein Weltmeister.

Wie kommt der Bankierssohn vom Zürichberg dazu, Künstler zu werden?
Ich fing damit an, weil alles andere mich nicht interessierte. Nach der Matur wusste ich nicht, was mit mir anfangen und wurde professioneller Pokerspieler. Das machte ich vier Jahre lang. Als Pokerspieler ist man in einem hermetisch abgeschlossenen Raum, die perfekte Flucht. Man nimmt Karten auf, das ist eine Art Schicksal, und mit dem, was man in der Hand hat, agiert man. Es ist existenziell, denn jeder will den anderen k.o. schlagen. Dann begann ich zu filmen. Ein Onkel von mir hatte eine 16-Millimeter-Kamera und er brachte mir bei, wie man einen Film einlegt. Ich filmte nicht, weil ich mich dazu berufen fühlte, sondern weil ich beim Filmen nicht unmittelbar konfrontiert war mit Zweifel an meiner Arbeit und der Angst, vor dem Ungenügen. Mit diesem Material fing ich dann zu arbeiten .

Man liest, immer wieder, dass Ihnen alles irgendwie zugefallen ist – beispielsweise sagen Sie, sie wüssten bis heute nicht, wie das Kunsthaus 1967 darauf gekommen ist, eine Einzelausstellung zu geben. Ist das möglich?

Ich wohnte damals in einem Abbruchhaus in Zollikon. Eines Tages rief mich der damalige Vizedirektor Felix Baumann an und bot mir eine Einzelausstellung an. Aus dem Nichts und ich hatte auch nicht etwas, das ich zeigen konnte. Ich fragte, was er sich denn vorstelle. Und er sagte: es wird Ihnen schon etwas dazu einfallen. Bis heute ist es so, dass die Leute auf mich zukommen. Zum Beispiel meldete sich Christian Krachts Verleger bei mir und sagte: «Ich habe gehört, du hast einen Roman in der Schublade. Ich will mit dir dein nächstes Buch machen.» Ich sagte: «Das freut mich, aber diesen Roman gibt es gar nicht.» Aber ich schreibe und ihm gefällt, was ich schreibe. Und jetzt freut er sich darauf, meinen Roman zu veröffentlichen.

Hatten Sie je Misserfolg?

Durchaus. Es gibt diesen Film, an dem ich schon fast zwanzig Jahre arbeite. Viele Leute hatten in das Projekt investiert, ich kämpfte lange, hatte Pech mit einem Negativ, ich musste gegen ein Labor prozessieren, die Postproduktion, die ich in Los Angeles machte, entglitt mir völlig. Als der Film nach Jahren endlich fertig war, schickte ich ihn zur Berlinale, er wurde angenommen. Und dann sah ich ihn im Zoopalast vor einem Publikum von 700 Leuten. Ich wusste sofort: Es war nicht mein Film und er hatte auch schlechte Kritiken. Man kann sagen, da bin ich gescheitert. Ich habe die Arbeit dann später wieder aufgenommen. Er ist jetzt übrigens fertig. Er heisst «Lightmaker» und kommt diesen Juni nach Zürich.

Wie gehen Sie mit der Kränkung des Scheiterns um?
Bei der kreativen Arbeit gibt man sein Bestes und wenn man es loslässt, ist es wie eine eigene Kreatur. Wenn man sich sicher ist, was man tut, dann sollten einen schlechte Kritiken nicht erschüttern. Was mich allerdings immer getroffen hat, sind Dinge, die geschrieben wurden, wie dass mein Vater eine Spende gemacht habe an die Dokumenta, damit ich da teilnehmen kann. Jemand von der «Luzerner Zeitung» fragte mich mal, wer denn meine Texte für mich schreiben würde. Ich sagte ihm, ich hätte zwei Intellektuelle im Keller, die gerne Bananen ässen und wenn ich wolle, dass sie was Gutes schreiben, gäbe ich ihnen Bananen.

Sie schrieben mal: «Ein Künstler ist jeder, der mit seiner Betätigung beabsichtigt, Kunst zu schaffen und das in dieser Absicht Hervorgebrachte ist in jedem Fall Kunst.» Ist Künstler der dilettantischste Beruf der Welt?

Es kann ein dilettantischer Beruf sein, aber die Auseinandersetzung mit seinem eigenen Dasein ist eine philosophische. Sie bringt sich beim Künstler nicht in analytischen Sätzen oder Bildern zum Ausdruck, sondern in dem, was er tut. Es ist ein hoffentlich immer präziseres Finden seiner Selbst. Im Sinne eines jener Sätze, die man dem Wanderprediger namens Jesus zuschreibt, der heisst: Werdet wie Kinder. Das ist ein wunderbarer Satz, auch ein sehr anarchischer. Es bedeutet, die göttliche Absicht in sich zu finden, alles, was von der Welt und ihren Formen verschüttet wird, freizulegen. Sokrates wurde zum Tode verurteilt wegen Verführung der Jugend. Das tat er nicht mit irgendwelchen staatsfeindlichen Ideen oder Religionen, sondern, weil er eben versuchte, sie zu sich selbst zu führen und von den Klischees und Denkfiguren zu befreien.

Oder wie dieser paradoxe Satz von Nietzsche: «Wie man wird, was man ist. » Wenn Sie sich selber betrachten: was sind Sie denn?

Der Satz bedeutet, dass man werden soll, wie man eigentlich ist. Und das muss man täglich aufs Neue herausfinden, sei das beim Gespräch mit dem Taxichauffeur, oder indem man einen Spielfilm produziert. Und das ist tatsächlich etwas, das ich schon als Kind tat: die permanente Reflexion über alles und jedes, ich wollte mir alles erklären, stellte ständig Fragen. Wie eine Fledermaus, die ihren Ultraschall aussendet und ihre Welt so abbildet.

Ihnen ist vieles zugefallen, sagen Sie. Glauben Sie an das Schicksal?
Total. Je länger desto mehr halte ich die rationale Fähigkeit einzugreifen für eine Illusion. Bei all meinen Projekten hatte ich nie das Gefühl, ich hätte das jetzt alles gemacht. Vielmehr staune ich, was bei der glücklichen Konstellation von Umständen, Befindlichkeiten usw. entstehen kann, Mich erinnert das immer an Pilze, die entstehen ja aus einem Rhizom unter dem Boden, aus dem sie sich speisen. Wenn Temperatur und Feuchtigkeit und alles stimmt, entsteht an der Oberfläche ein Pilz. Deshalb halte ich auch nichts von Menschen, die sich etwas auf das, was sie erreicht haben, einbilden. Gerade in der Kunst gibt es furchtbar eingebildete Leute, die von ihrem Werk, ihrer Arbeit reden, Lösungen, die sie dafür finden. Das sind eigentlich Witzfiguren.

Es gibt also ein Schicksal, aber keinen freien Willen – was hält denn das Ganze zusammen, wenn es, wie Sie sagen, keinen Gott gibt?

Ich glaube, jeder Mensch ist Gott. Ich bin kein geschulter Buddhist, aber ich halte das für eine bestechende Idee. Das Prinzip des Homo sapiens, mit Erkenntnisfähigkeit gesegnet und gestraft zugleich, die Vertreibung aus dem Paradies. Die Geburtsstunde des Menschen begann nicht, als er lernte, Werkzeuge zu gebrauchen – das machen Affen ja auch. Die Geburtsstunde der Menschheit begann in der Sekunde, als ein Mensch begann, über sich selber nachzudenken, seinen Sinn nachzudenken.

Kennen Sie auch die Verzweiflung des Künstlers?
Ja natürlich. Um wieder zum Bild des Rhizoms zurückzukommen. Man hat kein Bewusstsein von jenem Raum, in dem man sich befindet, so lange es einem vergönnt ist, etwas zustande zu bringen. Erst wenn man ihn verlässt, wird man überfallen von Trauer und Einsamkeit. Deshalb haben ja auch so viele Künstler mit Drogen und Depressionen zu tun. Das ist die Trauer, den Raum verloren zu haben. Oder begibt sich in einen Rausch, nachdem man vielleicht lange an diese Türe gepocht hat und merkt, das sie verschlossen ist.

Sie sind Künstler, Musiker, Autor, Filmer, Pokerspieler, Golfer, Unternehmer – in welchem Feld fühlen Sie sich schöpferisch zu Hause?
Einerseits beim Schreiben. Die Unmittelbarkeit und totale Einsamkeit der Autorschaft. Es gibt dieses Zitat von Beat Breu, dem Velorennfahrer. Als er den Giro d‘Italia gewann, sagte er danach in einem Interview: «In der Ebene, da geht alles um Taktik, Windschatten, Mannschaft usw. Aber den Berg hinauffahren muss jeder selber.» Das Schreiben ist für mich der Berg. Beim Film ist es anders. Wenn man einen Film vom Stapel gerissen hat, dann ist das das Ende des Zweifels. Es ist, als segle man mit einer Truppe von zwanzig Leuten los und wollen von South Hampton nach NY kommen. Da kann man sich auch nicht dauernd fragen, ob man das kann, will, darf. Vom Zweifel und all der Leere befreit zu sein, das ist ein grosses Glück. Andere finden es stressig. Für mich ist es ein reines Vergnügen. (Tagesanzeiger.ch/Newsnetz)

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