Tages Anzeiger Online 22.05.12010
Die grosse Angst vor klugen Köpfen
Von Hugo Stamm
Nach der Wahl von Roger de Weck zum SRG-Generaldirektor diskreditiert die SVP wieder einmal einen Intellektuellen. Das sollte zu denken geben. Ein Kommentar zu einer Umwertung.
Die Zürcher SVP-Nationalrätin Natalie Rickli bezeichnet den neuen SRG-Generaldirektor Roger de Weck als einen Intellektuellen. Das ist sicher nicht falsch. Auch viele andere Kommentatoren sagten nach der überraschenden Wahl des ehemaligen Chefredaktors von «Tages-Anzeiger» und «Zeit» das Gleiche.
Aufhorchen lässt allerdings, dass die Winterthurerin «Intellektueller» als Kampfbegriff benutzt. Ein Intellektueller als oberster Chef des öffentlichen Fernsehens? Ungeheuerlich. Die SVP-Strategen sehen bereits das Fundament der Schweiz bröckeln und wollen die Wahl Roger de Wecks auf die politische Agenda in Bundesbern setzen.
Zeit der Populisten
Der Aufschrei dokumentiert, dass die populistischen Kräfte in diesem Land sich nicht scheuen, Andersdenkende durch die Gassen zu jagen. Mit heiliger Empörung ziehen sie ins Feld gegen Linksintellektuelle, die in ihren Augen pauschal die Schuld für die angeblichen sozialen und politischen Fehlentwicklungen tragen.
Aufklärung, feministischer Aufbruch und geistige.....
Tages Anzeiger Online 22.05.12010
Die grosse Angst vor klugen Köpfen
Von Hugo Stamm
Nach der Wahl von Roger de Weck zum SRG-Generaldirektor diskreditiert die SVP wieder einmal einen Intellektuellen. Das sollte zu denken geben. Ein Kommentar zu einer Umwertung.
Die Zürcher SVP-Nationalrätin Natalie Rickli bezeichnet den neuen SRG-Generaldirektor Roger de Weck als einen Intellektuellen. Das ist sicher nicht falsch. Auch viele andere Kommentatoren sagten nach der überraschenden Wahl des ehemaligen Chefredaktors von «Tages-Anzeiger» und «Zeit» das Gleiche.
Aufhorchen lässt allerdings, dass die Winterthurerin «Intellektueller» als Kampfbegriff benutzt. Ein Intellektueller als oberster Chef des öffentlichen Fernsehens? Ungeheuerlich. Die SVP-Strategen sehen bereits das Fundament der Schweiz bröckeln und wollen die Wahl Roger de Wecks auf die politische Agenda in Bundesbern setzen.
Zeit der Populisten
Der Aufschrei dokumentiert, dass die populistischen Kräfte in diesem Land sich nicht scheuen, Andersdenkende durch die Gassen zu jagen. Mit heiliger Empörung ziehen sie ins Feld gegen Linksintellektuelle, die in ihren Augen pauschal die Schuld für die angeblichen sozialen und politischen Fehlentwicklungen tragen.
Aufklärung, feministischer Aufbruch und geistige Befreiung durch die 68er-Generation machen sie für den vermeintlichen moralischen Zerfall verantwortlich. Ihr Aufbäumen gegen De Weck klingt beinahe wie ein Wehklagen: Sie hatten geglaubt, ihre Intimfeinde bereits in der Rumpelkammer der Geschichte entsorgt zu haben, doch nun steigt ein vergessener Dinosaurier unerwartet aus dem Nebel.
Querdenker
Tatsächlich hat in den letzten Jahren eine Umwertung stattgefunden. Als sich die westliche Welt noch im Aufbruch befand und die Neugier das Lebensgefühl bestimmte, waren Intellektuelle geistige Leuchttürme.
Sie dachten das Undenkbare, wagten utopische Entwürfe, regten mit unkonventionellen Ideen die gesellschaftliche Diskussion an. Oft lagen sie ziemlich quer in der politischen Landschaft, hoben aber manchen geistigen Schatz und schufen gewichtige kulturelle Werke.
Rückzug der Intellektuellen
Und heute? Die meisten Linksintellektuellen haben sich in den Elfenbeinturm zurückgezogen. Die breite Öffentlichkeit will sie nicht mehr hören, ihr Wort zählt nur noch wenig. Der Zeitgeist, geprägt von Populismus und Oberflächlichkeit, bläst ihnen ins Gesicht. Vorbei die Zeiten, als intellektuelle Schwergewichte wie Adolf Muschg und Franz Hohler regelmässig zu drängenden Zeitfragen Stellung bezogen und den öffentlichen Diskurs prägten. Dabei wurden sie damals auch von liberalen Politikern ernst genommen.
Heute jedoch erheischt den grössten Applaus, wer das Intellektuellen-Bashing am lautesten betreibt. Dabei hätte unser in Selbstgefälligkeit erstarrtes und blockiertes Land eine Auseinandersetzung auf einem anspruchsvollen Niveau nötiger denn je.
Als Feinde gebrandmarkt
Wer die hellen Köpfe marginalisiert oder verspottet, sollte einen kurzen Blick in die Geschichte werfen. Intellektuelle, die sich moralisch und politisch nicht binden und instrumentalisieren lassen, orteten frühzeitig gesellschaftliche Fehlentwicklungen und kamen Machthabern oft in die Quere.
Nationalistische Kräfte und autoritäre Systeme haben im vergangenen Jahrhundert Intellektuelle immer wieder als Staatsfeinde gebrandmarkt. Die deutschen Nationalsozialisten betrieben das üble Spiel mit jüdischen und anderen Geistesgrössen, die sie ebenfalls als Intellektuelle stigmatisierten, bis zum bitteren Ende.
Sinne schärfen
Glückliche Schweiz, die sich den Luxus leisten kann, die Stimmen der klügsten Köpfe zu unterdrücken? Wenn der Kampf gegen Intellektuelle zum guten Ton gehört, sollte man die Sinne besonders schärfen. Dann lohnt es sich, gut zu beobachten, wohin die politische Reise geht. (Tages-Anzeiger)
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