Sonntag, Mai 23, 2010

Facebooks Probleme mit dem Privaten

8. Mai 2010, 10:44, NZZ
Facebooks Probleme mit dem Privaten
Gratwanderung zwischen Kontrolle und Komplexität

Während Facebook die Marke von 500 Millionen Benutzern ansteuert, sieht sich die Firma mit einer heftigen öffentlichen Debatte über ihren Umgang mit privaten Daten konfrontiert. Die Kritik ist berechtigt, zeigt aber auch auf, dass beide Seiten von falschen Vorstellungen über Öffentlichkeit und Privatsphäre ausgehen.

Nico Luchsinger

Es ist nicht das erste Mal, dass Facebook sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, die Privatsphäre seiner Benutzer nicht ausreichend zu schützen. Über die letzten Jahre hat die Social-Networking-Seite mit schöner Regelmässigkeit Änderungen eingeführt, die den Zorn seiner Benutzer erregten. Das Resultat war (mit Ausnahmen) oft dasselbe: Die Empörung legte sich schnell, ohne dass Facebook zurückbuchstabieren musste. Diese rücksichtslose Art der Innovation hat sich für das Netzwerk bisher ausbezahlt: Es erfreut sich unverminderten Wachstums und dürfte bald 500 Millionen Benutzer zählen.

Doch nun tobt ein neuer Sturm der Entrüstung; und er scheint deutlich heftiger als zuvor. Seit Tagen sind Blogs und News-Seiten voll von Artikeln, in denen Facebook heftig kritisiert wird. Selbst ein ausführlicher Frage-Antwort-Artikel von Facebooks Vizepräsident Elliot Schrage mit Lesern der «New York Times» konnte die Gemüter nicht beruhigen. Schrage konzedierte zwar Probleme bei der Kommunikation neuer Funktionen, zeigte sich aber ansonsten uneinsichtig. Schliesslich sei es es jedermann freigestellt, sich bei Facebook an- und wieder abzumelden. Prompt tauchte eine Seite auf, auf welcher man sich verpflichten konnte, am 31. Mai seinen Facebook-Account zu löschen. Bisher haben sich.....



8. Mai 2010, 10:44, NZZ
Facebooks Probleme mit dem Privaten
Gratwanderung zwischen Kontrolle und Komplexität

Während Facebook die Marke von 500 Millionen Benutzern ansteuert, sieht sich die Firma mit einer heftigen öffentlichen Debatte über ihren Umgang mit privaten Daten konfrontiert. Die Kritik ist berechtigt, zeigt aber auch auf, dass beide Seiten von falschen Vorstellungen über Öffentlichkeit und Privatsphäre ausgehen.

Nico Luchsinger

Es ist nicht das erste Mal, dass Facebook sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, die Privatsphäre seiner Benutzer nicht ausreichend zu schützen. Über die letzten Jahre hat die Social-Networking-Seite mit schöner Regelmässigkeit Änderungen eingeführt, die den Zorn seiner Benutzer erregten. Das Resultat war (mit Ausnahmen) oft dasselbe: Die Empörung legte sich schnell, ohne dass Facebook zurückbuchstabieren musste. Diese rücksichtslose Art der Innovation hat sich für das Netzwerk bisher ausbezahlt: Es erfreut sich unverminderten Wachstums und dürfte bald 500 Millionen Benutzer zählen.

Doch nun tobt ein neuer Sturm der Entrüstung; und er scheint deutlich heftiger als zuvor. Seit Tagen sind Blogs und News-Seiten voll von Artikeln, in denen Facebook heftig kritisiert wird. Selbst ein ausführlicher Frage-Antwort-Artikel von Facebooks Vizepräsident Elliot Schrage mit Lesern der «New York Times» konnte die Gemüter nicht beruhigen. Schrage konzedierte zwar Probleme bei der Kommunikation neuer Funktionen, zeigte sich aber ansonsten uneinsichtig. Schliesslich sei es es jedermann freigestellt, sich bei Facebook an- und wieder abzumelden. Prompt tauchte eine Seite auf, auf welcher man sich verpflichten konnte, am 31. Mai seinen Facebook-Account zu löschen. Bisher haben sich allerdings nur etwas über 4000 Personen registriert - das sind gerade mal 0,00001 Prozent sämtlicher Facebook-Benutzer. Beeindruckender ist der Erfolg von «Diaspora»: Das Projekt einiger Studenten, eine dezentrale Alternative zu Facebook zu entwickeln, erhielt nicht nur grosse mediale Aufmerksamkeit, sondern auch ein Mehrfaches der ursprünglich benötigten finanziellen Unterstützung.

Ausgelöst wurde die Empörung durch die Ankündigung neuer Änderungen in Facebook Anfang April. Neuerdings sollen auch die persönlichen Interessen öffentlich einsehbar sein. Doch die Debatte hat sich schnell zu einer Grundsatzdiskussion gewandelt. Dabei werden Facebook im Wesentlichen zwei Vorwürfe gemacht: Dass die Seite in den letzten Jahren immer mehr Informationen seiner Benutzer öffentlich zugänglich gemacht hat - und dass die Einstellungen zur Kontrolle der eigenen Privatsphäre immer komplizierter werden. (Zu beiden Aspekten gibt es beeindruckende Infographiken.) Verstärkt wird der Frust dadurch, dass viele Benutzer - im Gegensatz zu Schrages Aussage - das Gefühl haben, nicht wirklich eine freie Wahl zu haben: Die einzige Alternative zu Facebook ist soziale Isolation. Die Forscherin Danah Boyd geht gar so weit, Facebook als Dienstleistung der Grundversorgung zu bezeichnen.

Die Vorwürfe an Facebook müssen derweil differenziert werden. Tatsächlich hat sich Facebook, im Bestreben darum, sein Wachstum anzukurbeln und die wachsenden Nutzerzahlen auch in klingende Münze zu wandeln, kontinuierlich geöffnet. Dies geschah nicht zuletzt unter dem Eindruck des sehr erfolgreichen (und viel offener konzipierteren) Twitter. Dabei dürfte Facebook das Bedürfnis seiner Benutzer nach Schutz unterschätzt haben, wie die eher einfältigen Aussagen von Facebook-Chef Mark Zuckerberg im Januar dieses Jahres zeigen: Die Menschen hätten sich eben daran gewöhnt, dass mehr persönliche Informationen zugänglich seien. Die «soziale Norm» habe sich verändert.

Selbst wenn Zuckerberg recht hätte: Die Geschwindigkeit, mit der sich soziale Normen ändern, hat der Facebook-Chef wohl deutlich überschätzt. Doch mir scheint, dass sowohl Zuckerberg wie auch seine Kritiker von einer Grundvoraussetzung ausgehen, die so nicht zutrifft: Dass nämlich «öffentlich» und «privat» zwei binäre, sich gegenseitig ausschliessende Zustände sind - dass eine Information entweder ganz öffentlich oder ganz privat ist. Diese Vorstellung war natürlich noch nie ganz richtig. Aber gerade Dienste wie Facebook haben die Abstufungen zwischen öffentlicher und privater Sphäre stark erhöht und einen eigentlichen semi-öffentlichen Raum geschaffen. Herauszufinden, wie dieser Raum funktioniert, und wie man mit ihm umgehen soll, ist aufwändig - weshalb die Privatsphäre-Einstellungen von Facebook in letzter Zeit dramatisch an Komplexität zugenommen haben.

Ob die aktuelle Diskussion Facebook dazu zwingen wird, Änderungen vorzunehmen, lässt sich noch schwer abschätzen. Ich für meinen Teil hoffe, dass die Firma seinen Benutzern noch mehr Optionen für die Kontrolle über persönliche Informationen zur Verfügung stellt und in ihrer Kommunikation darüber besser - und ehrlicher -wird. Das allerdings bedeutet, dass die Komplexität noch mehr zunehmen wird. Facebook richtig zu bedienen, wird eine Fähigkeit, die man - wie anderen sozialen Umgang auch - erlernen muss. Bis es soweit ist, wird es noch manchen Entrüstungssturm geben.

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