A short series of articles dealing with the competition between the USD and the Euro.
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Die Vereinigten Staaten haben sich innert kurzer Zeit vom Weltbankier zum weltweit grössten Schuldner gewandelt. Noch halten die Staatsbanken Asiens den US-Dollar durch den Kauf von US-Staatsanleihen auf Kurs. Doch wenn die USA nicht mehr länger der Motor der globalen Nachfrage sind, muss der Euroraum in Aktion treten, und zwar bald. Nutzen die Europäer ihre Chance, könnte für die Amerikaner ein halbes Jahrhundert Dollar-Herrschaft zu Ende gehen, schreibt Niall Ferguson
Published on Saturday, June 19, 2004 by NZZ am Sonntag
Ist der Dollar am Ende?
By Niall Ferguson
Die Vereinigten Staaten haben sich innert kurzer Zeit vom Weltbankier zum weltweit grössten Schuldner gewandelt. Noch halten die Staatsbanken Asiens den US-Dollar durch den Kauf von US-Staatsanleihen auf Kurs. Doch wenn die USA nicht mehr länger der Motor der globalen Nachfrage sind, muss der Euroraum in Aktion treten, und zwar bald. Nutzen die Europäer ihre Chance, könnte für die Amerikaner ein halbes Jahrhundert Dollar-Herrschaft zu Ende gehen, schreibt Niall Ferguson
«Die Übereinkunft, wonach der Dollar als internationale Währung anerkannt wird, entbehrt inzwischen ihrer ursprünglichen Grundlage. Weil viele Staaten zum Ausgleich des amerikanischen Handelsbilanzdefizits Dollars akzeptieren, können sich die Vereinigten Staaten gratis im Ausland verschulden. Was die Vereinigten Staaten diesen Ländern schulden, bezahlen sie in Dollar, die sie nach Belieben drucken können . . . Diese beispiellose Fähigkeit hat zur Verbreitung der Idee beigetragen, der Dollar sei ein objektives, internationales Zahlungsmittel, tatsächlich jedoch ist er ein Kreditinstrument, das einem einzigen Staat gehört.»
Dies sprach Charles de Gaulle im Jahre 1965 auf einer Pressekonferenz, die von Historikern oft als der Anfang vom Ende der internationalen Währungsstabilität der Nachkriegszeit bezeichnet wird. De Gaulle behauptete, die USA zögen unfairen Vorteil daraus, dass der US-Dollar die wichtigste internationale Reservewährung sei. Sie finanzierten ihr eigenes Zahlungsbilanzdefizit, indem sie dem Ausland Dollars verkauften, welche voraussichtlich an Wert verlieren würden.
Das Bemerkenswerte an de Gaulles Analyse ist, wie gut sie auf die Rolle des Dollars im Jahr 2004 zutrifft - ironischerweise. General de Gaulle hatte beabsichtigt, den Dollar, falls möglich, von seiner Position als wichtigste Währung der Welt abzudrängen. Sicher, in Folge von de Gaulles Bemerkungen nahm der Druck auf den Dollar kontinuierlich zu. 1973, wenn nicht schon früher, war das (1944 in Bretton Woods ausgearbeitete) System von mehr oder weniger festen Wechselkursen tot, und für die Welt brach eine Ära variabler Wechselkurse und hoher Inflation an. Aber noch in den dunkelsten Tagen der siebziger Jahre behielt der Dollar seinen Status als Reservewährung. Tatsächlich ist er in dieser Rolle auch weiterhin so erfolgreich, dass einige Ökonomen unlängst von Bretton Woods II gesprochen haben; abermals mit dem Dollar als Schlüsselwährung. Doch wie lange kann sich dieser neue Dollar-Standard halten?
Asiatische Dollars
Die Existenz eines Dollar-Standards mag all jene Amerikaner überraschen, die sich mit dem Gedanken tragen, die Sommerferien in Europa zu verbringen. Bei einem Euro-Kurs von 1,18 Dollar (gegenüber 0,90 Dollar vor zwei Jahren) scheint es weit hergeholt, von einer neuen Ära der festen Wechselkurse zu sprechen. Doch Bretton Woods II ist kein globales System (ebenso wenig wie Bretton Woods I), sondern ein primär asiatisches System. Dollar-gestützt sind die Währungen Chinas, Hongkongs und Malaysias sowie, wenn auch weniger starr, die Währungen Indiens, Indonesiens, Japans, Singapurs, Südkoreas, Taiwans und Thailands.
Es fällt nicht schwer zu erraten, dass die Nutzniesser eines solchen Systems, wie schon in den sechziger Jahren, primär die USA sind. In den letzten zehn Jahren ist das amerikanische Aussenhandelsdefizit für Waren, Dienstleistungen und Kredite dramatisch angestiegen. Zählt man die Defizite der letzten zwölf Jahre zusammen, erhält man Auslandsschulden von insgesamt 2,9 Billionen Dollar. Nach Angaben des US-Handelsministeriums entsprach die Netto-Auslandsverschuldung der USA Ende 2002 rund einem Viertel des Bruttoinlandproduktes. Noch 1988 waren die USA Nettogläubiger gewesen.
Der rasche Wandel vom Weltbankier zum grössten Schuldner der Welt hat zwei Vorteile für die Amerikaner. Erstens konnten die US-Unternehmen in grossem Umfang investieren (besonders die IT-Branche), ohne dass die Amerikaner ihren Konsum einschränken mussten. Zwischen 10 und 20 Prozent der Investitionen in der US-Wirtschaft im letzten Jahrzehnt wurden mit ausländischem Kapital getätigt, so dass die Amerikaner selbst immer mehr ausgeben konnten. Die Pro-Kopf-Sparquote beträgt weniger als die Hälfte der Quote der achtziger Jahre.
Fetter «Free Lunch»
Der zweite Vorteil nimmt Gestalt an in Steuersenkungen. Der seit 2000 stark defizitäre US-Haushalt - laut IWF eine beispiellose Verschlechterung für Friedenszeiten - gründet im Wesentlichen auf ausländischem Kapital. Ohne diese Grundlage hätte die für die Finanzpolitik von Präsident Bush charakteristische Kombination von Steuersenkungen, gestiegenen Ausgaben und sinkenden Staatseinnahmen zu einem sehr viel höheren Zinssatz geführt. Veteranen der Nixon- und Reagan-Jahre können angesichts der verschwenderischen Haushaltspolitik, die die gegenwärtige republikanische Regierung ungestraft verfolgt, nur neidisch den Kopf schütteln. Sich derart zu verschulden und gleichzeitig Renditen für langfristige Anleihen von unter 5 Prozent zu geniessen, das kann man getrost als den fettesten «Free Lunch» der modernen Wirtschaftsgeschichte bezeichnen. Unter Präsident Bush sind sogar die Kosten des Schuldendienstes gesunken, obwohl die Gesamthöhe der Schulden gestiegen ist.
Das hat ganz einfach damit zu tun, dass das Ausland bereit ist, die bemerkenswert teuren neuen US-Staatsanleihen zu kaufen. In den letzten zehn Jahren ist der Anteil der US-Schulden in ausländischer Hand von 20 auf fast 45 Prozent angestiegen. Wer kauft diese auf Dollar lautenden Anleihen, offenbar ohne ein Bewusstsein für die Gefahr, dass deren Wert ziemlich plötzlich fallen könnte? Es sind keine Privatinvestoren, sondern staatliche Institutionen - die asiatischen Staatsbanken.
Zwischen Januar 2002 und Dezember 2003 wuchsen die Devisenreserven der japanischen Staatsbank um 266 Milliarden Dollar an. Diejenigen in China, Hongkong und Malaysia um 224 Milliarden Dollar, in Taiwan um mehr als 80 Milliarden Dollar. Dieses Geld wurde fast ausschliesslich in US-Dollar und Dollar-denominierten Anleihen angelegt. Allein im ersten Quartal dieses Jahres kauften die Japaner 142 Milliarden Dollar. Die asiatischen Zentralbanken lassen sich dabei von einem einfachen Motiv lenken: Sie wollen eine Aufwertung der eigenen Währung im Verhältnis zum Dollar verhindern - denn ein schwacher Dollar würde den Export eigener Produkte auf dem amerikanischen Markt behindern. Ohne diese Interventionen würde der Dollar im Verhältnis zu den asiatischen Währungen an Wert verlieren, genauso wie gegenüber dem Euro. Die asiatischen Zentralbanken sind aber entschlossen, alles zu tun, um einen festen Dollar- Kurs zu stützen.
Bretton Woods II ist also ein asiatisches System von Dollar-gekoppelten Währungskursen, das dafür sorgt, dass die asiatischen Exporte in den USA konkurrenzfähig bleiben, während die Amerikaner ihrerseits eine scheinbar unerschöpfliche und günstige Kreditmöglichkeit haben, um im privaten und staatlichen Bereich gigantische Schulden anzuhäufen.
Zumindest in einer Hinsicht ist die These von einer unbewussten Neuauflage von Bretton Woods überzeugend. Langfristig hat sich der Aussenwert des Dollars als erstaunlich stabil erwiesen. Anfang der achtziger und Ende der neunziger Jahre gab es Phasen der Überbewertung, doch immer wieder kehrte er zu einem Durchschnittswert zurück. Momentan liegt er bei weniger als 10 Prozent, unter der Marke von 1973. Wo sich das neue System vom alten unterscheidet, ist es zum Vorteil des neuen. Grundlage von Bretton Woods war die feste Goldparität des Dollars. Erinnern Sie sich noch an «Goldfinger»? Der Wohlstand der Ära des Kalten Kriegs beruhte auf den Goldreserven von Fort Knox. Damit war das System aber anfällig für ausländische Spekulanten, die, wie etwa de Gaulle, lieber auf Gold als auf Dollar setzten. Heute gibt es nur den Dollar. Das internationale Währungssystem ist auf Papier gebaut.
Doch dies ist der Haken: Die Anhänger von Bretton Woods II scheinen ein System mit einer grenzenlosen, rosigen Zukunft vor sich zu sehen. Die Asiaten, so lautet ihr Argument, werden weiterhin Dollar und US-Staatsanleihen kaufen, weil sie unbedingt einen Wertverlust des Dollars vermeiden wollen und weil sie theoretisch grenzenlos eigene Währung drucken können, nur um Dollar-Käufe tätigen zu können. Und überhaupt: Warum soll das Ausland nicht in den USA investieren wollen? Nachdem dort der Aufschwung eingesetzt hat, seien die USA genau der richtige Ort für Investoren, wie mir Wall-Street-Analysten in den letzten Monaten immer wieder versichert haben. «Wo denn sonst?», fragte mich kürzlich ein Wall-Street-Banker nicht ohne eine gewisse Arroganz. «Etwa in Europa?»
Diese optimistische, konventionelle Auffassung übersieht jedoch eine Reihe wichtiger Tatsachen. In den sechziger Jahren war das amerikanische Handelsdefizit unbedeutend. Sorge bereitete eher, dass die Amerikaner im grossen Stil im Ausland investierten, auch wenn dies mit dem Import von ausländischem Kapital wettgemacht wurde. Doch vor allem sorgte man sich darüber, dass die Dollarinvestitionen im Ausland den Goldbestand der US- Zentralbank übersteigen könnten. Heute verzeichnet Amerika enorme Defizite, sehr viel mehr ausländisches Kapital fliesst herein. Folglich sind die potenziellen Probleme für ein System von festen Wechselkursen wesentlich grösser.
Welche Vorteile das System Bretton Woods auch hatte, es war nicht von langer Dauer. Zählt man nur die Jahre, in denen der Dollar und die grossen europäischen Währungen eine festgesetzte Goldparität hatten, dann waren es deren zehn; von 1958 bis 1968. Das asiatische Kind von Bretton Woods wird vermutlich ähnlich kurzlebig sein. Und sein Verschwinden dürfte ebenso unangenehme Folgen haben wie die Krise in der Mitte der siebziger Jahre.
Der Dollar ist trotz all seiner mystischen Anziehungskraft keine Goldmünze. Seit dem Ende der Goldparität ist er kaum mehr als ein bedrucktes Papier, dessen Herstellung etwa drei Cent kostet. Das weltweit bekannte Design stammt aus dem Jahr 1957, und seitdem hat der Dollar inflationsbedingt 84 Prozent seiner Kaufkraft eingebüsst. Die Japaner werden lachen, wenn man sie dazu beglückwünscht, zum «Dollar-Standard» zu gehören. 1971 bekam man über 350 Yen für einen Dollar, heute sind es um die 100.
Die Schwäche des Dollars hat bis zuletzt kaum eine Rolle gespielt. Wir haben ihm die gelegentlichen Kursverluste verziehen, weil es keine Alternative gab. Die schiere Grösse der amerikanischen Wirtschaft (die Preise so vieler Waren - von Öl bis hin zu Gold - werden in Dollar angegeben) bedeutet, dass der Dollar noch immer die führende Währung der Welt und die Berechnungsgrundlage internationaler Leistungsbilanzen ist.
Doch kein Geldsystem hält ewig. Vor hundert Jahren war das Pfund Sterling die führende Währung der Welt. Die immense britische Verschuldung während des Ersten Weltkriegs und in der Folgezeit bot dem Dollar die Gelegenheit, gleichzuziehen und die Führungsrolle zu beanspruchen. Dieses Muster könnte sich wiederholen; im internationalen Geldwesen ist ein neues Kind aufgetaucht. Nur wenige Amerikaner haben begriffen, dass dieses neue Kind ein ernst zu nehmender Kandidat für den Spitzenjob ist.
Was immer man politisch von der Europäischen Union halten mag, niemand kann leugnen, dass die von ihr geschaffene Währung das Zeug hat, dem Dollar als internationale Reservewährung Konkurrenz zu machen. Erstens ist das BIP von Euroland kaum tiefer als das der USA - 16 Prozent der Weltproduktion 2002; verglichen mit 21 Prozent in den USA. Zweitens weist die Eurozone, anders als die USA, einen Überschuss auf. Die europäische Nachfrage ist sehr gering. Und drittens (meiner Ansicht nach der wichtigste Faktor) sind seit Einführung des Euro mehr internationale Anleihen in Euro als in Dollar aufgelegt worden. Vor 1999 waren etwa 30 Prozent aller internationalen Anleihen in den Vorgänger- Währungen des Euro aufgelegt worden, mehr als 50 Prozent lauteten auf Dollar. In den letzten fünf Jahren liegen Euro-Anleihen bei 47 Prozent, Dollar- Anleihen bei 44 Prozent.
Könnte dies der Wendepunkt sein? Bei einem Dinner, das eine der grössten US-Banken kürzlich in London gab, stellte ich die Frage: Wer glaubt, dass der Euro den Dollar als internationale Reservewährung ersetzen könnte? Nicht weniger als sechs Anwesende antworteten mit Ja und waren auch bereit, ihre Ansicht gegenüber den amerikanischen Gästen zu vertreten. Als ich einer kleineren Gruppe von Wall- Street-Bankern die gleiche Frage stellte, reagierten sie eher skeptisch. Einer meinte, dass der Euro bereits die Lieblingswährung des organisierten Verbrechens sei, weil die Europäische Zentralbank (anders als die Federal Reserve Bank in den USA, die nur noch Banknoten im Wert von höchstens 100 Dollar druckt) immerhin 500-Euro- Noten ausgibt. So kann man locker ein paar Millionen Euro in die Aktenmappe stopfen - was in bestimmten Gegenden Kolumbiens nützlich sein kann. Womöglich auch an der Wall Street.
Millionen im Aktenkoffer
Die Zukunft des asiatischen Bretton- Woods-Systems - und des Aufschwungs der US-Wirtschaft - hängt ab von der Bereitschaft der asiatischen Institutionen, weiterhin Dollars zu kaufen. Aber warum sollten sie das tun, wenn die japanische Wirtschaft offenbar aus ihrer deflationären Talsohle herauskommt? Jedenfalls konnten die japanischen Interventionen den Kursverlust des Dollars nicht aufhalten - in den letzten zwei Jahren hat der Yen (im Verhältnis zum Dollar) von 135 auf 110 zugelegt. Die Dollarguthaben der japanischen Staatsbank haben so an Wert verloren.
Es mag für Asien langfristig wenig sinnvoll sein, sich auf den US-Markt zu verlassen. Der ehemalige US-Finanzminister Larry Summers erklärte jüngst in einem Vortrag in Washington, dass den USA nichts anderes übrig bliebe, als mehr zu sparen, wenn man «das riesige Problem des geringen Sparvolumens lösen wolle, das zu einer Abhängigkeit von ausländischem Kapital geführt hat sowie zur fiskalischen Schwäche, die wir in den letzten fünfzig Jahren hatten». Die Welt, so Summers' Konsequenz, darf sich nicht länger darauf verlassen, dass die USA der führende Konsument sind. Was wiederum bedeutet, dass Staaten, die auf «ein exportorientiertes Wachstum bauen, sich in den nächsten Jahren umorientieren müssen».
Das Dilemma der asiatischen Dollars ist die Gelegenheit für den Euro, wirtschaftlich wie politisch. Wenn die USA tatsächlich nicht mehr der einzige funktionierende Motor für die globale Nachfrage sind, muss der Euroraum in Erscheinung treten, und zwar bald. Allzu lange war die Preisstabilität der alleinige Orientierungspunkt für die Europäische Zentralbank. Sie hat sich nicht ausreichend mit dem Wirtschaftswachstum in Europa und der Welt auseinandergesetzt. Zu lange lag der Zinssatz der EZB einen Prozentpunkt über dem der Federal Reserve, obwohl Deflation für die wichtige deutsche Wirtschaft die grössere Gefahr ist, als sie es je für die USA war.
Inzwischen ist ein Franzose Präsident der EZB. Vielleicht sollte Jean- Claude Trichet einen Blick auf die Geschichte werfen. Vor 39 Jahren geriet der Dollar unter Druck, als sich die USA in zunehmendem Mass in einen schmutzigen postkolonialen Krieg verwickelt sahen. Charles de Gaulle verkündete das Ende von Bretton Woods, weil dieses System, wie er sagte, die europäischen Staaten zwang, die amerikanische Inflation zu importieren. Heute ist der Moment gekommen, das Ende von Bretton Woods II auszurufen. Asiaten und Europäer müssen ihre Waren anderswo als in Amerika verkaufen. Und sie müssen sehen, dass die Entwicklung des Euro zu einer alternativen Reservewährung die Chance bietet, den Schwerpunkt der internationalen Wirtschaft nachhaltig zu verlagern.
Nutzen die Europäer ihre Chance, könnte für die Amerikaner ein halbes Jahrhundert Dollar-Herrschaft zu Ende gehen. Ist das denn so wichtig? Gar keine Frage. Wenn nämlich asiatische Länder ihre Guthaben von Dollar auf Euro umstellen, werden die Amerikaner sehr viel mehr Mühe haben, den privaten und staatlichen Konsum zu einem (aus Sicht ausländischer Kreditgeber) niedrigen oder negativen Realzins zu finanzieren. (Es ist eine einfache Rechenaufgabe: Vor einem Jahr betrug die Rendite bei einer zehnjährigen US- Anleihe etwa 4 Prozent, doch im gleichen Zeitraum verlor der Dollar gegenüber dem Yen 9 Prozent an Wert.)
Der Verlust dieser Subventionierung (faktisch ist es die Prämie, die das Ausland bezahlt, um die beliebteste Währung der Welt zu stützen) könnte teuer sein. Denn ein Anstieg der Zinsen auf ein Niveau, wie es der Ökonom Paul Krugman prognostiziert (Anleihen mit zehn Jahren Laufzeit bei 7 Prozent, Hypothekenzinsen bei 8,5 Prozent) hätte zwei verheerende Auswirkungen. Nicht für die grossen US-Unternehmen, die sich abgesichert haben (mehr als fünf Achtel aller nachgeordneten Aufträge operieren mit bestimmten Zinssätzen), sondern vor allem für die Bundesregierung und die Hausbesitzer. Die Fristenstruktur der Staatsschulden ist extrem kurz: 35 Prozent haben eine Laufzeit von weniger als einem Jahr, so dass höhere Zinsen sich quasi sofort als höherer Schuldendienst niederschlagen und im Haushaltsdefizit bemerkbar machen. Obwohl der Zinssatz schon vorsichtig anzieht, hat sich der Anteil neuer Hypotheken mit variablem Zinssatz von etwa 12 Prozent Ende 2002 auf 32 Prozent erhöht.
Über die geopolitischen Implikationen dieses Sachverhalts darf getrost spekuliert werden. Ein Anstieg der US- Zinsen dürfte nicht nur den Aufschwung verlangsamen. Er könnte auch zu einer noch höheren Staatsverschuldung führen. Damit dürfte der Druck zunehmen, die verfügbaren Mittel zu reduzieren, und das heisst gewöhnlich: das Militärbudget. Es dürfte zunehmend schwieriger werden, einer Bevölkerung, die unter steigenden Schulden und einem unaufhaltsamen Haushaltsdefizit leidet, eine kostspielige Besatzung des Iraks schmackhaft zu machen. Die Europäer dagegen werden selbstbewusster auftreten. Nicht nur werden sie mehr Geld für Entwicklungshilfe und Friedenssicherung ausgeben als die USA, sie werden auch über die Währung der Welt verfügen.
Solche historischen Wendepunkte lassen sich kaum eindeutig markieren. Es ist nicht klar, wann der Dollar das Pfund verdrängte. Doch dann ging alles sehr rasch. Nachdem der Euro schon so weit hochgeklettert ist, werden sich vielleicht schon bald die Ölproduzenten zusammensetzen und ihr schwarzes Gold in der europäischen Währung auspreisen (eine Vorstellung, die für antiamerikanische Produzenten wie Venezuela und Malaysia sehr attraktiv sein muss). Weltwährung bedeutet jedoch nicht Weltmacht. Die Europäische Union ist den USA als militärische Macht noch immer weit unterlegen. Aber der Verlust der führenden Weltwährung würde das wirtschaftliche Fundament der Militärmacht USA fraglos schwächen.
Langsam wird sich Amerika der schrecklichen Konsequenzen des Niedergangs des Dollars bewusst. Der Geist des General de Gaulle wird seine späte Genugtuung geniessen.
Der Schotte Niall Ferguson, 40, ist Herzog-Professor für Finanzgeschichte an der Stern School of Business in New York. Sein neustes Buch, «Colossus», erschien 2004 bei Penguin Press. Übersetzung: Matthias Fienbork
Original article :
http://www.nzz.ch/2004/06/20/wi/page-article9O8UX.html
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