Dienstag, Dezember 05, 2006

Tages-Anzeiger Online: «Es bleibt also, das Ende der Ära Bush abzuwarten»

Wie weiter im Irak? Ignoriert Bush die Weltmeinung? Und: Soll man die Israeli einfach machen lassen? Sicherheits­experte Kurt R. Spillmann antwortete im TagiTalk.

TagiTalk
04.12.2006 -- Tages-Anzeiger Online
«Es bleibt also, das Ende der Ära Bush abzuwarten»

Moderator: Guten Tag Herr Spillmann. Herzlichen Dank, dass Sie beim TagiTalk mitmachen. Zuerst zum Irak: Die Baker-Kommission schlägt direkte Kontakte mit Syrien und dem Iran vor. Bringt das etwas?

Kurt R. Spillmann: Ohne Einbezug des Umfeldes ist ohnehin keine Lösung denkbar. Aber Stabilität wird mit oder ohne Einbezug des Umfeldes auf Jahre hinaus nicht erreichbar sein.

Moderator: Muss die Bush-Regierung also über ihren eigenen Schatten springen und direkte Gespräche mit Teheran und Damaskus anberaumen?
Kurt R. Spillmann: Ich habe wenig Vertrauen in die gegenwärtige Bush-Mannschaft und glaube, dass auch Kontakte zu Syrien und dem Iran besser über andere Kanäle laufen sollten. Amerika hat leider sein Prestige in den vergangenen Jahren in der Golf-Region verloren, und ein Personenwechsel könnte allenfalls auch wieder neue Chancen eröffnen. Auf jeden Fall muss im Umgang mit den Staaten dieser Region – wie übrigens auch mit den Staaten Asiens – der konfrontative Ton von Bush, Cheney usw. auf jeden Fall vermieden werden.

Götz Wagner, Zürich: Lieber Kurt, sind Demokraten die besseren Nahost-Vermittler? Wenn ja, warum? Wie wichtig ist das Capitol für Fortschritte, wie wichtig das Weisse Haus?
Kurt R. Spillmann: Demokraten sind aus ihrer liberalen Tradition heraus kooperativer als die Republikaner. Sowohl der Völkerbund als auch die Uno sind von demokratischen Präsidenten (Woodrow Wilson, Franklin D. Roosevelt) lanciert worden und basieren auf dem Grundgedanken, dass militärische Auseinandersetzungen durch Rechtsprozesse ersetzt werden sollten und dass nicht militärische Macht, sondern die Überzeugungskraft von Argumenten und Rechtspositionen den Ausschlag geben sollten. Die Bush-Regierung hält wenig von internationaler Zusammenarbeit und hat das auch dadurch dokumentiert, dass sie einen ausgesprochenen Uno-Gegner zu ihrem Botschafter in der Uno ernannt hat. Jeder amerikanische Botschafter handelt zuerst im Auftrag der Exekutive (Weisses Haus) und des Kongresses (Capitol) und kann nur durch Verweigerung von Finanzen für Kriege oder die Verweigerung von Ernennungen Einfluss nehmen. Es bleibt also das Ende der Ära Bush abzuwarten.

Ken Egli, Zürich: Guten Tag Herr Spillmann. In den letzten Tagen wurde in den Medien darüber gestritten, ob es sich beim Konflikt im Irak um einen Bürgerkrieg handelt. Wie sehen Sie die aktuelle Situation?
Kurt R. Spillmann: In der Tat ist aus der Konfrontation zwischen Saddam-Anhängern und den Koalitionstruppen mittlerweile ein Viel-Fronten-Krieg zwischen über zwanzig schiitischen Milizen, sunnitischen Widerstandskämpfern und weiteren Gruppierungen geworden. Man kann also schon jetzt sagen, der Irak befindet sich in einem Bürgerkrieg.

Martin Merz, Hochfelden: Würde es keine Stabilität bringen, wenn der Irak aufgeteilt würde in je einen Teil für Sunniten, Schiiten, Kurden?
Kurt R. Spillmann: Leider ist der Irak nicht klar in diese drei Teile einzuteilen. Wie in den meisten Vielvölkerstaaten sind die Grenzen nicht scharf zu ziehen, und innerhalb der einzelnen Teile bestehen wieder ethnische, ideologische oder religiöse Differenzen. Deshalb ist auch von einer Dreiteilung des Iraks keine wirkliche Befriedung zu erwarten, sondern ein weiterer Zerfall in kleinere Fragmente.

Wolfgang Kweitel, Zürich: Wäre eine geordnete Auflösung des Iraks überhaupt durchführbar? Oder würde die Region damit noch chaotischer?
Kurt R. Spillmann: Das irakische Parlament ist zu schwach und zu zerstritten, um eine Selbstauflösung zu beschliessen. Hingegen positionieren sich bereits die Nachbarstaaten Iran, Syrien und Türkei, um auf das absehbare Chaos Einfluss zu nehmen. Eine politisch legale Auflösung des Staates ist im Augenblick nicht absehbar.

Arnold Achermann, Zumikon: Kann Bush die Weltmeinung ignorieren?
Kurt R. Spillmann: Leider ja. Bush fühlt sich als wiedergeborener Christ im direkten Kontakt mit Gott, was ihm persönlich Sicherheit gibt, auch gegen widrige äussere Umstände auf seinem Kurs zu beharren.

Moderator: Wird dies nicht langsam schwierig angesichts der Faktenlage?
Kurt R. Spillmann: In der Tat: Aber die steigenden Verluste der Koalitionstruppen haben Bush bisher nicht beeindruckt. Am gewichtigsten sind wohl die Einwände der aus beiden Parteien rekrutierten Baker-Kommission gegen den starren Bush-Kurs im Irak. Indessen hat Bush, anlässlich des Besuchs von Maliki in Amman, diesen einen «starken Führer» genannt, ihm seine weitere Unterstützung zugesagt und sich klar in Gegensatz zu den Empfehlungen der Baker-Kommission gestellt, die einen etappenweisen Truppenrückzug aus dem Irak empfiehlt.

Moderator: Einer der grössten Profiteure des amerikanischen Debakels im Irak ist der Iran. Können unter diesen Umständen die Mullahs in Teheran noch daran gehindert werden, die Atombombe zu bauen?
Kurt R. Spillmann: Festzuhalten ist, dass der Iran nach wie vor behauptet, die Atombombe nicht anzustreben, sondern nur Uran anzureichern, um Energie für die eigene Wirtschaft herzustellen. Der Iran ist auch Mitglied der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) und hat sich bisher nicht frontal gegen diese gestellt. Der verbreitete Verdacht, dass der Iran auf längere Zeit mit dem angereicherten Uran auch eine Atombombe herstellten wolle, ist bisher nur eine Unterstellung. Der amerikanische Kurs, dieser Unterstellung durch eine konfrontative Politik begegnen zu wollen, ist deshalb kaum Erfolg versprechend. Der Iran ist zu gross, um von den USA durch einen Überfall mit Fernlenkwaffen oder durch eine militärische Besetzung bezwungen zu werden. Nur eine Politik des Dialoges und der Einbindung kann längerfristig Erfolg haben.

Peter West, Uster: Aber der Iran will doch Israel auslöschen. Wäre deshalb ein Präventivschlag gegen dieses Terrorregime nicht das einzig Richtige?
Kurt R. Spillmann: Es gibt Anhänger dieser Idee, aber die Atomanreicherungsanlagen sind im Iran über das ganze Land verteilt, zum Teil tief unter der Erde, zum Teil an unbekannten Örtlichkeiten, und ein Präventivschlag dieser brutalen Art würde nur die gesamte muslimische Welt noch stärker in Gegensatz zu Israel, den USA und der westlichen Welt bringen. Der Weg Irans zur Atombombe könnte nur um einige Jahr verlängert werden. Angesichts der heute bestehenden Massenvernichtungsmittel in allen Weltteilen ist jede konfrontative Politik dieser Art unfruchtbar und hilft auch nicht, die Existenz Israels zu sichern.

Moderator: Israel steht ohne Zweifel im Zentrum der anhaltenden Krise im Nahen und Mittleren Osten. Was können die USA im Konflikt zwischen Israeli und Palästinensern ausrichten?
Kurt R. Spillmann: Der Nahost-Konflikt kann nur durch Druck auf beide Seiten und durch Hilfeleistungen an beide Seiten entschärft werden. Das heisst, dass auf der Seite Israels das Existenzrecht anerkannt werden muss und auf der Seite der Palästinenser vernünftige wirtschaftliche Lebensmöglichkeiten in einem eigenen Staat garantiert werden müssen. Vor allem in diesem letzten Aspekt könnten sich die USA deutlich stärker engagieren. Dadurch würden die radikalen Tendenzen in der palästinensischen Bevölkerung reduziert, und der Dialog zwischen Palästinensern und Israeli könnte wieder in Gang gebracht werden.

Käthi H., Zürich: Die Palästinenser sind und bleiben ein Terroristenvolk. Sollte man die Israeli nicht einfach machen lassen?
Kurt R. Spillmann: Wohin soll das führen? Eine Unterwerfung aller Palästinenser und aller sie unterstützenden Staaten durch Israel? Eine von der Machtverteilung her völlig unrealistische Vorstellung.

Götz Wagner, Zürich: Nicht nur Bush, auch Jimmy Carter war ja ein wiedergeborener Christ im Weissen Haus, der allerdings meines Erachtens enorm unterschätzt wurde, obwohl er Bush (und Reagan) als Regent weit überlegen war. Was meint der Fachmann dazu?
Kurt R. Spillmann: Die Tatsache des persönlichen Glaubens kann Menschen in sehr verschiedenen Überzeugungen bestärken. Carter hat aus seiner reiligiösen Überzeugung eine Verpflichtung zum Wirken für die Menschenrechte und den Weltfrieden abgeleitet. Bush leitet aus dieser persönlichen Überzeugung ab, dass er den christlichen Werten, so wie er sie sieht, zum Durchbruch zu verhelfen habe. Und dazu gehörte auch die Entmachtung des Diktators Saddam Hussein.

Judith Sch., Bülach: Ich bin anderer Meinung als G.W. Mit Jimmy Carter im Weissen Haus während 9/11, hätte al-Qaida noch viel öfter und blutiger zuschlagen können.
Kurt R. Spillmann: In Reaktion auf 9/11 musste der Präsident zum Einiger des amerikanischen Volkes und zum Sprecher für die amerikanische Demütigung werden. Kein amerikanischer Präsident hätte es sich leisten können, nicht mit drastischen Sicherheitsmassnahmen zu reagieren. Die Welt ist Bush ja auch bis nach Afghanistan gefolgt. Aber der Entscheid, im Irak einzumarschieren, konnte und kann mit 9/11 nicht mehr legitimiert werden. Sogar Jimmy Carter hat den Entscheid, im Irak anzugreifen, «die schlechteste aussenpolitische Entscheidung» genannt, die je ein amerikanischer Präsident getroffen hat. Bush ist vom Sicherheitsbestreben der USA nach 9/11 nie mehr losgekommen und hat seine ganze Politik diesem einen Gedanken untergeordnet. Dabei erfordert in der heutigen globalisierten Welt das Zusammenleben der Menschen unbedingt kooperatives und dialogisches Verhalten.

ISN-Team, ETH Zürich: Was halten Sie von der Youth-Bulge-Theorie, nach der ein demografisches Übergewicht an jungen Männern für die meisten historischen und aktuellen Konflikte verantwortlich ist? Der Mittlere Osten zeichnet sich ja momentan durch ein solches demografisches Ungleichgewicht aus.
Kurt R. Spillmann: Diese Theorie halte ich für unzutreffend, denn es gab auch in der Vergangenheit verschiedene Perioden, in denen demografische Zunahmen der jungen Generation anders als durch Krieg bewältigt wurden. Nur, wenn zur grossen Zahl junger Männer auch die existentielle Aussichtslosigkeit der Lebenssituation hinzukommt, entsteht eine gewalttätige Mischung.

Marco Fäh, Stans: Wer gibt uns eigentlich das Recht, unsere Wertvorstellungen und unsere Ansichten der restlichen (hauptsächlich arabischen) Welt aufzuzwingen? Ich komme immer mehr zur Überzeugung, dass bei uns Vorstellungen von Demokratie und Nächstenliebe nicht viel besser sind als in anderen Kulturen. Was meinen Sie?
Kurt R. Spillmann: Im Prinzip haben Sie Recht: Das Zusammenleben verschiedener Kulturen ist nur möglich, wenn diese Gruppen im Dialog gemeinsame Verhaltensregeln ausarbeiten. Im Prinzip ist das ein parlamentarisches Verfahren, auf globale Ebene übertragen. Keine Kultur und kein Staat haben das Recht, ihre Wertvorstellungen anderen Menschengruppen aufzuzwingen, was in der europäischen Vergangenheit (insbesondere Kolonialismus) immer wieder getan wurde. Statt in Konfrontation der Wertesysteme zu verfallen, sollten wir uns viel stärker auf den Ausbau des internationalen Rechts und der Folgeverabredungen auf Basis der Uno-Charta konzentrieren.

Daniel Aufschläger, Zürich: China wird immer stärker und damit auch seine Position als weltgrösster Menschenrechtsverletzer. Wie sind die Perspektiven, dass China ein demokratisches und verantwortungsbewusstes Mitglied der Weltgemeinschaft wird?
Kurt R. Spillmann: Ich weiss nicht, warum Sie in China den weltweit grössten Menschenrechtsverletzer sehen. Natürlich ist uns Tiananmen in lebhafter Erinnerung. Aber die chinesischen Überlegungen gingen damals dahin, dass man einen Verlust der öffentlichen Ordnung und ein Abgleiten in die Zustände der Zwanzigerjahre befürchtete, als China zerrissen war, zwischen sich bekämpfenden Kriegsherren, und die Bevölkerung unendlich grosses Leid und Verluste in Kauf nehmen musste. Die chinesische Führung versucht, ein Gleichgewicht zu finden zwischen den Notwendigkeiten der Erhaltung der staatlichen Einheit und der öffentlichen Ordnung sowie den Anforderungen der wirtschaftlichen und politischen Liberalisierung. Bis jetzt war die Führung erfolgreich, China bleibt aber geplagt von schwierigsten inneren Spannungen.

Thomas Holderegger, Zürich und Bern: Hallo Kurt! Wenn sich die Amerikaner tatsächlich bald aus dem Irak zurückzuziehen beginnen – was glaubst Du, werden alle die Terroristen/Dschihadisten im Land machen? Besteht eine Gefahr, dass sie ihren Dschihad nach Europa tragen könnten bzw. dadurch die Gefahr von Anschlägen in Europa zunehmen würde?
Kurt R. Spillmann: Es sind in der Tat viele Al-Qaida-Terroristen zugereist und beteiligen sich am innerirakischen Machtkampf, und es besteht tatsächlich die Gefahr, dass arbeitslose Terroristen neue Tätigkeitsfelder in Europa suchen könnten. Doch der Machtkampf im Irak wird noch lange dauern, und Europa hat unterdessen Zeit, seine Sicherheitsvorkehrungen massiv zu verstärken.

Moderator: Das war die letzte Antwort. Ich danke den Leserinnen und Lesern für ihre interessante Fragen und Herrn Spillmann für die Teilnahme am TagiTalk und seine fundierten Einschätzungen.

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