Donnerstag, Dezember 21, 2006

Viel britische Ohnmacht im Nahen Osten

Viel britische Ohnmacht im Nahen Osten
Skepsis über Blairs Aussenpolitik wegen des Iraks und Bush


Die Nahostreise von Premierminister Blair ist in den britischen Medien auf grosse Skepsis gestossen. Ein Londoner Institut hat gleichzeitig eine generelle Kritik an Blairs Aussenpolitik publiziert. Sie bezieht sich auf den Irak-Krieg, die Hörigkeit gegenüber Bush und die Vernachlässigung europäischer Koordination.

20. Dezember 2006, Neue Zürcher Zeitung
Mr. London, 19. Dezember

Der britische Premierminister Blair hat eine fünftägige Reise in den Nahen Osten am Dienstag mit einem Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten abgeschlossen. Neben dem bilateralen Handel (100 000 Briten arbeiten dort) ging es um die Pflege von Beziehungen mit einer muslimischen, arabischen und gemässigten Macht. Die Rolle der gemässigten arabischen Staaten muss sich aber erst noch erweisen. Aber auch die sofortige Parteinahme Blairs - und der Europäischen Union sowie der USA - für die umstrittene Ansetzung von vorzeitigen Neuwahlen in Palästina durch Präsident Abbas, mit dem Blair in Ramallah zusammengetroffen war, reihte sich in diese Logik ein, obwohl es sich um eine unsichere und möglicherweise kontraproduktive Initiative handelt.
Zurückkrebsen auf der ganzen Linie

Es hätte für Blair nicht schlechter laufen können. Von Brüssel aus traf er in Ankara ein, wo er den Entscheid der Europäischen Union zur teilweisen Aussetzung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nur als «schweren Fehler» bezeichnen konnte. Aber selbst in London blieb nicht unbemerkt, dass es vor allem die Vereinigten Staaten waren, welche aus Eigeninteresse auf die EU Druck, der zum Teil als ungebührlich empfunden wurde, für den Beitritt der muslimischen Grenzmacht ausgeübt hatten.

Die Ankunft in Bagdad wurde überschattet von der wachsenden Gewissheit, dass Präsident Bush den Baker-Plan nicht akzeptieren würde. Gegen die Linie von Blair, der ständig noch fiktive Abzugdaten für die britischen Truppen im Süden verbreiten lässt, scheint er zunächst eine Aufstockung amerikanischer Truppen zu beabsichtigen. Blair musste selbst seinen eigenen Vorschlag, mit Syrien und Iran im Rahmen einer regionalen Diplomatie über den Irak zu verhandeln, vorübergehend wieder beerdigen.
Sprachlose Aussenministerin

Selbst wenn Blair mit seiner nicht neuen und auch nicht unbedingt zutreffenden, jedenfalls aber erfolglosen Forderung an Bush, erst den Konflikt zwischen Israel und Palästina als ein permanentes Grundübel in der explosiven Region für eine allgemeine Befriedung zu lösen, recht gehabt hätte - der palästinensische Bruderkrieg machte ihm, als er am Montag und Dienstag in Ramallah und Israel weilte, einen Strich durch die Rechnung.

Man kann sich den Ärger in Downing Street und im britischen Aussenministerium vorstellen, als gleichzeitig am Dienstagmorgen das Chatham House, ein angesehenes, auf internationale Analysen spezialisiertes Institut, auf konzisen sechs Seiten eine letztlich vernichtende, wenn auch differenzierte Kritik an der Aussenpolitik von Blair veröffentlichte. Der Aussenministerin Beckett verschlug es buchstäblich die Sprache, als sie von der BBC dazu befragt wurde. Sie sprach von «lächerlichen» Bemerkungen unter dem Niveau des Instituts und bestritt jeglichen Verlust von britischem Einfluss im Nahen Osten, gegenüber den USA und innerhalb der Europäischen Union. Sie bestätigte letztlich nur, dass Blair selbst seit ihrem Amtsantritt für die Aussenpolitik zuständig ist.
Einseitige und persönliche Abhängigkeit

Der Ende Jahr abtretende Direktor des Instituts, der Politologe Bulmer-Thomas, fasste dabei nur etwas ungewollt bösartig, weil konzentriert, zusammen, was pensionierte Diplomaten, anonyme Beamte des Aussenministeriums, frustrierte Militärs und die Medien schon lange angeprangert hatten. Nach einem eher positiven aussenpolitischen Start beim Regierungsantritt 1997 hatten sich die globalen, multilateralen, humanitären und ökologischen Initiativen von Blair abgeschwächt. Blair war zwar charismatisch und missionarisch und hatte gewisse Erfolge mit dem Kyoto-Protokoll und der Afrika-Kampagne am G-8-Gipfel 2005 in Schottland. Aber die Terroranschläge vom September 2001 in den USA und der nachfolgende Irak-Krieg ab 2003 brachten ihn in eine selbstverschuldete und derart enge, auch persönliche Abhängigkeit von Präsident Bush, dass er sowohl britische Interessen aus den Augen verlor als auch die Koordination mit einer Europäischen Union, die ihrerseits heillos über ihre neue Verfassung und das Irak-Engagement zerstritten war. Der Bericht räumt allerdings ein, dass weder ein geeintes Europa noch Grossbritannien allein eine Chancen gehabt hätten, auf die inneren Machtkämpfe in Washington zwischen Weissem Haus, dem Vizepräsidenten, den wechselnden Aussenministern und dem Pentagon mit eigenen Ideen einzuwirken.
Nicht mehr einflussreich genug

Aber er wirft Blair vor, trotz eigenen Informationen (etwa über die nie gefundenen Massenvernichtungswaffen) den «schrecklichen Fehler» des Krieges gegen Saddam Hussein gemacht und den britischen Einfluss auf Washington sträflich überschätzt zu haben. Letzteres hätte man seit der Suez-Krise vor 50 Jahren eigentlich wissen müssen. Blair habe die Administration Bush in keinerlei Weise nennenswert beeinflussen können, trotz den eigenen militärischen, politischen und finanziellen Opfern. Die vor allem seit Churchill und Roosevelt gepflegte «special relationship» wäre demnach eine britische Illusion geblieben - was sowohl von offiziösen britischen wie amerikanischen Quellen immer wieder offen eingeräumt wird.

Blairs Nachfolger, schliesst der Bericht, müsse nach der «Wasserscheide» des Irak-Krieges einen neuen Ausgleich zwischen Europa und den USA suchen, wobei man sich aber nicht - was die Tories zurzeit tun - gleichzeitig sowohl von der Union wie von den USA distanzieren könne. Ein engeres Bekenntnis von Grossbritannien zu Europa, welches das seit langem proeuropäische Chatham House verlangt, läge dagegen auch im Interesse der USA. Allerdings wird in dem Bericht nicht gesagt, dass die Mehrheit der Briten - trotz den Annäherungsbemühungen von Blair zu Beginn seiner Amtszeit - der EU weiterhin skeptisch bis ablehnend gegenübersteht.

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