....aber es dauert bei denen halt immer Jahrhunderte. Trotzdem, ein Anfang:
23. Dezember 2006, Neue Zürcher Zeitung
Buddha, Jesus, Mohammed & Co. unter einem Dach
Ein Haus der Religionen - von der Vision zum Vorzeigeobjekt
Einmal mehr geht von Bethlehem eine Idee aus, die immer mehr Leute in ihren Bann zieht. Diesmal ist es allerdings nicht das palästinensische Bethlehem, sondern der gleichnamige Stadtteil von Bern, der bis in die höchsten politischen Kreise der Bundesstadt Furore macht. Lange bevor der sogenannte Kampf der Kulturen den Stammtisch eroberte, wurde im Westen Berns eine Vision entwickelt, die sich schon bald in einem sichtbaren Vorzeigeobjekt mit internationaler Ausstrahlung konkretisieren könnte. Daran glauben immerhin der Berner Stadtpräsident, die Regierung, die Regierungsstatthalterin, das Berner Stadtparlament, ein renommiertes Architekturbüro und auch die Bundeskanzlerin der Eidgenossenschaft, um nur ein paar der bekanntesten Aushängeschilder des Projekts zu nennen. Konkret geht es um ein Haus der Religionen, in dem Muslime, Buddhisten, Hindus, Juden, Christen und andere mehr ihre eigenen Gebetsräume hätten und nebeneinander ihren religiösen Verpflichtungen nachkommen könnten, sich zudem in Konferenz- und Aufenthaltsräumen zum interkulturellen Dialog begegnen und nicht zuletzt auch gemeinsam feiern würden.
Prophetische Initianten
Das Projekt scheint sich perfekt in die heutige Zeit zu fügen und könnte als Antwort auf die gegenwärtige Diskussion um den Bau von Minaretten und Tempeln interpretiert werden. Insofern sind jenen Leuten quasi prophetische Eigenschaften zu attestieren, die vor gut sechs Jahren die Idee aufgenommen und trotz finanziellen Schwierigkeiten weiterverfolgt und schliesslich zu breiter Akzeptanz gebracht haben. Als Promotor der ersten Stunde wirkte der «Runde Tisch der Religionen», der 1993 in Bern gegründet wurde und nicht nur für die Schweiz einmalig ist. Vertreter der reformierten und der katholischen Kirche, der islamischen Gemeinschaften, der jüdischen Gemeinde, der Hindus (vor allem tamilischen Ursprungs) und der buddhistischen Gruppen treffen sich seither regelmässig - nicht zu hochgestochenen theologischen Diskussionen, sondern zur Lösung konkreter Probleme in den Schulen oder bei der Anwendung religiöser Speisevorschriften in Spitälern und Gefängnissen. Am «Runden Tisch der Religionen» wurde auch eine pragmatische Lösung für ein separates Grabfeld für Muslime gefunden, ein Modell, das andere Städte inzwischen kopiert haben. Das Vertrauensverhältnis unter den Teilnehmern des «Runden Tisches» ist so gross, dass der Vertreter der Muslime einmal sagte, die islamischen Anliegen in Bern würden am besten durch die christlichen Kirchen und den Rabbiner vertreten.
Die Idee eines Hauses der Religionen stammt ursprünglich von einem, der sich selber als «spärlichen Kirchgänger» bezeichnet. Christian Jaquet, früherer Studienleiter an der Berner Fachhochschule für Gestaltung, Kunst und Konservierung, verfasste 1998 im Auftrag des Stadtplanungsamts Bern eine Imagestudie zum Stadtteil Bümpliz- Bethlehem und verliebte sich ein bisschen in das Randquartier mit nicht gerade bestem Ruf. Er beschrieb Bern West mit den Hochhäusern und Arbeitersiedlungen als Stück Schweiz, das noch nicht fertig gestaltet sei und deshalb noch Neues ermögliche. Konkret regte er den Bau eines Hauses der Kulturen und Religionen an, wofür die Bundesstadt und namentlich Bethlehem der prädestinierte Standort wäre. Er nannte auch ein mögliches Terrain für den Bau, nämlich das brachliegende stadteigene Land zwischen Bahngleisen und Autobahn, das schon von seinem Namen her zu Höherem bestimmt scheint; es heisst Europaplatz.
Vom Hinterzimmer ins Schaufenster
Der «Runde Tisch der Religionen» nahm die Idee auf und setzte eine Arbeitsgruppe zur Weiterverfolgung des Projekts ein. Die Fäden zog Hartmut Haas von der Herrnhuter Brüdergemeine, einer der Ökumene verpflichteten Gruppe innerhalb der traditionellen Kirchen. Diese hatte eine hauptamtliche Stelle für multikulturelle und interreligiöse Arbeit in Bern West geschaffen und leistete damit einen wesentlichen Beitrag auf dem Weg von der Vision zum konkreten Projekt. Aus der Arbeitsgruppe wurde ein Verein «Haus der Religionen - Dialog der Kulturen», dem ein halbes Dutzend Religionen, gut zwanzig Institutionen sowie ein paar hundert zahlende Mitglieder angehören. Unterstützt wird das Projekt zudem von einem rund 1500 Personen zählenden Freundeskreis. Für das Projekt liess sich schliesslich auch der Architekt Marco Ryter vom Büro Bauart begeistern. Zusammen mit dem Architekturbüro Urbanoffice aus Amsterdam/Zürich und dem Projektleiter Stefan Graf von Bauart erstellte er - notabene auf eigene Kosten - die Pläne für den Neubau am Europaplatz. Auf Antrag der Stadtregierung genehmigte das Stadtparlament die Abgabe des entsprechenden Terrains zu Vorzugsbedingungen, im März dieses Jahres wurde eine Stiftung «Europaplatz - Haus der Religionen» gegründet, die die erforderlichen finanziellen Mittel für das Vorhaben aufbringen soll, und für Anfang 2007 wird mit der Baubewilligung gerechnet.
Innerhalb der letzten zwei Jahre hat das Projekt einen rasanten Weg zurückgelegt: von der Vision in die Realisierungsphase, vom Pfarrhaus ins Regierungsgebäude und vom Kirchenblatt in die Zeitschrift «Geo», die dem inzwischen auf internationale Beachtung stossenden Vorhaben einen längeren Artikel widmete. Interessanterweise haben sich Persönlichkeiten für das Projekt begeistern lassen, die mit Religion nicht viel am Hut haben. Zum Beispiel der Architekt Marco Ryter. Er hat eben den Lehrgang «Moderation und Mediation im interkulturellen und interreligiösen Dialog» abgeschlossen, den die Berner Fachhochschule zusammen mit dem Verein «Haus der Religionen - Dialog der Kulturen» anbietet. Im tabufreien Gespräch zwischen Menschen, die ein Dutzend Nationalitäten und ein halbes Dutzend Religionen repräsentierten, kam es zu Begegnungen, die er sich zuvor nie hätte vorstellen können. Etwa mit dem somalischstämmigen Imam von Bern, den er inzwischen als einen seiner liebsten Freunde bezeichnet und mit dem er sich auch beim Kochen bestens versteht.
Zwischen Stade de Suisse und New York
Auch Christoph Reichenau, der frühere Vizedirektor des Bundesamts für Kultur und heutige Leiter der Abteilung Kulturelles der Stadt Bern, ist ein überzeugter Anhänger des Projekts und sagt klipp und klar: «Die Stadt will dieses Haus.» Das Haus der Religionen ist offizieller Bestandteil der Kulturförderungsstrategie, und im Budget fürs Jahr 2008 ist bereits ein namhafter Beitrag an den Betrieb vorgesehen. Reichenau, obwohl selber nicht religiös, hat keine Berührungsängste. Für ihn ist die Pflege religiöser Riten und Bräuche ein eminenter Bestandteil der Kultur; zentrale Künste seien schliesslich aus dem Glauben entstanden. Er hebt sich mit dieser Offenheit wohltuend von den momentan hoch im Kurs stehenden staatlichen Integrationsstellen ab, die keine religiösen Projekte finanzieren, obwohl die Kirchen wesentliche Schnittstellen der Ausländerintegration sind. Lieber unterstützt man beispielsweise ein «Ethnopoly» - ein blauäugiges Spiel zwischen verschiedenen Rassen. Immerhin hat der Verein «Haus der Religionen - Dialog der Kulturen» mit dem zweiten Teil seines Namens diese strikte Barriere geknackt, wenn nicht pekuniär, so doch zumindest ideell: Er wurde mit dem Integrationspreis der Stadt Bern ausgezeichnet.
Wie Christoph Reichenau gehört auch Regierungsstatthalterin Regula Mader dem Stiftungsrat «Europaplatz - Haus der Religionen» an. Als Staatsvertreterin liegt ihr an einem partnerschaftlichen Verhältnis zwischen Kirche und Staat, in dem sowohl Kritik wie auch offene Auseinandersetzung Platz haben. Sie sieht das Projekt «Haus der Religionen» als einen Markstein auf dem Weg zu einer friedlichen Gesellschaft. Präsidiert wird die Stiftung, deren wichtigste Aufgabe es ist, den Bau finanziell sicherzustellen, von Guido Albisetti, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Von Graffenried Holding AG. Er glaubt sowohl an das Projekt wie an den Standort, den er wegen der optimalen Anbindung an Autobahn und öffentlichen Verkehr als genial bezeichnet. Einen Erfolg kann die Stiftung bereits verbuchen: Zuwendungen werden als steuerfrei anerkannt. Neben privaten Mäzenen und Legaten sind auch Beiträge aus dem kantonalen Lotteriefonds sowie aus den Prägegewinnen des Bundes denkbar.
Für den auf insgesamt 60 Millionen Franken veranschlagten Bau ist eine sogenannte Mantelnutzung, ähnlich wie bei den neuen Stadien, vorgesehen. Die Stiftung würde mit rund 6 Millionen Franken Stockwerkeigentümer jenes Gebäudeteils, der als eigentliches Haus der Religionen dienen soll. Laut dem Architekten Marco Ryter sind Investoren bereits in den Startlöchern. So soll beispielsweise die Accor-Gruppe daran interessiert sein, einen Teil des Neubaus als sogenanntes Suite-Hotel zu nutzen für Personen, die sich beruflich mehr als nur gerade eine Nacht in Bern aufhalten. Die Hotelgruppe hat ihr Interesse untermauert, indem sie die Anpassung des Vorprojekts an ihre Bedürfnisse finanzierte. Ein weiterer Partner ist im Bereich betreutes Wohnen in Sicht. Es ginge nicht nur um Betagte, sondern beispielsweise um Wohnungen für Botschaftsangestellte, denen gewisse Dienstleistungen offeriert würden, unter anderem ein Sicherheitsdienst rund um die Uhr. Der ästhetische «Unort» im Fadenkreuz von Autobahn und Bahngleisen, wo immerhin bereits das monumentale Verwaltungsgebäude der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) steht, könnte in den obersten Gefilden mit Sicht auf die Stadt auch für die urbane Generation 50 plus interessant sein, meint der Architekt: ein Wohnfeeling sozusagen wie in New York, und statt im eigenen Gastzimmer würde man Freunde im hauseigenen Hotel unterbringen.
Der Weg ist ein bisschen das Ziel
Während die Politiker das Haus der Religionen bereits als neuen Anziehungspunkt der Bundesstadt sehen, stösst man bei den Initianten der ersten Stunde auf fast überirdische Gelassenheit. Obwohl die Baubewilligung noch aussteht, gibt es für sie das Haus der Religionen bereits als «work in progress». Die Nutzungsvereinbarungen mit den interessierten Religionsgemeinschaften sind unter Dach, und seit vier Monaten leben die verschiedenen Religionen in einer dem Abbruch geweihten Fabrikationshalle mitten in Bern bereits das Haus der Zukunft. Muslime, die sich sonst in einer früheren Autoeinstellhalle zum Gebet versammeln, Hindus, die ihren Tempel unter den Türmen der Kehrichtverbrennungsanlage verstecken mussten, Buddhisten, die in einer ausgedienten Garage meditieren, nisten sich nach und nach in der riesigen Halle ein, die die Stadt dem Verein zur Nutzung überlassen hat, bis das visionäre Haus der Religionen tatsächlich verwirklicht ist. Für Vereinspräsident Hartmut Haas geht es darum, Raum zu schaffen, damit ein vernünftiges Gespräch zwischen Religionen, Kulturen und Gesellschaft möglich wird und die Entstehung religiöser Ghettos verhindert wird. Es handle sich letztlich nicht um ein religiöses, sondern um ein gesellschaftliches Projekt.
Für den Kulturbeauftragten Christoph Reichenau besteht deshalb kein Zweifel, dass das Haus der Religionen auch tatsächlich gebaut und das Projekt realisiert wird - «sonst macht unsere Gesellschaft etwas falsch». Und wenn es trotz den bereits investierten Geldern doch noch schiefgehen sollte? «Dann geht es höchstens so schief wie mit dem Christkind», sagt der Präsident des Vereins «Haus der Religionen - Dialog der Kulturen». «Ein Gott gehört doch nicht in einen Stall und endet dann am Kreuz. Ist da etwas schiefgegangen? Die Idee jedenfalls lebt noch immer.»
Monika Rosenberg
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