Sonntag, Dezember 03, 2006

Israel - Palestine: If reason could prevail

An Israeli soldier and a Palestinian resistance fighter on a visit to Zurich.

2. Dezember 2006, Neue Zürcher Zeitung
Gewaltlos für den Frieden
Ein israelischer Soldat und ein palästinensischer Widerstandskämpfer besuchen gemeinsam Zürich


Der ehemalige israelische Elitesoldat Itamar Shapira und der frühere palästinensische Widerstandskämpfer Sulaiman al-Hamri engagieren sich für den Dialog und ein Ende der Besetzung. In Zürich erzählen die beiden ihre persönliche Geschichte.

kw. «Ich dachte immer, dass ich einem Mörder nie die Hand geben würde. Nach meiner Armeezeit wurde mir mit einem Schlag bewusst, dass ich selber einer bin und eigentlich gar kein schlechter Mensch.» Der 26-jährige israelische Student Itamar Shapira spricht ganz leise, leicht von den Anwesenden abgewandt. Er vergesse beim Erzählen die Zuhörer, weil er es sonst nicht wagen würde, so viel Persönliches preiszugeben, sagt er. Seit zwei Jahren ist Itamar Teil einer israelisch-palästinensischen Gruppe, die sich «Kämpfer für den Frieden» nennt. Je 120 ehemalige palästinensische Kämpfer und israelische Soldaten treffen sich regelmässig in den besetzten Gebieten. Die persönlichen Geschichten und das Verständnis für den anderen stehen im Vordergrund. Bei einem Besuch in Zürich sprachen Itamar und sein palästinensischer Kollege Sulaiman al-Hamri über sich und den Teufelskreis der Gewalt.
Von Opfern und Heroen

Das Gefühl, Opfer zu sein, werde in Israel gut gepflegt, sagt Itamar. Seine Grosseltern - Holocaustüberlebende - seien Opfer der Europäer gewesen. Später hätten die Araber die Juden ins Meer werfen wollen. «Du glaubst, dass dich alle töten wollen und dass sich Israel nur verteidigt. Ich wollte das Beste für meine Gemeinschaft tun. In der Nacht des 11. Septembers 2001 nahm Itamar an einer Verhaftungsaktion im Westjordanland teil. «Wir sprengten eine Brücke vor einem Dorf. Es war eine Bestrafungsaktion für die Bewohner des Ortes, aus dem Selbstmordattentäter losgeschickt worden waren. Als sich uns ein palästinensisches Polizeiauto näherte, schossen wir darauf. Wir töteten vier oder fünf Leute. Später in den Feldern waren es noch mehr.» Zuerst habe er sich heroisch gefühlt, dann habe er gemerkt, dass bei diesem Einsatz etwas in ihm zerbrochen sei. Nur seinen Brüdern erzählte er, dass er getötet habe. Nach seiner Armeezeit reiste er nach Südamerika und Spanien. Sich mit Drogen vollzupumpen, abzuhauen - das sei unter den jungen Israeli eine gängige Methode, um der Vergangenheit zu entfliehen.

Als Itamar nach Israel zurückkehrte, hatten seine Brüder Piloten und Soldaten um sich versammelt, die sich weigerten, in den besetzten Gebieten Dienst zu tun. Ausschlaggebend war der Schock darüber, dass die Besatzung ihren jüngeren Bruder zum Mörder gemacht hatte. Auch Itamar wurde Teil der Verweigerer und damit als Verräter in der eigenen Gesellschaft geächtet. «In Israel schliessen die meisten die Augen. Sie wollen nicht wissen, dass wir die Palästinenser unterdrücken, ihre Häuser besetzen, ihr Land stehlen. Man kann uns nicht für alles verantwortlich machen, aber wir sind die Stärkeren, wir sind die Besatzer, und deshalb liegt es an uns, den Konflikt zu beenden und den Dialog zu beginnen.»
Widerstand als Familienerbe

Sulaiman al-Hamri, ein Palästinenser mit adrett gestutztem Schnäuzchen, war der Erste, der auf palästinensischer Seite bereit war, mit ehemaligen israelischen Soldaten zu sprechen. Und das, obwohl in der Familie des 41-jährigen Vaters zweier Kinder Widerstand schon immer grossgeschrieben worden war. Sulaimans Grossvater kämpfte bereits gegen die britische Besatzungsmacht. 1967, als Israel das Westjordanland, den Gazastreifen und Ostjerusalem besetzte, leistete sein Vater gegen die neuen Besatzer Widerstand und verbrachte deshalb zehn Jahre in israelischen Gefängnissen. Für Sulaiman ist klar, dass die israelischen Opfer längst zu Tätern geworden sind. Anfang der achtziger Jahre trat der damals 17-Jährige selbst der Widerstandsbewegung der Fatah bei. Das sei ein ganz selbstverständlicher Schritt gewesen, eine Art Familienerbe. Vergessen werde jedoch oft, dass es sich bei den Israeli und den Palästinensern schon damals nicht um gleich starke Gegner gehandelt habe. Vielmehr sei eine hochgerüstete Armee gegen schlecht ausgerüstete Kämpfer angetreten.

Als 1987 die erste Intifada ausbrach, blockierte Sulaiman mit seinen Kollegen Siedlerstrassen, bewarf Militärjeeps mit Steinen und verteilte Flugblätter. Für diese Aktionen musste er eineinhalb Jahre ins Zeltgefängnis in der Wüste Negev. Später folgten nochmals drei Gefängnisjahre. In der Zeit der Oslo-Verhandlungen Anfang der neunziger Jahre, als alle von Frieden sprachen, wurde Sulaiman entlassen. Sinnigerweise nennt er den ehemaligen palästinensischen Präsidenten Yasir Arafat als den Mann, der ihn auf den Weg der Gewaltlosigkeit und des Dialogs geführt habe. Voller Hoffnung sei er gewesen, als er als Mitglied der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) versucht habe, die Bewohner Bethlehems vom Frieden zu überzeugen. Es sei ihm klargeworden, dass Gewalt zu noch mehr Gewalt führe und der Konflikt so nie beendet werden könne. «Ich bin gegen Selbstmordanschläge», sagt Sulaiman denn auch bestimmt - aber man müsse verstehen, dass die palästinensische Gewalt eine Reaktion auf die Besatzung sei. Der Friede war von kurzer Dauer, die Oslo-Abkommen ein Desaster. Trotz dem Ausbruch der zweiten Intifada im Jahr 2000 blieb Sulaiman der Fatah und seiner Überzeugung treu, dass nur Dialog und gewaltfreier Widerstand zu einem eigenen Staat führen können. Man müsse an Träume glauben. «Hat nicht Theodor Herzl 1897 in Basel von einem Judenstaat gesprochen, und fünfzig Jahre später ist er gegründet worden?», fragt Sulaiman.

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