Donnerstag, März 26, 2009

Economist / NZZ 12/2004 : Ist der Dollar bald nur noch Geschichte?

NZZ am Sonntag
12. Dezember 2004
Ist der Dollar bald nur noch Geschichte?
Mögliche Anzeichen für ein Ende der Dominanz des Dollars

Der Denar der alten Römer, der niederländische Gulden, das britische Pfund Sterling - sie alle dienten einst als internationale Leitwährung, bevor sie an Bedeutung einbüssten. Gehört der Dollar bald auch dazu? Es gibt starke Anzeichen dafür, dass die US-Währung ihre Funktion für die Weltwirtschaft verlieren könnte, schrieb das Wirtschaftsmagazin «Economist» Ende 2004.

Wechselkursprognosen sind unzuverlässig. «Die Erfolgsquote solcher Prognosen», bemerkte einst der amerikanische Notenbankchef Alan Greenspan, «ist nicht viel besser als jene von Voraussagen eines Münzwurfes.»


NZZ am Sonntag
12. Dezember 2004
Ist der Dollar bald nur noch Geschichte?
Mögliche Anzeichen für ein Ende der Dominanz des Dollars

Der Denar der alten Römer, der niederländische Gulden, das britische Pfund Sterling - sie alle dienten einst als internationale Leitwährung, bevor sie an Bedeutung einbüssten. Gehört der Dollar bald auch dazu? Es gibt starke Anzeichen dafür, dass die US-Währung ihre Funktion für die Weltwirtschaft verlieren könnte, schrieb das Wirtschaftsmagazin «Economist» Ende 2004.

Wechselkursprognosen sind unzuverlässig. «Die Erfolgsquote solcher Prognosen», bemerkte einst der amerikanische Notenbankchef Alan Greenspan, «ist nicht viel besser als jene von Voraussagen eines Münzwurfes.»

Die letzten Jahre haben das gezeigt: Die meisten Währungs-Auguren hätten besser Münzen geworfen, dann hätten ihre Prognosen zumindest bei einer Trefferquote von fünfzig Prozent gelegen. Doch für die nächsten paar Jahre scheint es eine ziemlich sichere Sache zu sein, auf einen deutlichen Kursverfall des Dollars zu setzen.

Seit Mitte Oktober ist der Dollar gegenüber anderen führenden Währungen um etwa 7 Prozent gefallen, er hat gegenüber dem Euro ein Rekordtief, und gegenüber dem japanischen Yen ein Fünfjahrestief erreicht. Seit Anfang 2002 hat der Dollar gegenüber dem Euro 35 Prozent verloren, gegenüber einem breit angelegten Währungskorb, der auch den an den Dollar gebundenen chinesischen Yuan enthielt, hat er bescheidenere 17 Prozent verloren. Der Dollar schwächelte dieser Tage enorm, nachdem Alan Greenspan erklärt hatte, dass das amerikanische Leistungsbilanzdefizit nicht mehr zu finanzieren sei, weil ausländische Anleger irgendwann kein Interesse mehr hätten, in Amerika zu investieren.

Alarmierende Zeichen

Alan Greenspan dürfte nicht der einzige Notenbankchef mit einer pessimistischen Sicht auf den Dollar sein. Der Gedanke, ausländische Zentralbanken könnten ihre Dollarbestände reduzieren, sorgt allenthalben für Unruhe. Jüngst erklärten Sprecher der Staatsbanken von Russland und Indonesien, ihre Banken dächten über eine Reduzierung ihrer Dollarreserven nach. Noch alarmierender waren Meldungen, die chinesische Zentralbank, die nach Japan über den zweitgrössten Bestand an Devisenreserven verfügt, habe möglicherweise den Erwerb von US-Anleihen reduziert.

In dieser Situation denken einige Ökonomen das bisher Undenkbare: Wird der Dollar seinen Status als Reservewährung verlieren? In den letzten zweitausend Jahren gab es immer wieder eine andere internationale Leitwährung - vom römischen Denar über den byzantinischen Solidus zum niederländischen Gulden und dem Pfund Sterling. Der Dollar ist seit mehr als sechzig Jahren Leitwährung. Davon hat Amerika profitiert, es kann Importe und Kredite in der eigenen Währung und zu niedrigen Zinsen bezahlen.

Der Anteil des Dollars an den weltweiten Währungsreserven ist von 80 Prozent in der Mitte der siebziger Jahre bereits auf rund 65 Prozent gefallen. Läuft der Dollar aber wirklich Gefahr, seinen Status als internationale Leitwährung einzubüssen? Dieselbe Frage wurde schon Anfang der neunziger Jahre gestellt, nach dem deutlichen Kursverfall des Dollars, doch an seiner Position änderte das nichts. Allerdings gab es damals keine Alternative, während sich heutzutage der Euro tatsächlich als Rivale erweisen könnte.

Eine Reservewährung setzt eine grosse Volkswirtschaft, offene Finanzmärkte, eine niedrige Inflation und Vertrauen in die Währung voraus. Die Wirtschaft des Euroraums ist, nach dem gegenwärtigen Wechselkurs, nicht viel kleiner als die US-Wirtschaft. Der Euroraum ist der weltweit grösste Exporteur, und seit der Einführung des Euro sind die europäischen Märkte stärker und liquider geworden. Das reale Bruttoinlandprodukt (BIP) des Euroraums wächst langsamer als das amerikanische, aber in Dollar gerechnet, hat das wirtschaftliche Gewicht des Euroraums in den letzten fünf Jahren im Vergleich zu Amerika sogar zugenommen.

Die Schwäche des Dollars ist das mangelnde Vertrauen. Seit 1960 hat der Dollar gegenüber dem Euro (bis 1999 gegenüber der D-Mark) und dem japanischen Yen um etwa zwei Drittel verloren. Der Euroraum ist, anders als Amerika, Nettogläubiger. Noch nie zuvor war der Staat mit der Leitwährung der Welt zugleich deren grösster Nettoschuldner. Und Schuldner versuchen normalerweise gern, ihr Aussenhandelsdefizit mittels Abwertung zu verringern - keine sehr attraktive Option für eine Reservewährung.

Diejenigen, die dem Dollar skeptisch gegenüberstehen, fragen sich, warum Investoren am Dollar festhalten sollten, wenn die USA ihren Status als Hüterin der Leitwährung durch ihre eigene Politik gefährden. Und sie weisen darauf hin, dass der Dollar ohne massive Ankäufe von ausländischen Zentralbanken längst viel schlechter dastehen würde. Wenn diese Zentralbanken einen Teil ihrer Bestände von insgesamt 2300 Milliarden Dollar auf den Markt werfen, könnte es zu einem Zusammenbruch der US-Währung kommen. Wie man es betrachtet - Amerika wird zunehmend Mühe haben, sein Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren.

Dieses Defizit ist der Kern des Problems. Experten haben mindestens vier Gründe dafür angeführt, warum das Leistungsbilanzdefizit irrelevant und der Status des Dollars als Reservewährung ungefährdet sei. Erstens sei das Defizit kein Zeichen von Schwäche, sondern von wirtschaftlicher Stärke. Zweitens liege das Defizit vor allem an der schwachen Auslandnachfrage, und die sei schliesslich umkehrbar. Drittens seien für das Defizit hauptsächlich die ausländischen Tochterunternehmen von amerikanischen Multis verantwortlich. Und viertens schaffe die Dollarnachfrage der Zentralbanken sogar ein stabiles wirtschaftliches System. Jedes dieser Argumente lässt sich leicht entkräften.

Wieso das Defizit zählt

Beginnen wir mit dem ersten Argument, das vom amerikanischen Finanzministerium bevorzugt wird. Ausländer, heisst es, investierten gern in Amerika, weil dort höhere Renditen möglich seien als in Europa oder Japan. Und ein Nettozufluss von Kapital führe naturgemäss zu einem Leistungsbilanzdefizit. Für die ausgehenden neunziger Jahre, als Amerika einen grossen Nettozufluss an direkten und indirekten Investitionen erlebte, mag das zugetroffen haben, doch in diesem Jahr hat es einen Nettoabfluss von langfristigen Investitionen gegeben. Und in den letzten Jahren erzielten ausländische Direktinvestitionen geringere Renditen als in Europa oder Japan.

Finanziert wird das amerikanische Leistungsbilanzdefizit durch ausländische Zentralbanken und kurzfristige Anleihen. Bis Mitte 2004 finanzierten ausländische Zentralbanken bis zu drei Fünftel des Defizits. Der kürzliche Dollarankauf von Zentralbanken ist beispiellos. Die globalen Währungsreserven (65 Prozent davon, man erinnere sich, in Dollar) sind innerhalb von anderthalb Jahren um 1000 Milliarden Dollar gestiegen. Zuvor hatte es zehn Jahre gedauert, bis der offizielle Reservebestand sich um 1000 Milliarden Dollar erhöht hatte. Diese Ankäufe haben nichts mit US-Renditen zu tun, sie sollen einzig die Währung der betreffenden Länder schwach halten.

Schlimmer noch: Der Kapitalzufluss der letzten Jahre finanzierte in den USA keine produktiven Investitionen, sondern den privaten Konsum und ein wachsendes Haushaltdefizit. Ein Leistungsbilanzdefizit, das mangelnde Sparbereitschaft spiegelt, dürfte kaum ein Zeichen von Stärke sein.

Schleppende Nachfrage

Wie steht es mit dem zweiten Argument, wonach eine schleppende Auslandnachfrage für das US-Defizit verantwortlich sei? Wenn Europa und Asien weniger sparten, so wird argumentiert, und stattdessen mehr ausgäben und mehr amerikanische Waren einführten, so würde das Defizit einfach verschwinden. Martin Barnes, Mitarbeiter der kanadischen Agentur «Bank Credit Analyst», hält dies für enorm übertrieben.* Als vor drei Jahren die Binnennachfrage in Europa und Japan tatsächlich etwas schneller stieg als in Amerika, änderte das am US-Defizit nur wenig.

Das Problem ist, dass die USA 50 Prozent mehr ein- als ausführen. Wenn Export und Import also in gleicher Weise wachsen, erhöht sich automatisch das Handelsbilanzdefizit. Bei einer Importsteigerung von etwa 10 Prozent müssten die Exporte um 15 Prozent zunehmen, nur damit das Defizit nicht weiter anwächst. Eine stärkere ausländische Nachfrage wäre also gewiss hilfreich, aber durch mehr Exporte allein kann Amerika sein Defizit nicht entscheidend reduzieren. Der Vizegouverneur der chinesischen Staatsbank, Li Ruogu, sagte dieser Tage, dass Amerika das eigene Haus in Ordnung bringen - das heisst: mehr sparen - und nicht andere für seine Probleme verantwortlich machen sollte. Er hatte Recht.

Multis und ihre Töchter

Das dritte Argument besagt, dass die Kritik am Leistungsbilanzdefizit irrelevant sei, da dieses Defizit grösstenteils Transaktionen zwischen amerikanischen Multis und deren ausländischen Tochterunternehmen spiegle. Es sei, so die Behauptung, eben nicht das Gleiche, einen IBM-Computer aus China oder einen japanischen Toshiba zu importieren. Wenn amerikanische Firmen im Ausland produzierten, erhöhe das ihren Gewinn. Martin Barnes weist jedoch darauf hin, dass der gesamte Handel zwischen amerikanischen Multis und ihren ausländischen Tochterfirmen selbst unter Berücksichtigung von Gewinnen und Dividenden defizitär bleibt, und diese Lücke müsse weiterhin durch ausländische Kredite geschlossen werden.

Stabiles System

Die vierte, letzte und im vergangenen Sommer gern verwendete Erklärung, warum das US-Defizit keine Rolle spiele, besagt, dass die Welt heute das Äquivalent des Bretton-Wood-Systems (des nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführten Systems fester Wechselkurse) geniesst. Asiatische Regierungen kauften amerikanische Staatsanleihen, die das US-Defizit finanzieren, um ihre eigenen Währungen billig zu halten und das exportgestützte Wachstum zu fördern. Dadurch könnten die Zinsen in Amerika niedrig bleiben, was dem privaten Konsum und den Importen zugute käme. Dieser Zyklus, heisst es, könne noch zehn Jahre anhalten.

Allerdings wies Amerika seinerzeit unter dem ursprünglichen Bretton- Woods-System einen Leistungsbilanzüberschuss auf, und das System beruhte auf der offiziellen Goldparität des US-Dollars. Kein Wunder vielleicht, dass das heutige System schon heftig wankt, wenn einige asiatische Zentralbanken über den Wert ihrer Dollarreserven nachdenken. Zur Aufrechterhaltung der jetzigen Ordnung werden sie immer mehr Dollar kaufen müssen, während das US-Defizit immer weiter anwächst. Die asiatischen Zentralbanken müssen schon jetzt mit enormen Verlusten rechnen, falls es zu einer Abwertung gegenüber dem Dollar kommt. Eigentlich sollten sie ihre Reserven diversifizieren, doch das wiederum könnte zu einem Kursverfall des Dollars führen. Larry Summers, US-Finanzminister unter Präsident Clinton, bezeichnet dies als «Gleichgewicht der finanziellen Abschreckung». Die USA vertrauen darauf, dass die asiatischen Zentralbanken aus Eigeninteresse das amerikanische Defizit weiter finanzieren.

Seit fast zwei Jahrzehnten gibt das amerikanische Leistungsbilanzdefizit Anlass zu Sorgen, und Fachleute haben einen Absturz des Dollars und eine Rezession vorhergesagt. Tatsächlich fiel der Dollar in den ausgehenden achtziger Jahren, ohne dass die Wirtschaft gross darunter gelitten hätte. Warum sollte man heute also besorgter sein? Ein guter Grund: Das Leistungsbilanzdefizit, das gegenwärtig knapp 6 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) beträgt, hat sich gegenüber den achtziger Jahren fast verdoppelt und wird, bei unveränderten Rahmenbedingungen, so weiterwachsen. Zweitens war Amerika damals ein Nettogläubiger. Heute ist das Land Nettoschuldner. Die Auslandschulden werden am Ende dieses Jahres schätzungsweise 3300 Milliarden Dollar beziehungsweise 28 Prozent des BIP erreichen.

Länder wie Australien und Neuseeland haben sich vergleichsweise stärker verschuldet, ohne dass dies mit offenkundigen Nachteilen für die heimische Wirtschaft verbunden wäre, aber als relativ kleine Länder absorbiert ihr Leistungsbilanzdefizit nur einen Bruchteil des globalen Sparvolumens. Die neuen Auslandkredite Amerikas werden allein in diesem Jahr immerhin 75 Prozent der weltweiten Überschussreserven beanspruchen.

Bisher hat der gigantische Schuldenberg die amerikanische Wirtschaft nicht belastet, und zwar vor allem wegen eines ungewöhnlichen Tricks. Amerika ist zwar Nettoschuldner, braucht aber keine Zinsen und Dividenden ins Ausland zu überweisen. Es geniesst stattdessen einen Nettozufluss an ausländischen Investitionen, weil es eine höhere Durchschnittsrendite bietet, als für die eigenen Schulden bezahlt werden muss. Ausserdem profitierte Amerika in den letzten Jahren von einem aussergewöhnlich niedrigen Zinsniveau. Anders als in früheren Phasen eines schwachen Dollars bewegen sich die Anleiherenditen auf niedrigem Niveau - vor allem wegen der massiven Ankäufe ausländischer Zentralbanken. Steigen aber in Zukunft Zinsen und Nettoauslandschulden, werden die amerikanischen Nettoinvestitionserträge in den Minusbereich abrutschen, wahrscheinlich schon im nächsten Jahr. Dann wird nicht nur das Leistungsbilanzdefizit steigen, auch die Wirtschaft wird zunehmend unter Druck geraten.

Amerika hat überdies den grossen Vorteil, dass es Kredite in seiner eigenen Währung aufnehmen kann. Ein normales Schuldnerland wie etwa Argentinien muss sich Geld in ausländischer Währung leihen, das verringert zwar bei einer Abwertung das Handelsbilanzdefizit, erhöht aber gleichzeitig die Schulden in lokaler Währung. Dagegen wird das Währungsrisiko bei den US-Auslandschulden in der Höhe von 11 000 Milliarden Dollar von ausländischen Geldgebern getragen. Trotz Dollarschwäche verbessert sich sogar die amerikanische Position, weil der Dollarwert ausländischer Guthaben steigt. Eine Dollarabwertung ist aus amerikanischer Sicht attraktiv. Als führende internationale Reservewährung kann der Dollar also Kapital zu ausserordentlich günstigen Bedingungen anlocken. Die Schattenseite davon ist, dass Amerika sich gigantische Summen leiht, deren Sanierung letztlich sehr kostspielig sein wird. Es geht nicht darum, ob Amerika es sich leisten kann, sich noch weiter zu verschulden, sondern ob Investoren angesichts des wachsenden Schuldenbergs, der gegenwärtigen Wechselkurse und Zinssätze auch weiterhin bereit sind, das Defizit zu finanzieren.

Nach Einschätzung der Ökonomen Nouriel Roubini (New York) und Brad Setser (Oxford) ** wird das amerikanische Leistungsbilanzdefizit, falls der reale Aussenwert des Dollars beim Durchschnitt der Jahre 1990 bis 2003 bleibt (etwas über dem gegenwärtigen Niveau) und sich an den innenpolitischen Rahmenbedingungen nichts ändert, bis zum Jahr 2008 auf 8 Prozent des BIP steigen. Die Nettoverschuldung wird sich auf über 50 Prozent des BIP belaufen. In der Praxis ist damit wohl nicht zu rechnen, da Privatinvestoren nicht bereit sind, einen solchen Schuldenberg ohne deutlich höhere Zinsen und/oder eine Dollarabwertung (beides würde das Leistungsbilanzdefizit verringern) zu finanzieren.

Trotz den jüngsten Kursverlusten ist der Dollar aber keineswegs billig. Inflationsbereinigt liegt der reale Aussenwert des Dollars ungefähr bei seinem durchschnittlichen Wert der letzten dreissig Jahre. Gegenüber den meisten Währungen von Schwellenländern ist der Dollar zwar kaum gesunken, aber gegenüber dem Euro liegt er bereits unter seinem geschätzten, angemessenen Wert. Doch das wird niemanden überraschen. Typischerweise muss eine Währung ihren angemessenen Wert weit unterschreiten, wenn ein grosses Aussenhandelsdefizit abgebaut werden soll. Der reale Aussenwert des Dollars ist seit Anfang 2002 nur um 15 Prozent gefallen, verglichen mit einem Verlust von 34 Prozent gegenüber dem Höchststand von 1985. Das amerikanische Leistungsbilanzdefizit ist heute aber viel grösser als in den achtziger Jahren, der Dollar wird also noch deutlicher fallen - nach Ansicht von Fachleuten müsste er um mindestens 30 Prozent sinken. 1 Euro würde dann $ 1,80 (heute: $ 1,33) kosten.

Historische Lektion

Je weniger der Dollar gegenüber den Währungen der Schwellenländer (etwa dem chinesischen Yuan) sinkt, desto eher wird er gegenüber dem Euro sinken. Auf China entfällt ein Viertel des amerikanischen Handelsbilanzdefizits. In den letzten Wochen wurde vermehrt über eine baldige Aufwertung des Yuan gegenüber dem Dollar spekuliert. Doch Peking hat zu verstehen gegeben, dass man sich nicht zu einer Wechselkursänderung hinreissen lassen werde, schon gar nicht unter amerikanischem Druck.

Jedenfalls kann das US-Leistungsbilanzdefizit nicht ausschliesslich durch einen schwächeren Dollar korrigiert werden. Es muss wieder mehr gespart werden. Am besten wäre natürlich, wenn die Regierung das Haushaltdefizit abbauen würde. Amerika müsste dann nicht mehr im Ausland borgen, und der Fall des Dollars und der (von den Investoren andernfalls geforderte) Anstieg der Anleiherenditen würde abgeschwächt. In der Kombination mit einem stärkeren Wachstum im Ausland könnte das Leistungsbilanzdefizit allmählich verringert werden. Das Wirtschaftswachstum würde durch Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen verlangsamt, aber es müsste nicht zu einer Rezession kommen. Sollte aber die Regierung das Haushaltdefizit nicht reduzieren, wird der Dollar noch deutlicher sinken, und die Anleiherenditen werden steigen. Der Baukonjunktur könnte die Luft ausgehen, und der private Konsum dürfte sich deutlich verlangsamen. Diese beiden Faktoren könnten das Aussenhandelsdefizit reduzieren, allerdings nur auf Kosten einer tiefen Rezession.

1913, auf dem Höhepunkt seiner imperialen Macht, war Grossbritannien der weltweit grösste Gläubiger. Vierzig Jahre später, nach zwei kostspieligen Weltkriegen und wirtschaftlichen Irrwegen, war das Land Nettoschuldner, und der Dollar übernahm die Rolle des Pfunds Sterling. Eine Leitwährung zu verdrängen, kann Jahre dauern. Das Pfund Sterling spielte noch mindestens fünfzig Jahre lang eine wichtige internationale Rolle, auch nachdem Amerika gegen Ende des 19. Jahrhunderts Britannien wirtschaftlich schon überholt hatte. Am Ende verlor es aber seinen Status.

Wenn Amerika seinen gegenwärtigen Kurs fortsetzt, wird der Dollar ein ähnliches Schicksal erleiden. Doch in Zukunft wird keine einzelne Währung (etwa der Euro) die Rolle des Dollars übernehmen. Die Welt wird vielmehr auf ein System mehrerer Reservewährungen zusteuern, das aus dem Dollar, dem Euro und dem japanischen Yen (und irgendwann auch dem chinesischen Yuan) besteht. Damit wird eine deutliche Verringerung der Dollarguthaben von Zentralbanken und privaten Investoren einhergehen. Ein allmählicher Ausstieg aus dem Dollar wäre wohl zu handhaben. Sollte Amerika seine eigene Währung aber weiterhin dermassen vernachlässigen, wird das zu einem rapiden Fall des Dollars und zu steigenden US-Zinsen führen. Entscheidend für die amerikanische und die Welt-Wirtschaft wird sein, wie weit und wie schnell der Dollar sinkt. Und das kann nicht einmal Alan Greenspan voraussagen.

© The Economist Newspaper Limited. London,Dezember 2004. Übersetzung: Matthias Fienbork.

* Martin Barnes: «Re-Assessing the Dollar Outlook». The Bank Credit Analyst, Dezember 2004.

** http://www.stern.nyu.edu/globalmacro/Roubini-Setser-US-External-Imbalances.pdf

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