Dienstag, März 17, 2009

NZZ: Unendlichkeit des Geldes – Endlichkeit der Natur

NZZ-Online
17. März 2009, Neue Zürcher Zeitung
Unendlichkeit des Geldes – Endlichkeit der Natur
Überlegungen zum oft missverstandenen Prinzip der Nachhaltigkeit
Auch was die Nahrungsmittelproduktion angeht, stösst unser Planet irgendwann auf die Grenzen seiner Tragfähigkeit.

Zur weltweiten Wirtschaftskrise wäre es nicht gekommen, wenn auch in der Finanzbranche nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit gearbeitet worden wäre. Dieses Prinzip legt die Anerkennung von Grenzen nahe. Wie die Finanzwirtschaft sich stärker auf die Realwirtschaft ausrichten muss, so muss diese stärker die Tragfähigkeit der Natur berücksichtigen.


NZZ-Online
17. März 2009, Neue Zürcher Zeitung
Unendlichkeit des Geldes – Endlichkeit der Natur
Überlegungen zum oft missverstandenen Prinzip der Nachhaltigkeit
Auch was die Nahrungsmittelproduktion angeht, stösst unser Planet irgendwann auf die Grenzen seiner Tragfähigkeit.

Zur weltweiten Wirtschaftskrise wäre es nicht gekommen, wenn auch in der Finanzbranche nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit gearbeitet worden wäre. Dieses Prinzip legt die Anerkennung von Grenzen nahe. Wie die Finanzwirtschaft sich stärker auf die Realwirtschaft ausrichten muss, so muss diese stärker die Tragfähigkeit der Natur berücksichtigen.

Von Thomas Kesselring*

Der Umgang mit Knappheit gehört zur Conditio humana. Als Folge der geplatzten Hypotheken-Spekulations-Blase fehlt der Wirtschaft heute das Kreditvolumen – Kredit heisst Vertrauen –, das nötig wäre, um die Konjunktur der letzten Jahre aufrechtzuerhalten. Im Sachsen des 16. Jahrhunderts drohte aufgrund eines Booms im Bergwerkswesen das Holz knapp zu werden. Entschiedener als die Politik heute reagierte der Kurfürst damals mit einer Verordnung, worin er seinen Bergwerksbetreibern eine «beharrliche Nutzung» von Holz vorschrieb – eine Nutzung, welche «die Gehölze ertragen können». Dies ist eine der ältesten dokumentierten Vorschriften über die beharrliche oder, wie es zu Beginn des 18. Jahrhunderts hiess, «nachhaltige» Holznutzung. Das Konzept der Nachhaltigkeit – stammt es aus der deutschen Forstwirtschaft?

Die Ursachen der gegenwärtigen Kreditkrise signalisieren den enormen Abstand zwischen der auf Kurzfristigkeit angelegten Egomanie vieler Wirtschaftsakteure und der Idee der Nachhaltigkeit. Ins öffentliche Bewusstsein ist dieser Begriff 1987 mit dem Erscheinen des Uno-Berichts über Umwelt und Entwicklung (Brundtland-Bericht) getreten. Statt von «nachhaltig» ist darin oft auch von «dauerhaft» oder «zukunftsfähig» die Rede. Die zentrale Botschaft des Berichts lautet: «Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.» Das Wort «sustainable» im englischen Original war schon 1970 im Bericht des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums gestanden, in Anlehnung an die in der internationalen Forstwirtschaft gebräuchliche Wendung «sustained yield» (auf Dauer angelegter Ertrag).

Seither hat das Konzept der Nachhaltigkeit eine steile Karriere absolviert. Dabei kam es auch zu Pervertierungen, etwa durch den Finanzjargon, bei dem «nachhaltig» oft bloss längerfristig gewinnbringende Geldanlagen bezeichnet. Eine Begriffsklärung kann also nicht schaden. Nachhaltigkeitskonzepte betrachten die Natur, das Ökosystem Erde, als eine Art Ressource, die der Nutzung durch gegenwärtige und künftige Generationen gleichermassen offenstehen soll. Dieses Anliegen ist anthropozentrisch, es billigt der Natur nur einen instrumentellen, keinen Eigenwert zu. Doch verleiht es ihrem Schutz und ihrer Erhaltung (Konservierung) oberste Priorität. In der praktischen Auslegung bedeutet dies dreierlei.

1. Erneuerbare oder nachwachsende Ressourcen sollen nur in dem Rhythmus genutzt werden, in dem sie sich regenerieren. 2. Nicht erneuerbare Ressourcen – Mineralien, Metalle, fossile Brennstoffe – sollen nicht schneller abgebaut werden, als man geeignete Substitute bereitstellen kann. 3. Der Ausstoss an Schadstoffen ist auf ein Mass zu begrenzen, das die Absorptionsfähigkeit des gesamten Ökosystems, einschliesslich der Atmosphäre, nicht übersteigt.

Wie man diese Nutzungsregeln am besten anwendet, ist eine Frage, die Anlass zu vielfältigen theoretischen und praktischen Kontroversen bietet. Wo liegen die Kapazitätsgrenzen der Atmosphäre für die Aufnahme von Treibhausgasen genau? Bewegt sich eine um zwei Grad erhöhte Durchschnittstemperatur noch innerhalb dieser Grenzen? Verlangt Nachhaltigkeit ein Weniger oder ein Mehr an Technologie, und wenn Letzteres gilt – wie soll diese Technologie aussehen? Wie weit kann oder soll man knapp werdende natürliche Ressourcen durch andere natürliche Ressourcen ersetzen, und wie weit kommen dazu auch synthetische Produkte in Frage?

Eine wesentliche Orientierungshilfe

Auf viele dieser Fragen zeichnen sich inzwischen klare Antworten ab, wenn sich auch nicht alle angenehm anhören: Ein Temperaturanstieg um zwei Grad bedeutet eine Systemveränderung, deren Folgen nicht genau voraussehbar sind. Die Technik ist bekanntlich Fluch und Segen zugleich. Die heute geforderte Effizienzrevolution wäre jedenfalls ohne Technologieentwicklung undenkbar. Natürliche Ressourcen lassen sich häufig problemlos durch synthetische ersetzen – zum Beispiel Kupfer durch Glasfasern –, aber synthetische und technische Lösungen haben ihre Grenzen. Wasser, das knapp wird, kann man nicht mit Plastic kompensieren, den negativen Klimaeffekt durch abgeholzte Tropenwälder nicht mit dem Bau neuer Betonwüsten.

Auch wenn viele Kontroversen offen sind – die Idee der Nachhaltigkeit bietet eine wesentliche Orientierungshilfe. Die Richtung, die sie anzeigt, ist keineswegs beliebig. Was die Grenzen der Tragfähigkeit unseres Planeten betrifft, so hat keine Generation vor uns jemals auch nur im Entferntesten über so viel und so zuverlässige Informationen verfügt wie die unsere. Auch über das wechselvolle Schicksal früherer Völker in ihrem Kampf um die Erhaltung ihrer Lebensräume sind wir heute besser informiert, als alle unsere Vorfahren es waren. Mit diesem Wissen bietet sich uns eine einzigartige Chance.

Die eigentliche Herausforderung liegt anderswo, nämlich in der übermächtigen Versuchung, das Nachhaltigkeitskonzept, das ursprünglich ganz auf den Umgang mit dem Naturhaushalt ausgerichtet war, zu verwässern. Im Brundtland-Bericht wurde dieses Konzept mit der Idee der Entwicklung verbunden und um eine wirtschaftliche und eine soziale Dimension erweitert. Soziale Nachhaltigkeit zielt auf Anliegen wie die Beseitigung der absoluten Armut, die Verbesserung der Grundausbildung und der Gesundheitsversorgung in Entwicklungsländern, auf Minderheitenschutz, Gleichstellung von Frau und Mann usw. ab. Wirtschaftliche Nachhaltigkeit umfasst Aspekte wie Wirtschaftswachstum, Vermehrung von Beschäftigung und Einkommen, aber auch eine Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Diese Anliegen verdienen zweifellos hohe, zum Teil höchste Priorität. Ein globales Apartheid-System – hier üppige Wohlstandsparadiese, dort trostlose Elendsgürtel – verhöhnt nicht nur unser Gerechtigkeitsempfinden, sondern ist auch extrem fragil. Soziales Elend lässt sich nicht ohne Wirtschaftsentwicklung überwinden, zumal auch die Weltbevölkerung jährlich immer noch um 80 Millionen wächst. Dennoch wäre es irreführend, wirtschaftliche und soziale Entwicklung generell unter das Stichwort «Nachhaltigkeit» zu subsumieren.

Fehler der klassischen Ökonomie

Entwicklung ist nicht per se nachhaltig – schon gar nicht, wenn sie auf Wachstum ausgerichtet ist. Ein kritischer Blick auf die Frage nach den Quellen wirtschaftlicher Wertschöpfung kann das bestätigen. Die klassische Ökonomie hat diese Frage nie systematisch untersucht. Häufig werden zwei solche Quellen genannt: Arbeit und Kapital, dieses verstanden als Realkapital (Investitionsgüter wie Werkzeuge, Maschinen, Gebäude). Die Kapitalbildung wird gewöhnlich mit der Bereitschaft zum Sparen erklärt. Als eine dritte Quelle wird manchmal das menschliche Know-how (Wissen, Ausbildung) angeführt. Von ihm hängt klarerweise der technische Fortschritt ab.

Ein vierter Wertsteigerungsfaktor – Natur – ist den ökonomischen Klassikern jedoch entgangen. Adam Smith hat zwar die wohlstandsförderlichen Effekte einer arbeitsteiligen Marktgesellschaft analysiert. Eine solche Gesellschaft benötigt mehr Investitionsgüter als eine nicht arbeitsteilige. Smith glaubte, die Bereitstellung solcher Güter verdanke sich primär der Sparsamkeit. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn Investitionen lassen sich, genau so wie der Konsum, auch über die Neuausgabe von Geld (einst: Gold- und Silberförderung; heute: Beschleunigung der Notenpresse) steigern. Dieser Weg führt freilich nur dann zum Erfolg statt zur Inflation, wenn parallel zur Geldmenge auch die Realwirtschaft wächst – wenn das Volumen geleisteter Arbeit zunimmt und/oder wenn mehr Ressourcen genutzt werden, wenn also Böden zusätzlich unter den Pflug genommen, Bewässerungssysteme betrieben, neue Minerallager, Ölfelder, Energiequellen erschlossen und Wälder in Papier verwandelt werden. All diese Stichworte verweisen auf den Faktor Natur. Die klassische Nationalökonomie hat ihm nie die gebührende Beachtung geschenkt – vermutlich weil «Natur» lange Zeit unbegrenzt zur Verfügung stand, ihre Nutzung nichts kostete und ihr Schutz kein Thema war. Man erachtete ihren Beitrag zur Wertschöpfung schlicht als selbstverständlich.

Da ausserdem jede Anstrengung zur Steigerung der Wertschöpfung mit Arbeit verbunden ist, wurde der Beitrag, den Böden und Ressourcen allgemein an die wirtschaftliche Wertschöpfung leisten, systematisch unterschätzt. Locke schrieb in seinem für die Ökonomie bahnbrechenden «Second Treatise of Government», die für das menschliche Leben nützlichen Erzeugnisse der Erde seien «zu neun Zehnteln die Auswirkungen der Arbeit». Wobei er sich sogleich korrigierte: Meistens müsse man sogar «99 Hundertstel ganz dem Konto der Arbeit zuschreiben».

Aufgabe für die Politik

So kam es, dass die klassische Ökonomie den Unterschied zwischen der Endlichkeit der Natur und der Unendlichkeit des Geldes beziehungsweise des Geldkapitals unter den Tisch kehrte. Für diese Unterscheidung hat uns erst der Club of Rome mit seinem Bericht über die Grenzen des Wachstums empfänglich gemacht. Seit etwa einer Generation wissen wir: Die Fischerei wird eher wegen einer Verknappung der Fische als wegen eines Mangels an Schiffen an Grenzen stossen und die Nutzung fossiler Brennstoffe eher wegen der beschränkten Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre für Kohlendioxid als wegen fehlender Raffinerien. Auch wenn sich durch Kultivierung des natürlichen Kapitals die Grenzen des Wachstums vielleicht ein Stück weit hinausschieben lassen – gegen die Begrenzung selbst ist kein Kraut gewachsen. Eine Wirtschaft, die diesem Faktum nicht Rechnung trägt, ist nicht nachhaltig.

Wie schwer sich die globalisierte Wirtschaft heute mit Begrenzungen tut, hat die spekulative Aufblähung flüchtiger Finanzblasen gezeigt. In der Folge steht sie nun vor der doppelten Aufgabe, die Finanzmärkte in den Dienst der Realwirtschaft zu stellen und diese auf Nachhaltigkeit auszurichten. Für beides müsste die Politik jetzt endlich die Weichen stellen.


* Thomas Kesselring ist Professor für Ethik an der Pädagogischen Hochschule Bern und Privatdozent für Philosophie an der Universität Bern.

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