Freitag, März 27, 2009

SZ: Joschka Fischer über EU - Keine Führung, nirgends

Süddeutsche Zeitung
URL: /politik/325/462937/text/
Datum und Zeit: 27.03.2009 - 00:01

26.03.2009 08:25 Uhr

Joschka Fischer
Keine Führung, nirgends

Auf dem Trittbrett durch die Krise: Nächste Woche treffen die Europäer beim G-20-Gipfel in London erstmals Barack Obama und zeigen ein Verhalten, das ebenso legitim wie fatal ist. Mehr als ein "Formelkompromiss" zur Bewältigung der Finanzkrise ist nicht zu erwarten.
Eine Außenansicht von Joschka Fischer


Süddeutsche Zeitung
URL: /politik/325/462937/text/
Datum und Zeit: 27.03.2009 - 00:01

26.03.2009 08:25 Uhr

Joschka Fischer
Keine Führung, nirgends

Auf dem Trittbrett durch die Krise: Nächste Woche treffen die Europäer beim G-20-Gipfel in London erstmals Barack Obama und zeigen ein Verhalten, das ebenso legitim wie fatal ist. Mehr als ein "Formelkompromiss" zur Bewältigung der Finanzkrise ist nicht zu erwarten.
Eine Außenansicht von Joschka Fischer

Am Rhein und in Prag werden Nato und EU dem neuen amerikanischen Präsidenten huldigen, schöne Bilder, hehre Reden über die Zukunft des Transatlantismus - alles wie gehabt. Doch vor Straßburg und Prag findet, am 2. April, auf dem G-20-Treffen in London der transatlantische Ernstfall statt. Mit der Wahl Barack Obamas zum amerikanischen Präsidenten sollte alles besser werden - eigentlich. Die transatlantische Kontinentaldrift, die Europa und Amerika in den acht Jahren unter George W. Bush immer weiter auseinander gebracht hat, sollte gestoppt und sogar umgekehrt werden. Diese Hoffnung geht dahin.

Denn die Weltfinanz- und Weltwirtschaftskrise lässt die Differenzen zwischen Amerika und Europa voll ausbrechen. Europa weigert sich, sehr viel stärker als bisher finanziell bei der Bewältigung der beiden Krisen zu helfen. Gewiss, am Ende des Londoner Treffens werden sich die Staats- und Regierungschefs auf eine gemeinsame Erklärung einigen; ein Scheitern kann sich niemand erlauben. Aber die Unterschiede werden bestehen bleiben. Die einen wollen die Krise wegfinanzieren, die anderen wollen sie wegregulieren, und am Ende wird beides in der Erklärung stehen. So etwas nennt man dann "Formelkompromiss."

Die nationalen Medien der beteiligten Staaten werden anschließend ihre jeweiligen Regierungen für ihre "Tapferkeit" und "Durchsetzungskraft" preisen, werden von "Punktsiegen" schwadronieren, aber eine kraftvolle globale Antwort auf die schwerste Krise seit 1929 wird es trotzdem nicht gegeben haben. Keine Führung, nirgends.

Die Ursache der neuen transatlantischen Drift liegt vor allem darin, dass beide Seiten in unterschiedlichen Krisenwelten leben. Amerika fürchtet die Deflation, Europa hingegen, getrieben von seiner größten Volkswirtschaft Deutschland, Staatsverschuldung und Inflation.

Zögern und die Folgen

Die USA haben unter der Wucht der Krise bereits eine ideologische und praktische Kehrtwende um 180 Grad vorgenommen und setzen voll auf Keynes und eine massive, schuldenfinanzierte öffentliche Nachfrage, um den weiteren Absturz der Wirtschaft aufzufangen. Die Europäer haben zwar auch nationale Konjunkturprogramme aufgelegt, aber sie sind nach wie vor nicht bereit, ein ähnliches Verschuldensrisiko einzugehen, wie die USA. Das europäische Sozialstaatsmodell dämpft zudem, anders als in den USA, zumindest für eine gewisse Zeit den ökonomischen Absturz.

Es spielt aber auch die politische Taktik eine zentrale Rolle. Präsident Obama ist gerade für vier Jahre ins Amt gewählt worden, und sein politisches Schicksal wird davon abhängen, ob er den Absturz der US-Wirtschaft zuerst abbremsen und dann umdrehen kann oder nicht. Jegliches Zögern kann für ihn nicht wieder gutzumachende Folgen haben. In Europa stehen Merkel, Brown und Sarkozy aber vor ganz anderen Alternativen.

Gordon Brown ist in einer hoffnungslosen Lage. Der Absturz der Wirtschaft in Großbritannien war mindestens so hart wie in den USA, und deshalb musste die britische Regierung massiv auf Deficit Spending setzen, um den Totalkollaps des Finanzsystems zu verhindern. Gordon Brown sind kaum noch Optionen geblieben, ohne dass Großbritannien bereits die Talsohle der Krise erreicht hätte. Bei Neuwahlen kann ihn nur noch ein Wunder retten.

Das Schicksal Browns hat aber eine nachhaltige Wirkung in Berlin und Paris, denn es wird dort als Menetekel angesehen. Merkel und Sarkozy wollen auf keinen Fall ebenfalls ihre politische Zukunft verspielen. Für die europäische Positionierung spielt dabei die Bundeskanzlerin die zentrale Rolle, und zwar nicht nur, weil sie die größte Volkswirtschaft der EU führt, sondern auch, weil sie am 28. September wieder gewählt werden will. Der Ausgang dieser Wahl ist heute unsicherer denn je, und Angela Merkel ist in eine äußerst ungemütliche Lage geraten, die sich hin zu einer Zwickmühle entwickeln kann.

Arbeitslosigkeit oder Staatsverschuldung

Denn entscheidet die Kanzlerin sich jetzt für ein massives Deficit Spending, verliert sie in der Wählergruppe, die ihr bereits heute in Scharen von der Fahne geht - wegen Staatsverschuldung, Verstaatlichung, Konjunkturprogrammen etc. Sollte die Arbeitslosigkeit in Deutschland allerdings von Frühsommer an explodieren und einige namhafte Großunternehmen im Konkurs enden, dann könnte sie zu lange auf das falsche Pferd gesetzt haben - und die Sozialdemokraten die Wahlen für sich entscheiden.

Auf jeden Fall sieht es so aus, als ob die deutschen Wahlen an der Frage Arbeitslosigkeit oder Staatsverschuldung - Monetaristen gegen Keynesianer - entschieden werden. Das Rennen wird zunehmend ungewisser und damit offener. Deswegen wird die Kanzlerin alles tun, um eine vorzeitige Festlegung für sich zu vermeiden, und London kommt auf jeden Fall viel zu früh.

Pazifischer und weniger transatlantisch


Allerdings hat ein solch legitimes, gleichwohl bizarr kleinkariertes nationales Denken angesichts einer Krise von bisher nicht gekanntem globalem Ausmaß sehr ernste Konsequenzen: Erstens blockiert der Streit zwischen Europa und Amerika ein gemeinsames, also wirksames Handeln der wichtigsten westlichen Volkswirtschaften und schwächt so den Westen insgesamt; zweitens treibt dies die USA weg von Europa und weiter Richtung China; und drittens wird dies die transatlantischen Beziehungen weiter schwächen, die chinesische Rolle bei der globalen Bewältigung der Krise und darüber hinaus weiter aufwerten und China aller Voraussicht nach zum großen Gewinner dieser Weltwirtschaftskrise machen.

Die Welt wird danach eine andere sein, und die Europäer werden sich darüber nicht beschweren dürfen. Sie wird pazifischer und weniger transatlantisch sein, und die neue Achse der Weltpolitik wird von dem sino-amerikanischen Tandem gebildet werden. Insgeheim setzt man in Berlin, Paris und anderen europäischen Hauptstädten wohl darauf, dass es Präsident Obama schon richten wird.

Hat er Erfolg als Super-Keynes, dann ist man mit dabei, ohne unkalkulierbare Risiken für die eigene politische Zukunft eingegangen zu sein. Scheitert er, dann war man Gott sei Dank nicht dabei. Beides aber ist im Interesse Europas gleichermaßen falsch. Denn wenn Europa seine Rolle in dieser schweren Krise, die sich durchaus zu einer Depression entwickeln kann, auf dem Trittbrett des Krisenmanagements sieht, dann wird es zukünftig auch so behandelt werden.

Joschka Fischer, 60, (Bündnis 90/Grüne) war Bundesaußenminister und Vizekanzler von 1998 bis 2005. Er schreibt exklusiv für Project Syndicate und die Süddeutsche Zeitung.

(SZ vom 26.03.2009/ihe)

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