Mittwoch, Dezember 29, 2010

«Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht»

Tages Anzeiger Online 28.12.2010
«Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht»
Von Guido Kalberer.

 Grosse Fragen zum Jahreswechsel: Religionskritiker Michael Schmidt-Salomon über Light-Christen, abgewürgte Aufklärung im Islam und übertriebene Toleranz.
«Wir sind nicht die Krone der Schöpfung, sondern die Neandertaler von morgen», sagt Michael Schmidt-Salomon.
«Wir sind nicht die Krone der Schöpfung, sondern die Neandertaler von morgen», sagt Michael Schmidt-Salomon.

Die Wiederkehr der Religionen heute muss ein Schock für einen Religionskritiker wie Sie sein.
Nicht unbedingt, ich habe diese Entwicklung schon Anfang der Neunzigerjahre prognostiziert. Es war ersichtlich, dass die Säkularisierung kein linearer, sondern ein ambivalenter Prozess ist. Es gibt also nicht nur einen Trend weg von der Religion, sondern auch eine Bewegung hin zur Religion. In Westeuropa ist der Säkularisierungstrend allerdings stärker: Eine Umfrage in Deutschland zum Beispiel ergab, dass nur noch 23 Prozent der evangelischen Kirchenmitglieder an einen personalen Gott glauben – was immerhin eine Grundvoraussetzung dafür ist, um sich redlicherweise als Christ bezeichnen zu können.
Ist die Säkularisierungswelle noch grösser als die Religionswelle?
Für Europa gilt dies zweifellos. So gibt es in Deutschland bereits mehr konfessionsfreie Menschen als Katholiken oder Protestanten. Zudem stimmt die Mehrheit der Kirchenmitglieder nicht mehr mit den zentralen Dogmen des christlichen Glaubens überein. Die meisten Kirchenmitglieder sind bei genauerer Betrachtung Schein-Mitglieder, genauer gesagt: Taufschein-Mitglieder. Man hat sie als Säuglinge getauft, weshalb man sie religiösen Institutionen zurechnet. Doch die zentralen Auffassungen dieser Institutionen teilen sie nicht.
Was hält die Leute religiös denn noch bei der Stange?
Eine interessante Frage: Was hält Menschen in einer Institution, die sie Geld kostet, wenn sie zentrale Elemente der Vereinssatzung ablehnen? Dafür gibt es vor allem soziale und ökonomische Gründe. Immerhin sind Caritas und Diakonisches Werk die grössten nicht staatlichen Arbeitgeber Europas. Jemand, der im sozialen oder medizinischen Bereich arbeitet, als Psychologe, Arzt oder Krankenpfleger, kann es sich in bestimmten Regionen gar nicht leisten, aus der Kirche auszutreten. Denn die Kirchen, die grössten Arbeitgeber auf diesem Gebiet, nutzen noch ihr Recht zur weltanschaulichen Diskriminierung, obwohl die Dienstleistungen, die sie erbringen, weitestgehend öffentlich finanziert werden. Solange es bei dieser verfassungswidrigen Regelung bleibt, sind weite Teile der Bevölkerung zwangskonfessionalisiert.
Wie ordnen Sie die Gläubigen ein, die wieder selbstbewusster zu ihrer Religion stehen?
Parallel zum Säkularisierungstrend gibt es einen Trend zur Verschärfung religiöser Bekenntnisse. Entweder werden die Menschen konsequenter religiös oder....

Samstag, Dezember 25, 2010

Religion im 21. Jahrhundert

WOZ vom 23.12.2010
Religion im 21. Jahrhundert
«Diese Leute begegnen Jesus, Allah oder irgendeinem Guru»
Von Yves Wegelin

«Heilige Einfalt. Über die politischen Gefahren entwurzelter Religionen» heisst das neuste Buch des bekannten französischen Religionssoziologen Olivier Roy. Ein Gespräch über Religionen ohne Kultur, muslimische Konvertiten und säkularisierte Weihnachtsfeste.

WOZ: Herr Roy, vor wenigen Tagen habe ich eine evangelikale Rockband im Bahnhof spielen hören, heute las ich in einer Zeitung über muslimische Konvertiten – und Sie behaupten, der Westen erlebe keine Rückkehr der Religion?

Olivier Roy: Ja, schauen Sie sich die Sta­tis­ti­ken in Europa und in den USA an: Sie belegen eine stetige Abnahme der religiösen Praxis.

Praxis?
Das Gebet, der Besuch der Kirche, der Moschee. Es gibt zwar eine Zunahme von Moscheen – aber nur, weil es vorher fast keine gab. Es gibt auch eine Abnahme des Einflusses der katholischen Kirche, der grossen protestantischen Kirchen Deutschlands sowie der Staatskirchen in Skandinavien. Und: Die Menschen wissen immer weniger über Religion. Ein Umfrageinstitut hat den Menschen in den USA verschiedene Fragen gestellt: Was ist die Dreifaltigkeit? Was ist die Kommu­nion? Die besten Antworten kamen von den Atheisten, die Gläubigen kennen die Religion nicht mehr – das beweist meine These.

Ihre These?
Der Säkularisierungsprozess, der im 18. Jahrhundert begann, hat sich im Westen durchgesetzt. Die Religion hat im Westen ihre gesellschaftliche Selbstverständlichkeit verloren, bis sie im alltäglichen Leben unwichtig wurde – abgesehen von ihren säkularisierten Formen wie dem heutigen Weihnachtsfest.

Und weshalb sprechen andere von einer Rückkehr?
Die Säkularisierung hat die Religionen isoliert und sie paradoxerweise sichtbarer gemacht: Auf der einen Seite hat unsere Kultur ihre religiösen Referenzen verloren, und andererseits konstruiert sich die Religion heute gegen diese Kultur. Da religiös sein keine Selbstverständlichkeit....

Donnerstag, Dezember 16, 2010

Gift im Spielzeug

Gift im Spielzeug

In der EU und der Schweiz soll eine neue Richtlinie mit strengeren Regelungen eingeführt werden


Meldungen über giftige Spielwaren schrecken immer wieder auf. Dabei sind viele der Produkte aufgrund von fehlenden gesetzlichen Regelungen erlaubt. Dies soll sich ändern.

Stephanie Lahrtz
Blei im Kinderschmuck, Formaldehyd im Puzzle oder Nickel in Metallkappen – immer wieder tauchen beunruhigende Nachrichten über Gifte im Kinderspielzeug auf. Dabei ist die Erkenntnis, dass solche Waren belastet sein können, keineswegs neu. Spätestens seit im Sommer 2007 der Spielzeughersteller Mattel weltweit über 18 Millionen Produkte wegen Sicherheitsmängel wie verschluckbarer Kleinteile oder mit Blei belasteter Spielzeugautos zurückrufen musste, erwarten Eltern wie auch Konsumentenschützer, dass die Hersteller «sichere» Waren anbieten.

In Autoreifen nahezu verboten


Doch offenbar ist dies auch heutzutage noch nicht immer der Fall, wie eine Untersuchung der deutschen Stiftung Warentest vom November ergab. Sie untersuchte 50 Spielzeuge für Kleinkinder und stufte 80 Prozent davon als belastet mit Chemikalien oder gefährlich wegen verschluckbarer Kleinteile ein. So wurden etwa in vielen Holzspielsachen polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe in unterschiedlichen Konzentrationen gefunden, aber auch zinnorganische Verbindungen oder Nickel waren enthalten (vgl. Kasten).

Doch das Problem ist nicht nur Unwissenheit, Uneinsichtigkeit oder Profitstreben von Herstellern, Zulieferern und Händlern. Vielmehr ist der Verkauf auch vieler der nun von der Stiftung Warentest beanstandeten Produkte legal. Denn für viele der gesundheitsgefährdenden Substanzen existieren weder in der Schweiz noch in der EU verbindliche Grenzwerte oder Verbote.

Für Konsumentenschützer geradezu grotesk ist die Tatsache, dass zwar aufgrund einer EU-Verordnung in Weichmacherölen für Autoreifen nicht mehr als 1 Milligramm pro Kilogramm polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) enthalten sein darf. Hingegen existiert keine Vorschrift für diese Stoffgruppe für Spielzeug oder andere «Verbraucherprodukte» wie Velolenkergriffe oder....

Mittwoch, Dezember 08, 2010

Samichlaus - Müslüm

Dienstag, Dezember 07, 2010

FAZ - „Gender Mainstreaming“

FAZ.net  07. September 2006
„Gender Mainstreaming
Der kleine Unterschied

Die EU und Deutschland haben sich dem „Gender Mainstreaming“ verpflichtet. Dieser Politik liegt die Behauptung zugrunde, Geschlechtsrollen seien nur erlernt. Propagiert und durchgesetzt hat das der Feminismus, doch am Anfang steht ein Menschenversuch, schreibt Volker Zastrow.

Am 22. August 1965 kamen im kanadischen Winnipeg, einer Stadt etwa so groß wie Frankfurt, Zwillinge zur Welt. Ein seltenes und freudiges Ereignis - auch für die Wissenschaft. Denn eineiige Zwillinge haben dasselbe Erbgut. Also kann man dessen Einfluß an ihnen erforschen, was im 20. Jahrhundert auch überreich geschah. Bruce und Brian Reimer dienten als Beweis dafür, daß die Erbanlagen das Geschlecht eines Menschen nicht bestimmen. Weiblichkeit und Männlichkeit sind keine biologischen Identitäten, sondern psychische: So lautet die Annahme, die heute als Grundlage des „Gender Mainstreaming“ in die Politik eingegangen ist. „Man kommt nicht als Frau auf die Welt“, hieß das bei Simone de Beauvoir, „man wird dazu gemacht.“Bruce Reimer kam nicht als Frau auf die Welt, aber er sollte dazu gemacht werden. Sieben Monate nach der Geburt des Jungen wurde sein Penis bei einer Beschneidung vom Arzt mit einem elektrischen Instrument so stark verbrannt, daß das Glied sich schwärzte und bald vollständig abfiel. Keiner der hinzugezogenen Mediziner konnte den Eltern einen Weg aufzeigen, diesen Schaden wenigstens einigermaßen zu beheben. Die Möglichkeiten der plastischen Chirurgie reichten nicht so weit. Im Februar 1967 sahen Ron und Janet Reimer dann in einer Fernsehrunde einen Doktor aus den Vereinigten Staaten, der ihnen wieder Hoffnung gab. Es war John Money, ein Psychiater vom Johns-Hopkins-Krankenhaus in Baltimore.

Weitreichende seelische Konsequenzen

Money behauptete in der Sendung, man könne aus Männern ohne weiteres Frauen machen. Er hatte eine Blondine mitgebracht, die in kurzem Rock und enger Jacke, mit Stöckelschuhen, langen Wimpern, schwarz umrandeten Augen, Lippenstift und Make-up einen betont femininen, ja aufreizenden Eindruck machte: einen Transsexuellen, der sagte, er fühle sich nach seiner operativen Geschlechtsumwandlung vollständig als Frau, „körperlich und geistig“. Die Eheleute Reimer erblickten darin die Lösung ihrer Probleme. Sie schrieben an Money, nicht ahnend, daß sie umgekehrt auch ihm.....

Montag, Dezember 06, 2010

TAZ - Linke Lebenslügen

04.12.2010
Aus der Deutschland-taz
Linke Lebenslügen

Die drei dogmatischen Mythen der deutschen Linken in Sachen Einwanderung und Integration. VON NORBERT BOLZ

Nicht alle Probleme, die unser Land bewegen, sind heillos komplex. Manchmal würden schon ein wenig historische Bildung und gesunder Menschenverstand genügen, um sie zu lösen. Das zeigt sich vor allem in der Integrationsdebatte. Dass es hier keine Fortschritte gibt, liegt nicht an den Dummen und Ewig-Gestrigen, die man an den Stammtischen vermutet, sondern an den Linken. Das ist erstaunlich, denn Linke sind in der Regel intelligent und gebildet. Was ihr Denken blockiert, lässt sich aber sehr genau bestimmen. Es sind drei dogmatische Mythen, die wir hier kurz skizzieren wollen.

Erstens: der Mythos der Ausländerfeindlichkeit. Kranke Hirne unter Glatzen, Springerstiefel und Kampfhunde gibt es überall in der Welt. Aber diese Verrückten, für die wir in Deutschland aus historischen Gründen natürlich besonders sensibel sind, sollten doch nicht den Blick dafür trüben, dass wir in einem der ausländerfreundlichsten Länder leben. Das wahre Problem, das der Mythos von der Ausländerfeindlichkeit verschleiert, hat der türkische Ministerpräsident Erdogan im Februar auf eine prägnante Formel gebracht: "Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit."

So lange diese Anti-Assimilationspolitik gilt, gibt es das Integrationsproblem. Erdogan verkörpert ein Roll-back des heroischen Projekts von Kemal Atatürk, die Türkei....

Samstag, Dezember 04, 2010

200 Countries in 200 Years!

Factor in the contribution of oil and natural gas which has not only increasingly been utilized but also been produced over the last 200 years. And now imagine something like "Peak Oil" and then try to predict the future..../ursus

Mittwoch, Dezember 01, 2010

Velowege in Dänemark - Ein Vorbild für die Schweiz!

Kopenhagen's Veloinfrastruktur

Sonntag, November 28, 2010

Vom Weltbürger zum Wutbürger

Tages Anzeiger Online 27.11.2010
Vom Weltbürger zum Wutbürger
Von Guido Kalberer

Ein neuer Begriff macht die Runde: Der Wutbürger. Was hat es damit auf sich? Betrachtungen zur Stimmungslage der Bürger in unserer beschleunigten Gesellschaft.

Verbreitete sich in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts Optimismus und Zukunftsfreude, so prägt kollektive Wut und Empörung die gegenwärtige Stimmung. Vieles macht viele wütend: die hohen Löhne und Boni in einzelnen renditeträchtigen Branchen, die unterschiedliche Steuerbelastung in den Kantonen und die Ausländer, auch wenn sie nicht kriminell sind.

Wenn Wut zum Lebensstil wird

Es handelt sich um ein Amalgam von Negativreizen, die aus dem stolzen Bürger von einst einen nörgelnden Kleinbürger machen. Getrieben von der Angst, unbedeutender und weniger kaufkräftig zu werden, pflegt und kultiviert er seine Wut und seinen Zorn als neue Lebenshaltung.

Die Wut ist nicht das Problem, der Adressat hingegen schon. Das erkannte schon Aristoteles, als er schrieb: «Jeder kann wütend werden, das ist einfach. Aber wütend auf den Richtigen zu sein, im richtigen Mass, zur richtigen Zeit, zum richtigen Zweck und auf die richtige Art, das ist schwer.» Da es das Schwere im Allgemeinen schwerer hat, sich durchzusetzen, hat die um sich greifende Wut weder ein klares Ziel noch eine klare Richtung. Der Wutbürger, diese jüngste Sprachschöpfung des «Spiegels», fühlt sich benachteiligt, übervorteilt und in die Enge getrieben von einer Macht, die nicht seine ist. Und er sieht sich als einen überflüssigen Bürger, mit dem der Staat nicht mehr rechnet. Wieso sollte er auch staatstragend sein, wenn der Staat ihn nicht mehr tragen will?

Früher war alles besser

Früher, so glaubt er, war alles besser; heute dagegen hat sich alles zu seinen Ungunsten verschoben. Da immer mehr immer wütender werden, ist die Versuchung gross, der wachsenden Schar der Neinsager beizutreten.Der Wutbürger, ob politisch links oder rechts stehend, glaubt sich mit seiner Meinung in der Mehrheit: Er ist wild entschlossen, aber....

Mittwoch, November 24, 2010

"Die Gier treibt das System immer wieder an"

derStandard.at-Interview 14.10.2010
"Die Gier treibt das System immer wieder an"
von Daniela Rom

Warum Geld unser Leben beherrscht und wir alles berechnen müssen, erklärt der Ökonom Brodbeck
KARL-HEINZ BRODBECK ist Professor für Volkswirtschaftslehre, Volkswirtschaftspolitik, Betriebsstatistik und Kreativitätstechniken an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt und an der Hochschule für Wirtschaftspolitik in München.

Der Blick auf den Kontostand dominiert unser alltägliches Handeln. Durch das Streben nach immer mehr Geld glauben wir, ein wenig mehr Sicherheit zu erlangen und ein wenig weniger Angst um unser Geld haben zu müssen. Der Ökonom Karl-Heinz Brodbeck erklärt im Gespräch mit derStandard.at, warum Geld ein öffentliches Gut ist, nicht nur "böse Buben" die Herrschaft des Geldes aufrecht erhalten und man besser die "Häuslebauer" in den USA statt der Banken hätte retten sollen.

derStandard.at: Im Moment wird wieder einmal berechnet, wie viel uns die Wirtschafts- und Finanzkrise gekostet hat. Wir kriegen Zahlen mit etlichen Nullen vorgesetzt, bei denen wir nicht einmal mehr wissen, wie sie heißen. Was bringen uns diese Berechnungen eigentlich?

Karl-Heinz-Brodbeck: Die Vorstellung krankt schon daran, dass wir gar nicht wissen, wie viel Geld in welcher Form vorher da war. Geldmenge ist ein sehr schwammiger Begriff. Das ist eine Sache, die die Zentralbanken am eigenen Leib erfahren mussten. Alan Greenspan hat nach 19 Jahren als Fed-Vorstand zugegeben, dass es nicht möglich ist, die Geldmenge korrekt bzw. überhaupt zu erfassen. Damit sagt er, dass die wichtigste Aufgabe des Chefs der größten Notenbank der Welt, nämlich die Geldmengenkontrolle, gar nicht möglich war und ist. Die wirksame Geldmenge einer Volkswirtschaft hängt z.B. von der Umlaufgeschwindigkeit ab. Diese ist keineswegs so konstant, wie von monetaristischen Theorien gerne unterstellt wird. Wenn die Wirtschaft brummt und eine Milliarde schnell umläuft, dann kann da ein Vielfaches an wirksamer Geldmenge entstehen, als wenn die verschiedenen Wirtschaftssubjekte beim Geldausgeben eher zurückhaltend sind. Außerdem gibt es sehr viele geldnahe Titel, wie zum Beispiel Aktien oder Anleihen, bei denen die Übergänge zum Papiergeld gleitend sind. Auch die Finanzprodukte galten vor der Krise als geldnah. Sie waren äußerst leicht verkäuflich am Markt, waren wie Bargeld. Nach der Krise ist der Zweifel....

Montag, November 22, 2010

"Harakiri, wenn alle die Etats zusammenprügeln"

der Standard.at
ITV Uno-Ökonom Flassbeck
"Harakiri, wenn alle die Etats zusammenprügeln"
von Regina Bruckner

Warum nur steigende Löhne die Eurozone retten, die Fed gut daran tut, Geld zu drucken und Defizite nicht das Hauptproblem sind erklärt Uno-Ökonom Heiner Flassbeck

Heiner Flassbeck ist einer der umstrittensten und streitbarsten Ökonomen Deutschlands. Der studierte Volkswirt ging 1986 zum Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und stellte sich dort mit seinem keynesianischen Ansatz mehr und mehr gegen den Mainstream. Flassbeck etablierte sich als heftiger Kritiker deregulierter Märkte, denen er den Zusammenbruch voraussagte. Der heutige US-Finanzminister Timothy Geithner nannte ihn deshalb einst "Fürst der Dunkelheit". Der damalige Finanzminister Oskar Lafontaine holte den Ökonomen 1998 als Staatssekretär in sein Ministerium. Im Interview erklärt er warum nur steigende Löhne die Eurozone retten können, die Fed recht daran tut, die Geldpresse anzuwerfen und Haushaltsdefizite nicht Europas Hauptproblem sind.

derStandard.at: Herr Flassbeck, im März 2009 stellte man Ihnen folgende Frage: "Die USA werfen jetzt die Geldpresse an und kaufen Staatsanleihen auf. Ist das eine Verzweiflungstat?" Jetzt kann ich Ihnen dieselbe Frage wieder stellen.

Heiner Flassbeck: Es ist eine erneute Verzweiflungstat. Es ist in den USA offensichtlich notwendig, noch einmal diese Maßnahme anzuwenden, weil die Konjunktur nicht so angesprungen ist, wie man sich das gewünscht hat. Was wir erleben, ist die Auswirkung hoher Arbeitsmarktflexibilität in den USA, die ja immer gelobt wird, vor allem von konservativen Seiten in Europa, die sich aber jetzt in der Krise als äußerst problematisch erweist. Die Krise dauert jetzt schon lange an und wurde selbst mit massiven staatlichen Maßnahmen nicht überwunden. Dadurch tritt ein Problem ein, das man mit Lohndeflation bezeichnen könnte.

derStandard.at: Sie meinen die stagnierenden Löhne?

Flassbeck: Ja, Japan hatte am Ende seiner großen Blase Ende der 1980er-Jahre ein ähnliches Problem. Dauert die Arbeitslosigkeit lange, sinken die Löhne immer weiter. Eine Volkswirtschaft wie die USA, die wenig exportiert und viel eigene Nachfrage braucht, gerät dann in die Lage, dass die Leute ihre Erwartungen systematisch nach unten schrauben, weil sie nicht mehr glauben, dass ihre Einkommen in absehbarer Zukunft steigen. Das ist die gefährlichste Lage, in die man kommen kann, denn diese Erwartungsstagnation kann man nur noch mit gewaltigen Nachfrageprogrammen des Staates überwinden. Das wird aber auch mit dem jetzt gewählten Kongress in den USA überhaupt....

Samstag, November 20, 2010

Nichts ist ohne Alternative – auch nicht der Kapitalismus

Tages-Anzeiger Online 18.11.2010

Nichts ist ohne Alternative – auch nicht der Kapitalismus

Von Lukas Bärfuss.
Es stehe kein anderer Weg zur Verfügung als die Marktwirtschaft und die Globalisierung, heisst es. Das ist blosse Ideologie, meint der Schriftsteller Lukas Bärfuss.
Mord und Vertreibung sind nicht kompliziert: Flüchtlinge im Kongo, wo das grösste Massaker seit dem Zweiten Weltkrieg stattfindet.
Mord und Vertreibung sind nicht kompliziert: Flüchtlinge im Kongo, wo das grösste Massaker seit dem Zweiten Weltkrieg stattfindet.
Lukas Bärfuss, 38, lebt als Schriftsteller in Zürich. Er schreibt Theaterstücke («Die sexuellen Neurosen unserer Eltern», «Der Bus», «Malaga») und Prosa, zuletzt den Roman «Hundert Tage» über die Verstrickung der Schweiz in den Völkermord in Ruanda. Der vorliegende Text ist eine Rede, die Bärfuss am 15. November, dem «Writers-in-Prison-Day», im Literaturhaus Zürich gehalten hat, im Beisein des Journalisten Déo Namujimbo,der über die Ausbeutung des Kongo berichtete und deshalb mit dem Tode bedroht wird. Der «Writers-in-Prison-Day» erinnert alljährlich an Schriftsteller, die wegen ihrer Ansichten oder Schriften verfolgt werden.

Über den Begriff «Freiheit» nachzudenken, dazu öffentlich und in Gegenwart eines Autors wie Déo Namujimbo, der in seiner Heimat Kongo verfolgt und mit dem Tod bedroht wird, muss einen Schweizer Schriftsteller in Verlegenheit stürzen, und das hat einen bestimmten Grund.
Vor zwanzig Jahren befand sich Friedrich Dürrenmatt in einer vergleichbaren Situation, als er seine berühmteste Rede hielt, die Rede zur Verleihung des Gottlieb-Duttweiler-Preises an den tschechischen Schriftsteller und Staatspräsidenten Vaclav Havel. Bei jener Gelegenheit formulierte Dürrenmatt eine Metapher, die die Diskussion über Freiheit...

Donnerstag, November 18, 2010

Die Zeit: Finanzmarkt Kein Geld ohne Leistung

ZEIT ONLINE
Finanzmarkt Kein Geld ohne Leistung

Die Banken sollen nicht Herren, sondern Diener der Realwirtschaft sein: HSG-Professor Philippe Mastronardi fordert einen drastischen Umbau der Finanzmärkte.

Philippe Mastronardi ist Ordinarius für Öffentliches Recht an der Universität St. Gallen. Seine Forschungsgebiete sind Staatsrecht, Demokratietheorie und Rechtstheorie.

Von: Peer Teuwsen
Datum: 19.10.2010

DIE ZEIT: Herr Mastronardi, was ist Geld?

Philippe Mastronardi: Geld ist dieses Zahlungsmittel, das wir brauchen, um keine Tauschwirtschaft zu sein. Damit Sie mir nicht Ihre Kleider geben müssen, um von mir Brot zu bekommen. Nur so kann die Arbeitsteilung unter Fremden funktionieren. Geld hat eine enorme Bedeutung bekommen.

ZEIT: Hat es eine Macht über uns entwickelt, die wir nicht mehr kontrollieren können?

Mastronardi: Ja. Die Geldmenge wächst sehr viel stärker als die Realwirtschaft. Und zwar, je nach Vergleichsbasis, um das Vier- bis Achtfache. Geld wird also nicht mehr geschöpft zur Deckung der Bedürfnisse unserer Realwirtschaft, sondern zur Schaffung von maximalverzinslichen Geldanlagen. Es hat sich ein Geldmarkt mit Finanzprodukten entwickelt, der gar nichts Reales produziert. Aber die hohen Zinsen, die man mit diesen Finanzprodukten erzielen kann, wurden zum Maßstab für die Realwirtschaft. Eine Firma, die Schuhe produziert, muss so viel Rendite abwerfen wie eine Bank oder ein Börsenprodukt. Der irreale Finanzmarkt steuert damit die realen Märkte.

ZEIT: Wird sich die Geldmenge nicht verringern durch die verschärften Eigenmittelvorschriften, die Basel III und auch die Expertengruppe des Bundesrates vorsehen?

Mastronardi: Es gibt da zwei Probleme, ein technisches und ein grundsätzliches. Was Basel III und die Expertengruppe vorschlagen, beruht auf einer Risikoeinschätzung, welche die Banken teilweise selber vornehmen. Wir sind also wieder so weit wie vor der Finanzkrise: Wir sind abhängig von der Risikoeinschätzung der Banken und Ratingagenturen. Man erfasst künftig wohl ähnliche Krisen besser, aber unvorhergesehene Risiken sind da nicht abgesichert. Und es werden andere Krisen kommen. Das ist das technische Problem. Nun aber zum Grundsätzlichen: Wir behalten das bisherige Aufsichtsmodell bei, obwohl es versagt hat. Das heißt, wir behandeln den Finanzmarkt immer...

Dienstag, November 16, 2010

«Obama hat die Zügel im Nahen Osten schleifen lassen»

10. November 2010, 16:02, NZZ Online
«Obama hat die Zügel im Nahen Osten schleifen lassen»
Jimmy Carter im Gespräch mit der NZZ

Als langjähriger Vermittler im Nahen Osten weilt der ehemalige amerikanische Präsident Carter dieser Tage in der Schweiz. In einem Interview nimmt er pointiert Stellung zu den Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Frieden.

Präsident Carter, Sie waren kürzlich erneut auf einer ausgedehnten Reise durch den Nahen Osten, die palästinensischen Gebiete inbegriffen. Wie lautet die Bilanz dieser Reise?
Wir konzentrierten uns auf die Situation der Palästinenser, und diese kann man nur als bedenklich bezeichnen. Dies gilt sogar für jene, die in Israel selbst leben und einen israelischen Pass haben. Wir haben insgesamt 35 Gesetze gefunden, die sich diskriminierend auf sie auswirken. Sie umschliessen fast alle Lebensbereiche bis hin zu Heiratsbestimmungen. Wesentlich stärker unter Druck sind jene Palästinenser, die im israelisch besetzten Ost-Jerusalem wohnen. Sie habe praktisch keine Möglichkeit mehr, an einer normalen sozialen Entwicklung teilzunehmen. Sie erhalten nur gerade einen Bruchteil jener Mittel, die den jüdischen Einwohnern zur Verfügung gestellt werden. Man diskriminiert sie systematisch. Dies gilt in ähnlichem Ausmass auch für die Bewohner Cisjordaniens, auf deren Land sich mittlerweile über 300 000 jüdische Siedler festgesetzt haben.
Am schlimmsten aber ist die Lage im Gazastreifen, wo rund anderthalb Millionen Menschen wie in einem Käfig leben. Da die Israeli eine fast totale Blockade aufrechterhalten, ist eine nachhaltige Linderung der Not praktisch unmöglich. An einen Wiederaufbau oder gar eine wirtschaftliche Entwicklung ist unter diesen Umständen nicht zu denken. Man muss sich vor Augen halten, dass rund die Hälfte der Bevölkerung minderjährig ist.

Am Dienstag kündigte die israelische Regierung den Bau weiterer 1300 Wohnungen in Ost-Jerusalem an. Präsident Obama reagierte mit der Bemerkung, dies sei nicht hilfreich. Wie schätzen Sie die Haltung der amerikanischen Regierung ein?
Nun, mit seiner Kairoer Rede nach seiner Wahl hatte Obama sehr grosse Hoffnungen im gesamten Nahen Osten geweckt. Er bezeichnete damals die jüdische Siedlungstätigkeit als illegal und als Haupthindernis für einen Frieden. Das war eine deutliche Sprache. Aber seither hat er die Zügel fahren lassen und nicht einmal mehr versucht, die direkten Friedensgespräche zwischen Israel und den Palästinensern zu beeinflussen. Die israelische Weigerung, den befristeten Siedlungsstopp zu verlängern, hat zum Stillstand des Prozesses geführt. Wir haben bei unseren Gesprächen im Nahen Osten die fast einhellige Meinung getroffen, dass eine Fortsetzung der Gespräche unter diesen Bedingungen sinnlos sei.

Woran liegt es, dass sich die amerikanische Nahostpolitik so stark an den israelischen Bedürfnissen orientiert? Könnten die USA nicht mehr Druck ausüben?
Da ist zunächst einmal die ausserordentlich starke Israel-Lobby in den USA. Ihr Einfluss ist gross. Es besteht unter den Amerikanern aber auch der Glaube, Israel sei eine echte Demokratie, die einzige im Nahen Osten. Kommt hinzu die militärische Bedeutung Israels für die USA. Diese nimmt ständig zu. Die Araber hingegen werden noch immer mit Misstrauen beobachtet, obwohl einige der saubersten Wahlen der letzten Jahre gerade bei den Palästinensern stattgefunden haben.
Interview: Jürg Dedial

Montag, November 15, 2010

Die Zukunft liegt im Urin

7. November 2010, NZZ am Sonntag
Die Zukunft liegt im Urin

Aus dem Harn des Menschen gewinnen Schweizer Forscher Phosphor
In fünfzig Jahren könnte der Nährstoff Phosphor erschöpft sein.
Patrick Imhasly

Viele Leute denken mit einem Schaudern an den Tag in nicht allzu weiter Ferne, an dem der letzte Tropfen Erdöl gefördert sein wird. Doch möglicherweise geht ein anderer Rohstoff noch schneller zur Neige, der wichtiger ist als Erdöl und zu dem es keine Alternativen gibt: Phosphor.

Phosphor ist ein Nährstoff, auf den Pflanzen nicht verzichten können; auch in der Energieversorgung des menschlichen Körpers spielt er eine zentrale Rolle. Zur Verwendung als Pflanzendünger wird der Stoff in erster Linie im Bergbau aus phosphathaltigen Mineralien gewonnen. China, Marokko und die USA kontrollieren dabei den grössten Teil der weltweit verfügbaren Reserven. Manche Studien besagen, dass der sogenannte «Peak Phosphor» bereits um 2030 erreicht sein wird. Das ist der Zeitpunkt, wo die Fördermenge am grössten ist und dann stetig abnimmt. Zumindest die leicht abbaubaren Phosphorvorräte sollen in 50 bis 100 Jahren vollständig erschöpft sein.

Erste Erfahrungen in Nepal

«Solche Studien sind immer mit grossen Unsicherheiten behaftet», erklärt Kai Udert vom Eawag in Dübendorf, dem Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs. «Man wird neue Vorkommen finden, und der wird sich nach hinten verschieben.» Trotzdem: Irgendwann ist Schluss. Und weil Phosphor unersetzlich ist, macht sich der Verfahrenstechniker

Freitag, November 12, 2010

Peak Oil liegt hinter uns

TELEPOLIS


Peak Oil liegt hinter uns

Craig Morris 11.11.2010

Jetzt ist es wohl offiziell - die Internationale Energieagentur (IEA) hat selbst zugegeben, dass die Förderung höchstens für einige Jahre stabil bleiben kann, bevor sie endgültig abrutscht

Vor wenigen Jahren war Peak Oil ein Thema für Skeptiker und Außenseiter. Auch wenn einige wenige prominente Insider die Alarmglocken mit geläutet haben (z.B. Matthew Simmons, s. Peak oil: Steigende Preise, sinkende Förderung (1)) , behaupteten BP, die IEA, und andere Industrieorganisationen immer brav und beruhigend, der Peak komme wohl erst in ein paar Jahrzehnten. Zum Beispiel meinte (2) die IEA erst 2009, dass Peak Oil frühestens 2020 erreicht werde.

Am Dienstag schlug die IEA im World Energy Outlook 2010 (3) jedoch überraschend einen neuen Ton an. Nun spricht die Organisation nicht nur offen von Peak Oil (die IEA nahm bisher den Begriff ungern in den Mund), sondern liefert gleich eine Grafik mit, die es in sich hat.

Peak-Oil. Grafik: IEA
Man sieht deutlich, dass das Fördervolumen leicht gesunken ist; die Ökonomen würden wohl auf den gesunkenen Verbrauch während der Wirtschaftskrise verweisen. Die Grafik zeigt aber etwas Beunruhigendes: Die Förderung wird offenbar nicht mehr leicht über das Niveau von 2003-2007 steigen, sondern sogar bald steil absinken. Nur wenn "noch nicht entwickelte Felder" bereits jetzt die Arbeit aufnehmen, können wir grob das heutige, leicht abgesunkene Niveau stabil halten - und das nur bis etwa 2015. Dann müssen "noch nicht gefundene Felder" hinzukommen. Sonst haben wir circa eine Generation später vielleicht nur die Hälfte der heutigen Produktion.
Für die Energy Watch Group aus Berlin, die auch seit Jahren vor Peak Oil warnt (4), gehen klare Handlungsempfehlungen aus der IEA-Studie hervor:
Sogar eine Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien ist innerhalb weniger Jahrzehnte möglich und insgesamt kostengünstiger als der weitere Verbrauch von Erdöl, Erdgas, Kohle und Uran.
Recht haben sie – allerdings lehnen sich manche Befürworter der erneuerbaren Energien zu weit aus dem Fenster, wenn sie (wie die EWG) andeuten, die Erneuerbaren könnten das Erdöl ersetzen. Richtig ist, dass alle erneuerbaren Strom erzeugen, keinen flüssigen Treibstoff, bis auf die Biomasse, und es darf bezweifelt werden, dass so viel Biotreibstoff nachhaltig produziert werden kann, wie wir jetzt Erdöl verbrauchen. Auch die Atomkraft stellt deswegen keinen Ersatz dar. Es gab einfach keinen Ersatz für Öl als Treibstoff.
Das heißt, dass wir bald mit weniger Heizöl auskommen müssen, aber das geht ja - besser isolierte Gebäude, passive Wärme, Pelletöfen u.ä., und schließlich zur Not Elektroheizungen. Wärme ist nicht das Problem. Aber die Elektromobilität wird anders aussehen als unsere heutigen Autos, die quasi eine unbegrenzte Reichweite haben und innerhalb weniger Minuten vollgetankt werden können. Eine Fahrt von Berlin aus an die Atlantikküste bei Bordeaux mit Zelt und Familie im Kombi wird zunehmend schwierig.
Noch schwieriger wird die Schifffahrt. Und fast unmöglich der Luftverkehr. Dort sind keine Alternativen zum flüssigen, fossilen Treibstoff in Sicht. Machen Sie sich also auf stark steigende Ölpreise zu Ihren Lebzeiten gefasst.

Links

(1) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19966/1.html
(2) http://www.heise.de/tp/blogs/2/146734
(3) http://www.iea.org/w/bookshop/add.aspx?id=422
(4) http://www.energywatchgroup.org/Mitteilungen.26.0.html

Dienstag, November 09, 2010

Chinas skrupellose Jagd auf die Seltenen Erden

Tages Anzeiger Online
Chinas skrupellose Jagd auf die Seltenen Erden
Von Henrik Bork, Guotian.

Wie in China ganze Dörfer und Täler vergiftet werden, damit die Welt an Seltene Erden kommt – die Rohstoffe für iPhones und iPods.

In Südamerika gibt es Kokain, in China gibt es Seltene Erden. Wer nun meint, das eine habe nichts mit dem anderen zu tun, der sollte Guotian besuchen. Das Dorf liegt versteckt in den grünen Bergen der Provinz Guangdong. Mehr als dreihundert Kilometer und eine Reise mit der Zeitmaschine trennen es von der Provinzhauptstadt Guangzhou. Eben noch ein futuristischer Flughafen, Geschäftsleute in massgeschneiderten Anzügen. Hier Bauern mit nackten Beinen im Schlamm ihrer Reisfelder.

Illegale Mine

Doch in Guotian wird nicht nur Reis angebaut. Hier geht es auch ähnlich zu wie in der Hochburg eines kolumbianischen Drogenbarons. Nachts werden Säcke mit Chemikalien angeliefert, die zum Auswaschen des «Stoffs» gebraucht werden. Das fertige Produkt wird von Schmugglern abgeholt und zur Tarnung in harmlose Düngersäcke gestopft. Oberhalb des Dorfes steht ein gut bewachtes Anwesen. Auf seinem blauen Wellblechdach sind Videokameras montiert. Wachhunde schlagen an, finstere Typen sind zu sehen, die nicht aus Guotian stammen, und der Boss steigt in einen Mitsubishi-Jeep und rast davon.

Der Boss betreibt eine illegale Mine für Seltene Erden. Ein Hügel oberhalb des Dorfes, direkt über einem kleinen Stausee gelegen, wird im Tagebau abgetragen. Ohne Genehmigung, ohne Lizenz. Auf rund 20'000 Yuan werden die Produktionskosten für eine Tonne Seltene Erden geschätzt. Verkauft wird die Tonne für mehr als 1 Million Yuan. «Eine einzige solche Mine bringt einen Profit von 3 Millionen Yuan im Monat», schrieb die Zeitung «Nanfang Ribao», rund 400'000 Franken.

Chemikalien im Trinkwasser

Die Weltwirtschaft ist süchtig nach diesen 17 Metallen, deren Namen nur Spezialisten kennen. Dysprosium-Oxid wird fürs iPhone gebraucht. Lanthanum für Hybridmotoren. Thulium für Röntgengeräte. Satelliten, Raketenleitsysteme, Petroleumraffinerien – für alles werden Seltene Erden gebraucht. Seit China, das 97 Prozent des Weltbedarfs fördert, die Ausfuhr eingeschränkt hat, schiessen hier in den Bergen von Guangdong die Preise in die Höhe. Die grösste Mine für Seltene Erden, Bayan Obo, steht in Nordchina, wo mehr als ein Drittel des

Sonntag, November 07, 2010

The last of the Mohicans - Final scene

Samstag, November 06, 2010

Wann sind wir tot?

31. Oktober 2010, NZZ am Sonntag
Wann sind wir tot?
Neue Erkenntnisse bringen alte Fragen neu aufs Tapet

Der Hirntod galt als fest definiert. Neue Erkenntnisse zwingen Mediziner, die Frage wieder zu stellen, wann ein Mensch wirklich tot ist. Dies könnte den Umgang mit Organspenden verändern.

Rechtlich ist die Sache klar: «Der Mensch ist tot, wenn die Funktionen seines Hirns einschliesslich des Hirnstamms irreversibel ausgefallen sind», hält Artikel 9 des Schweizer Transplantationsgesetzes fest. So gesehen sind Tod und Hirntod das Gleiche. Auf diesem Grundsatz – dass der Mensch tatsächlich tot ist, wenn man ihm für eine Organspende seine Organe entnimmt – beruht die Transplantationsmedizin.

Ob aber die Gleichung Hirntod = Tod tatsächlich richtig ist, wird in jüngerer Zeit wieder kontrovers diskutiert. «Neue Erkenntnisse erfordern eine neue Auseinandersetzung mit diesen Fragen», meint die Psychiaterin Sabine Müller von der Charité in Berlin. Zahlreiche Studien hätten ein längeres Überleben und die Aufrechterhaltung der Körperfunktionen von hirntoten Patienten nachgewiesen.

Um solche Studien macht Franz Immer lieber einen grossen Bogen. Dem Direktor der nationalen Stiftung für Organspende und Transplantation (Swisstransplant) geht es um andere Themen. Vor kurzem hat er eine Debatte über die....

Donnerstag, November 04, 2010

Hauseigentum formt Spiesser, die an Verlustangst leiden

Tages Anzeiger Online 02.11.2010
Hauseigentum formt Spiesser, die an Verlustangst leiden
Von Benedikt Loderer

Alle träumen vom Eigenheim. Doch mit einem Hüsli wird man nicht freier. Eine Polemik von Benedikt Loderer.

Ich schreibe hier über das Wichtigste überhaupt: über das Eigentum. Damit Sie es bequemer haben, wird mein Artikel von einem Gerüst von zehn starken Sätzen gestützt. Meilensteine und Verschnaufpausen im Lesefluss.

Die Hüslipest

Seit der Finanzkrise fühle ich mich glänzend bestätigt. Denn die Wahrheit meines ersten starken Satzes ist durch den Beinahezusammenbruch des internationalen Finanzsystems glänzend bestätigt worden: Das Hüsli ist die Krankheit des Landes. Das Einfamilienhaus steht hier stellvertretend für die auch vom Hauseigentümerverband vertretene Meinung, dass das Mehren der Zahl der Eigentümer die Schweiz verbessere. Je mehr Eigentümer, desto besser funktioniert der Staat, wie in Italien zum Beispiel, wo der Anteil der Eigentümer so viel höher ist als hierzulande.

Doch dachte ich als «petit Suisse» nur an mein eigenes Vaterland, an die Zersiedelung, die wie ein Geschwür das Land überzieht und mit der Hüslipest vergiftet, an die aufgeblasene Infrastruktur, die zu unterhalten uns immer schwerer fällt, an die externen Kosten, kurz, an den schweizerischen Zustand. Doch das war viel zu kurz gedacht.

Denn nicht das Schwyzerhüsli war die bedrohliche Krankheit, sondern sein amerikanisches Schwesterchen hatte die Schwindsucht. Viel ist darüber gestritten worden, wie die Banken dieses Desaster verursacht haben, wenig aber darüber, dass es sich hier um eine besondere Art der Eigentumsförderung gehandelt hat. Auch wer nicht kreditwürdig ist, hat ein Recht auf das Hüsli. Und schon sind wir am entscheidenden Punkt angelangt: Eigentumsförderung ist Ermunterung zum Leben auf Pump. Das ist bereits der zweite starke Satz, und er ist der wahre Kern der Subprime-Krise.

Ein Wellental der Zinskurve

Selbstverständlich ist in der Schweiz alles viel besser, weil wir solid sind. Betrachte ich allerdings die heutigen Zinssätze und das darin stillschweigend enthaltene Versprechen, sie blieben auch in Zukunft so tief, so wird mir unbehaglich zumute. Denn die Tiefzinsphase ist....

Dienstag, November 02, 2010

«Es wird noch mehr Ehrenmorde geben»

Tages Anzeiger Online 27.10.2010
«Es wird noch mehr Ehrenmorde geben»
Von Bettina Weber

Die Autorin und Journalistin Güner Balci über Zwangsheiraten mitten in Deutschland, Thilo Sarazzin und die Feigheit von Politikern.

Unerschrockene Kämpferin

Güner Balci, 35, ist als Tochter alevitischer Türken in Berlin-Neukölln aufgewachsen. Sie hat sich als ZDF-Journalistin mit islamkritischen Beiträgen einen Namen gemacht und auch Bücher zum Thema verfasst. Ihr aktueller Roman heisst «Arabqueen» (S. Fischer, Frankfurt a. M. 2010, 319 S., ca. 26 Fr.) und schildert aufgrund wahrer Begebenheiten das Schicksal zweier arabischer Schwestern, die 2010 mitten in Deutschland von ihrer Familie sämtlicher Freiheiten beraubt werden. Das Buch wirft ein Schlaglicht auf die viel zitierte Parallelgesellschaft, weshalb Balci von der FAZ als «eine Aufklärerin im besten Sinn» bezeichnet wurde.


Ihr Roman «Arabqueen» basiert auf wahren Begebenheiten. Das Happy End indes ist fiktiv – in Wirklichkeit wurden die beiden arabischen Frauen zwangsverheiratet. Gibt es das wirklich 2010 mitten in Deutschland?
Ja, das ist die gängige Praxis. Ich habe zwölf Jahre lang in einem Mädchentreff in Berlin-Neukölln gearbeitet und in dieser Zeit alles mitbekommen, was es so gibt. Ich wusste, dass es Zwangsehen gibt, aber ich kannte das Ausmass in dieser Härte nicht.

Es ist in der Tat schockierend: Die Mädchen werden eingesperrt, dürfen sich in der Öffentlichkeit nur mit einem Aufpasser bewegen, und der Besuch bei der Gynäkologin wird ihnen verboten, weil das Jungfernhäutchen verletzt werden könnte.
Es ist in diesen Kreisen eine Selbstverständlichkeit, dass muslimische Mädchen keine Freiheit haben und auch nicht über ihren Körper verfügen können. Zurzeit recherchiere ich für einen....

Montag, November 01, 2010

Aus den sibirischen Weiten zurück ins enge Deutschland

30. Oktober 2010, Neue Zürcher Zeitung
Aus den sibirischen Weiten zurück ins enge Deutschland
Warum die Russlanddeutschen sich hervorragend integrieren


Deutschland spricht obsessiv über seine Muslime. Dabei hat das Land in den letzten Jahren weit mehr sogenannte Aussiedler integrieren müssen. Die Eingliederung der «Russlanddeutschen» ist eine Erfolgsstory.

Ulrich Schmid, Wünsdorf

«Die Russen? Nee. Mit denen wollen wir nichts zu tun haben». Schaler Argwohn verhärtet die Gesichter der Rentnerinnen Brigitte Riegmann und Margarete Sikorski. Nein, sie können sich nicht erinnern, dass es je Probleme mit den «Russen» gegeben habe. Aber denen geht es zu gut, das wissen sie genau. Da schuftet man ein Leben lang, dazu noch in der DDR, zieht Kinder hoch, und was kriegt man dafür? 1211 und 1002 Euro monatlich, Witwenrente inklusive. Die «Russen» aber, sagt Riegmann, die kriegen mehr. «Und alles nur, weil irgendeiner ihrer Schäferhunde einmal etwas Deutsches gebellt hat.»

Die Stadt der Russen

Die Waldstadt bei Wünsdorf, südlich von Berlin, in der Riegmann und Sikorski wohnen, ist ein wunderliches Fleckchen Erde. Unter rötlich leuchtenden Kiefern verstecken sich adrett renovierte Reihenhäuser im sandigen Boden, unschwer als ehemalige Kasernen zu erkennen. Da und dort ragen sperrige Bunkeranlagen aus dem Boden; vor dem Restaurant «Peking-Garten», einst die «Kommandanten-Villa», steht Gagarin in Pop-Star-Pose. Militär hat Tradition in Wünsdorf. Hier befand sich in der Nazizeit ein grosses Spionagezentrum, hier wurden Panzer und V-Waffen («Vergeltungswaffen») getestet, und hier liess sich nach dem Krieg das Oberkommando der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland nieder. Fast 60 000 Russen lebten neben den rund 2700 Wünsdorfern ihr vollkommen eigenes Leben. Für DDR-Bürger war das Areal Sperrgebiet.

Die «Russen», die heute hier leben, haben nichts Martialisches mehr an sich. Alle sind sie sogenannte Spätaussiedler, Menschen mit deutschen Wurzeln, die aus kommunistischen Ländern, meist denen der ehemaligen Sowjetunion, hierhergezogen sind. Dmitri Schwab ist einer von ihnen. Zusammen mit seinem Freund Alexander Lich zieht er, umwirbelt von rotgoldenem Buchenlaub, die Winterreifen auf. Beide sind als Abkömmlinge von Wolgadeutschen aus Kasachstan nach Deutschland gekommen, Dima aus Schymkent im Süden, Sascha aus Pawlodar im sibirischen Norden.

Zwei Herzen, ach!

Dmitri und Alexander wissen, dass «Russen» hier nicht beliebt sind. Aber das lässt sie kalt, und zudem, sagen sie, werde es ja immer besser. Von älteren Deutschen würden....

Samstag, Oktober 30, 2010

Die amerikanischen Mythen

Tages Anzeiger Online 28.10.2010
Die amerikanischen Mythen
Von Martin Kilian, Washington.

Was ist aus dem Tellerwäscher geworden? In den Wochen vor den Kongresswahlen ist in den USA eine heftige Diskussion über den Zustand des Landes entbrannt.

Wieder geht das Gespenst des amerikanischen Niedergangs um. Die grosse Rezession, die politische Polarisierung in Washington sowie der Aufstieg von grossen Schwellenländern wie China und Brasilien schüren in den Vereinigten Staaten Angst vor einem allmählichen Bedeutungsverlust. Doch Vorsicht ist geboten: Mehr als einmal wurde den USA ein Absinken in die Mittelmässigkeit attestiert. So verschätzte sich zum Beispiel der Historiker Paul Kennedy 1988 gewaltig, als er den USA wegen «imperialer Überdehnung» den Abstieg vorhersagte. Nicht Amerika implodierte, sondern die Sowjetunion.

Trotzdem hat sich in den Vereinigten Staaten ein diffuses Gefühl ausgebreitet, dass die besten Zeiten womöglich vorbei seien. «Der amerikanische Lebensstandard wird im Vergleich zu anderen Industrienationen und aufstrebenden Schwellenländern abnehmen», schreiben die beiden Ökonomen Brad DeLong und Stephen Cohen. In einer Umfrage des Magazins «Newsweek» glaubten 63 Prozent der Interviewten, dass es mit ihrem Lebensstandard bergab gehen werde. Vizepräsident Joe Biden hingegen will davon nichts wissen: «So viele Leute haben auf unseren Untergang gewettet, es macht mich ganz verrückt», beschwerte er sich.

Ein amerikanischer Niedergang aber würde sich nicht zuletzt einer Mythenbildung verdanken, die das Land über den Rest der Welt erhebt und dabei unangenehme Wahrheiten ausblendet. Vor allem das konservative Amerika...

Freitag, Oktober 29, 2010

Der gesunde Schlaf ist eine Traumvorstellung

24. Oktober 2010, NZZ am Sonntag
Der gesunde Schlaf ist eine Traumvorstellung
Unser Ideal vom ungestörten Schlaf ist eine Idee, die unserer Natur widerspricht

(ein weiterer Artikel zum Thema Schlaf findet sich hier/ul)
Von Ori Schipper

Wenn uns in der Werbung Matratzen «für einen tiefen, gesunden Schlaf» angepriesen werden, meinen wir, genau zu wissen, was wir uns darunter vorzustellen haben: Der Gerechte schläft täglich 8 Stunden, ungestört und ununterbrochen. Und die anderen schlucken Medikamente, um es ihm gleichzutun – es werden immer mehr, wie die Verkaufsstatistiken von Schlaftabletten belegen.

Aber vielleicht hat diese Epidemie mehr mit unseren kulturell geprägten Vorstellungen eines gesunden Schlafs als mit unserer Natur zu tun. Vielleicht rennen wir einem Idealbild des Schlafens hinterher, das es in der Menschheitsgeschichte nie gegeben hat und das wir deswegen auch mit Medikamentenhilfe nicht erreichen werden.

Seit der Erfindung der Glühbirne vor über hundert Jahren machen wir mit gleissendem elektrischem Licht die Nacht zum Tag. Für unseren Körper, der seine innere Uhr an den verlängerten Tagen – und verkürzten Nächten – ausrichtet, bedeutet die künstliche Beleuchtung eine Herausforderung, der wir offenbar nicht gewachsen sind.

Anderswo auf dieser Welt – bei verschiedenen indigenen Gruppen wie etwa bei den Hirten der Gabra in Kenya oder den Ackerbauern auf Suleleng in Bali – schlafen die Menschen völlig anders, wie die Anthropologinnen....

Donnerstag, Oktober 28, 2010

Club of Rome - Meadows: "Der böse Samurai ist schon tot, ohne es zu merken"

Heise.de 24.04.2009

"Der böse Samurai ist schon tot, ohne es zu merken"

Von Martin Koelling, Tokio

Dennis Meadows, 66, hat 1972 im Auftrag des Club of Rome die Studie „Grenzen des Wachstums“ erstellt, die in 38 Sprachen übersetzt und zig millionenfach verkauft wurde. In seinem Report sagte er voraus, dass die Grenzen des Wachstums in den nächsten 100 Jahren erreicht würden, wenn das Wachstum von Bevölkerung, Industrialisierung und der Umweltverschmutzung anhält. Als Alternative zum Kollaps suggerierte Meadows, dass nachhaltiges Wachstum möglich sei. Für seine Verdienste erhielt Meadows am gestrigen Donnerstag den hoch dotierten Japan-Preis[1] der Stiftung für Wissenschaft und Technik. Vor seiner Preisverleihung nutzte Meadows[2], Professor Emeritus der University of New Hampshire, im Foreign Correspondent's Club of Japan die Gelegenheit, zur aktuellen Wirtschaftskrise und der kommenden Krise nicht nachhaltigen Wachstums Stellung zu beziehen.
Seine These: Wir stehen vor der Herausforderung, zwei historische Krisen auf einmal zu bewältigen. Erstens wird die Phase des Hochwachstums von einer harten und langen Phase des Abbaus von Produktionsüberkapazitäten abgelöst. Zweitens müssen wir gleichzeitig die Gesellschaften auf eine nachhaltige Entwicklung umstellen, wenn wir die Folgen noch einigermaßen kontrollieren wollen. Leicht redigiert zeichnet TR Online seine Rede und seine Antworten auf Journalistenfragen auf.

Die Welt ist weniger nachhaltig als 1972
Ich beneide meinen Freund David Kuhl[3], den anderen Träger des Japan-Preises. In seiner Arbeit kann er Tag für Tag Fortschritt verzeichnen. Für mich gilt das Gegenteil, für mich ist die Geschichte seit 1972 rückwärts gelaufen. Die Welt ist weniger nachhaltig, als sie es damals war. Es ist unbefriedigend, eine theoretisch nachhaltige Gesellschaft aufzuzeigen, wenn du siehst, dass die reale Gesellschaft weiterhin einer falschen Politik folgt. Erst mit der Krise gibt es wieder vermehrt Interesse, und mehr Leute sagen, dass Meadows und seine Leute letztlich doch recht hatten. Aber wie ich gleich....

Mittwoch, Oktober 27, 2010

Vangelis

Chariots Of Fire (live at the Mythodea Concert) - Vangelis


Conquest of Paradise

Montag, Oktober 25, 2010

Leonardos Maltechnik - Die Geheimnisse der Lasur

Frankfurter Allgemeine Zeitung
18. Oktober 2010

Leonardos Maltechnik
Die Geheimnisse der Lasur


Wer für das Bild Modell gesessen hat, darüber streiten sich die Kunsthistoriker. Dafür haben Wissenschaftler nun herausgefunden, mit welcher Maltechnik Leonardo das Lächeln der Mona Lisa auf die Leinwand brachte.

Von Manfred Lindinger

Gesichter und Landschaften sind in ein nebelhaftes Licht getaucht, Hell-Dunkel-Übergänge verschwimmen ineinander wie Rauch, kein Pinselstrich, keine Linie ist zu sehen - nur wenige Künstler der Renaissance beherrschten die Sfumato-Technik so perfekt wie Leonardo da Vinci. Mit optischen Messungen, detaillierten Beobachtungen und Rekonstruktionen haben Fachleute versucht, einen Einblick in die einzigartige Maltechnik zu gewinnen. Doch noch immer ist man sich uneins darüber, wie Leonardo da Vinci den Sfumato-Effekt in solch einer Vollendung hervorrufen konnte, wie er etwa auf seinem Gemälde „Mona Lisa“ zum Ausdruck kommt.

Proben von der Farbschicht würden schnell Antworten liefern. Doch wäre damit unweigerlich eine Beschädigung des wertvollen Bildes verbunden - ein unverzeihliches Vergehen.....

Samstag, Oktober 23, 2010

Ein «Grüzzi, grüzzi» verbitten wir uns

Tages Anzeiger Online 22.10.2010
Ein «Grüzzi, grüzzi» verbitten wir uns
Von Sandro Benini

Denkt eigentlich bei der Mundartdebatte, die Peter von Matt kürzlich mit seinem im «Tages-Anzeiger» erschienenen Artikel provoziert hat, auch jemand an die tragische Situation der hierzulande lebenden Deutschen? Wie immer sie sich nämlich durch das Minenfeld von Dialekt und Hochsprache bewegen: Es ist fast unvermeidlich, dass es irgendwann knallt.

Schrotflinte mit Ladehemmung

Die erste und naheliegendste Strategie besteht für Deutsche darin, Schriftdeutsch zu verwenden und dies auch vom Schweizer Gesprächspartner zu erwarten. Das ist insofern schlecht, als sie ihn sprachlich in die Defensive drängen – ohne böse Absicht zwar, aber sie tun es. Denn was Schnelligkeit, Geschliffenheit und Wortgewandtheit betrifft, steht den Deutschen in einer Hochdeutsch geführten Diskussion eine Artillerie zur Verfügung, während die Mehrheit der Schweizer an einer Schrotflinte mit Ladehemmung hantiert.

Trotzdem behauptet von Matt, des Schweizers Muttersprache sei «Deutsch in zwei Gestalten», nämlich Dialekt und Hochdeutsch. Falls er recht hat, umso schlimmer. Wer mit einer Französin Französisch oder einem Italiener Italienisch redet, muss sich nicht dafür schämen, sprachlich am kürzeren Hebel zu sitzen. Aber eine Gestalt der eigenen Muttersprache zu sprechen und dann – wie einem in Deutschland tätigen Schweizer Journalisten einst geschehen – ausgelacht zu werden, weil man sagt: «Ich mache noch schnell ein Telefon» – das ist bitter. Kommt hinzu, dass die Deutschen den Akzent eines Hochdeutsch sprechenden Schweizers...

Mittwoch, Oktober 20, 2010

Hors-sol-Kinder

23. August 2010, Neue Zürcher Zeitung
Hors-sol-Kinder
Der Strassenverkehr setzt den Kindern zu


Mit den zunehmenden Gefahren im Verkehr dürfen sich jüngere Kinder kaum noch unbegleitet auf der Strasse aufhalten. Die Folgen sind Übergewicht, weniger Sozialkompetenz und fehlende Kenntnis der Umwelt.

Marco Hüttenmoser

Beatrice kann unbegleitet im Freien spielen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts hat sie ein detailreiches, buntes Bild ihres Wohnumfeldes gemalt (siehe Abbildung). Die gleichaltrige Claire kann hingegen nicht allein ins Freie. Das Wohnumfeld in ihrer Zeichnung besteht aus einer grauen Fläche. Beim Malen beklagte sich Claire: «Vor dem Haus hat es eine Strasse und etwa 200 Meter entfernt einen Spielplatz, zu dem ich nicht allein gehen kann.» Insgesamt haben 173 Kinder der ersten Primarklassen der Stadt Basel ihr Wohnumfeld gezeichnet. Die Unterschiede zwischen den Zeichnungen von Kindern, die unbegleitet im Freien spielen können, und jenen von Kindern, die dies nicht können, sind frappant. Erstere zeichneten durchschnittlich 16 Objekte (Kinder, Spielgeräte, Pflanzen und Tiere), letztere noch deren 2. Auch die soziale Situation ist völlig verschieden: Erstere haben durchschnittlich 12 Spielkameraden, letztere 2.

Die Kinderzeichnungen offenbaren zwei völlig verschiedene Welten. Vertieft analysiert wurden diese in einer Intensivuntersuchung bei 20 Familien mit fünfjährigen Kindern der Stadt Zürich: Wer in einem Wohnumfeld aufwächst, das kein....

Dienstag, Oktober 19, 2010

Leningrad Cowboys und Chor Alexandrow

Yellow Submarine / A Cossack Was Riding Beyond The Duna /
Proud Mary



Volga Boatmen / Happy Together

Montag, Oktober 18, 2010

Selbstlos helfen aus Mitgefühl

Neue Zürcher Zeitung
13. Oktober 2010
Selbstlos helfen aus Mitgefühl
Die Hirnaktivierung verrät Unterschiede in der Hilfsbereitschaft

Menschen sind manchmal erstaunlich gleichgültig gegenüber dem Leid anderer, oder sie zeigen sogar Schadenfreude. Aber sie verbringen auch Heldentaten und helfen anderen in Not, selbst wenn sie sich dabei gefährden. Aus der Sozialpsychologie ist bekannt, dass die Hilfsbereitschaft von sozialen Faktoren, wie etwa der Gruppenzugehörigkeit, beeinflusst wird. Nun haben Forscher der Universität Zürich untersucht, was im Gehirn abläuft, wenn Personen Mitglieder der eigenen und einer fremden Gruppe leiden sehen, und wie dies altruistisches Helfen beeinflusst.¹

Sie massen dazu im Labor die Hirnaktivität von Fussballfans, die dabei zuschauten, wie ein Fan des eigenen oder einer des rivalisierenden Teams einen schmerzhaften Stromschlag erhielt. Es stellte sich heraus, dass die Aktivität in einem bestimmten Hirnareal, genannt vordere Inselrinde, grösser war, wenn sie einen Fan des eigenen Teams leiden sahen. Dieses Areal steht...

Sonntag, Oktober 17, 2010

Der Dialekt als Sprache des Herzens? Pardon, das ist Kitsch!

Tages Anzeiger Online 16.10.2010

Der Dialekt als Sprache des Herzens? Pardon, das ist Kitsch!
Von Peter von Matt.

Peter von Matt äussert sich über Dialektwahn und die gefährliche Abwertung des Hochdeutschen.


Alles, was in der deutschen Schweiz geschrieben und gelesen wird, ist Hochdeutsch oder Standardsprache. Standardsprache ist ein so hässliches Wort, dass man seinen Erfinder aus der Sprachgemeinschaft ausschliessen sollte; ich verwende es an dieser Stelle nur, um öffentlich zu erklären, dass ich es nie mehr verwenden werde. Auch wenn viele Leute ihre SMS im Dialekt schreiben oder in irgendeinem Mundartgewurstel, gilt die Regel: Geschrieben und gelesen wird in der deutschen Schweiz das Hochdeutsche mit seinen schweizerhochdeutschen Eigenheiten, also eben etwa den Spargeln, den Türfallen und den Unterbrüchen.

Nun hat sich aber in diesem Lande seit einiger Zeit der Wahn ausgebreitet, der Schweizer Dialekt sei die Muttersprache der Schweizer und das Hochdeutsche die erste Fremdsprache. Das ist Unsinn, führt aber zu einer chronischen Einschüchterung der Deutschen in der Schweiz, denen man unterstellt, dass sie «unsere Sprache» nicht beherrschten. In Wahrheit ist in der Schweiz der Dialekt nur für Analphabeten die ausschliessliche Muttersprache.

Denkschwach und sentimental

Unsere Muttersprache ist Deutsch in zwei Gestalten: Dialekt und Hochdeutsch, und zwar so selbstverständlich und von früher Kindheit an, wie das Fahrrad zwei Räder hat. Wir wachsen mit beiden Gestalten unserer Muttersprache auf, erfahren und erweitern unsere Welt in beiden Gestalten ein Leben lang, und unsere Autorinnen und Autoren schreiben, wenn sie etwas taugen, ein Hochdeutsch, das dem ....

Donnerstag, Oktober 14, 2010

Warum hoher Seegang krank macht

Neue Zürcher Zeitung
13. Oktober 2010
Warum hoher Seegang krank macht
Neue Erkenntnisse zur Ursache der Seekrankheit ermöglichen bessere Vorsorge

Die Seekrankheit gilt als Ausdruck eines Konflikts, der durch unvereinbare visuelle und lagebedingte Informationen zustande kommt. Diese gängige Theorie wird nun durch neue Erkenntnisse in Frage gestellt.

Hermann Feldmeier

«II mal di mare» – die Seekrankheit gibt es, seit Menschen sich mit Booten auf das Meer wagen. Sie lässt nicht nur Landratten leiden, sondern macht auch vor altgedienten Seeleuten nicht halt. Selbst Admiral Nelson wurde seekrank, wenn im Ärmelkanal die Wellen hochgingen und die Augen vergebens nach einem Fixpunkt suchten. Umso erstaunlicher ist es, dass über die Ursache der Seekrankheit noch immer gerätselt wird, wie neue Forschungsresultate zeigen.

Kranke am Mast festbinden

Weil die Neigung, seekrank zu werden, unterschiedlich ausgeprägt ist und das Auftreten stark von physikalischen Variablen wie Schiffsgrösse und Wellenart abhängt, gibt es keine repräsentativen Aussagen zu ihrer Häufigkeit. Untersuchungen auf Truppentransportschiffen zeigten jedoch, dass regelmässig zwischen 20 und 40 Prozent der Mannschaft seekrank werden. Dagegen wird in fensterlosen Rettungsbooten in stürmischer See fast jeder Mensch innerhalb kürzester Zeit zu einem körperlichen Wrack.

Die Seekrankheit beginnt mit unspezifischen Symptomen wie Müdigkeit und Gähnen. Dann bricht kalter Schweiss aus den Poren, das Gesicht wird kreidebleich, und Übelkeit kriecht vom Bauch hoch. Schliesslich folgt heftiges Erbrechen. Es gibt keine Erkrankung, die so schnell zu Selbstmordgedanken führt, wie die Seekrankheit. Kapitäne berichteten, dass man seekranke Passagiere am Mast festbinden musste, weil sie lieber über Bord springen wollten, als weiter die Pein zu ertragen. Andere Symptome wie Antriebsarmut, Konzentrationsverlust und Entscheidungsunfähigkeit sind zudem für die Sicherheit an Bord von Bedeutung.

Nach geltender Lehrmeinung entsteht Seekrankheit dann, wenn Sinnesorgane widersprüchliche Informationen zur räumlichen Lage des Körpers an das Gleichgewichtszentrum im Kleinhirn....

Mittwoch, Oktober 13, 2010

Der englische Mittelstand ächzt unter Camerons Spardruck

Tages Anzeiger 12.10.2010
Der englische Mittelstand ächzt unter Camerons Spardruck
Von Philipp Löpfe.

Die Regierung von David Cameron verlangt von den Menschen grosse Sparopfer und will gleichzeitig den Gemeinschaftssinn fördern. Ist das zynisch oder nur dumm?

Auf der britischen Insel wird derzeit ein soziales Experiment mit realen Menschen durchgeführt: Die neue konservativ-liberale Regierung will mit drakonischen Sparmassnahmen den Staatshaushalt sanieren und gleichzeitig die Menschen zu mehr Freiwilligenarbeit an der Menschheit anhalten. Anstelle von «Big Government» (aufgeblähte Regierung) soll so die «Big Society», eine faire und gerechte Gesellschaft entstehen, in der man sich wieder gegenseitig hilft.

Die Idee für eine «Big Society» ist nicht neu. «Frag nicht, was der Staat für dich tun kann, sondern frag dich, was du für die Gesellschaft machen kannst», hat bereits John F. Kennedy in seiner legendären Antrittsrede proklamiert. An diesen Geist will der britische Premierminister David Cameron anknüpfen. Dummerweise haben sich in den rund 50 Jahren, die zwischen ihm und Kennedy liegen, die gesellschaftlichen Umstände massiv verändert.

Andere Situation in den USA

Die Vereinigten Staaten waren in den 60er-Jahren geprägt von einem breiten Mittelstand. Die Menschen hatten einen sicheren Job, verdienten.....

Dienstag, Oktober 12, 2010

Bizeps, Trizeps & Co. - Wie unsere Muskeln unser Leben beeinflussen

3 Sat - 11.10.2010
Unser Stoffwechsel und unsere Muskeln haben sich seit 10.000 Jahren nicht verändert. Sie sind für körperliche Hochleistung ausgelegt und nicht dafür gemacht, den ganzen Tag fast ohne Bewegung zuzubringen.
Viele Menschen strengen sich nur noch selten körperlich an. Die Folge: Bluthochdruck, Depressionen, Diabetes, Fettsucht, Heuschnupfen, Krebs. Und das hat wiederum etwas mit den Muskeln zu tun. Bislang galten die 640 Muskeln im menschlichen Körper als passive Befehlsempfänger. Neue Forschungen zeigen jedoch, dass die Fasern eine weit wichtigere Rolle spielen.

Muskeln senden eine Vielzahl von größtenteils noch unerforschten Botenstoffen aus und kommunizieren mit anderen Organen. "Der menschliche Skelettmuskel ist das wichtigste Stoffwechselorgan und bestimmt die Qualität und Dauer unseres Lebens", weiß Professor Heiko K. Strüder vom Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule in Köln.

Die ganze Sendung kann auf der Website von 3 Sat angeguckt werden:
Als Artikel zum Lesen:
http://www.3sat.de/page/?source=/hitec/143999/index.html
und als Fernsehbeitrag:

http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=18727

Freitag, Oktober 08, 2010

Tue recht und scheue niemand?

Tages Anzeiger
Dossier: Leser fragen
Tue recht und scheue niemand?
Peter Schneider

Leser fragt: Vor vielen Jahren haben wir als Neuntklässler in einer bernischen Sekundarschule mit einem für damalige Verhältnisse recht progressiven Phil.-I-Lehramtskandidaten den Spruch «Tue recht und scheue niemand» diskutiert. Ich erinnere mich, wie der junge Lehrer diesen Satz vollständig zerzauste und mich damit für mein ganzes bisheriges Leben beeinflusst hat, dass «recht tun und niemanden zu scheuen» für ein anständiges, verantwortungsvolles Leben nicht genüge. Bitte liefern Sie mir ein paar durchdachte Argumente, wieso dies so ist – oder eventuell auch nicht. E. O.

Liebe Frau O. Ihr freundliches Angebot, auf meine alten Tage mal wieder einen richtigen Besinnungsaufsatz schreiben zu dürfen, nehme ich natürlich noch so gerne an. Ich hoffe, ich weiss noch, wie das geht. Item, hier ist meine Second Opinion: Dass recht tun und niemanden scheuen nicht langt – geschenkt! Aber welche Maxime langt schon für alle Details eines ganzen Lebens?

Was mir an der von ihrem Lehramtskandidaten so schnöde zerzausten altväterlichen Lebensregel vor allem gefällt, ist das unscheinbare «und» zwischen den Satzteilen: «Tue recht» allein wäre bloss ein ziemlich trüber Spiesser-Ratschlag, wohingegen «scheue niemand» für sich allein genommen lediglich ein prima Querulantenmotto ergäbe. Den rechten Pfiff erhält der Spruch jedoch durch die Verbindung beider Regeln: Das «und» bereitet den Rechttuenden und Niemandscheuenden nämlich auf einen Konflikt zwischen den beiden Teilen des Sprichworts vor: Wer recht tun will, kann es nicht vermeiden, sich mit Autoritäten anzulegen. Der Satz ist gewissermassen eine alltagspraktische Variation über die Maxime der Aufklärung, dass man nur mündig wird, wenn man sich beim Denken nicht durch Autoritätsargumente einschüchtern lässt.

Der so betulich daherkommende Ratschlag hat also einen recht antiautoritären Einschlag: Rechttun ist nichts für Leute, welche die Auseinandersetzung mit Autoritäten scheuen. Das Sprichwort impliziert aber auch, dass es mit Aufmüpfigkeit allein nicht getan ist. Mit anderen Worten: Rechttun ist eine Angelegenheit, die sich argumentativ behaupten muss. Und diese Pointe des vermeintlich ziemlich angestaubten Sprichworts lässt mein antiautoritäres Aufklärerherz natürlich frohlocken. Jessesmariaundjosef, habe ich wirklich dieses altmödige Wort geschrieben? «Frohlocken»? (Wenigstens nicht «jauchzen» oder «jubilieren».) Ich hoffe, es reicht trotzdem noch für einen knappen Fünfeinhalber. (Tages-Anzeiger)

Donnerstag, Oktober 07, 2010

U.S. Military Orders Less Dependence on Fossil Fuels

New York Times
October 4, 2010
U.S. Military Orders Less Dependence on Fossil Fuels
By ELISABETH ROSENTHAL

With insurgents increasingly attacking the American fuel supply convoys that lumber across the Khyber Pass into Afghanistan, the military is pushing aggressively to develop, test and deploy renewable energy to decrease its need to transport fossil fuels.

Last week, a Marine company from California arrived in the rugged outback of Helmand Province bearing novel equipment: portable solar panels that fold up into boxes; energy-conserving lights; solar tent shields that provide shade and electricity; solar chargers for computers and communications equipment.

The 150 Marines of Company I, Third Battalion, Fifth Marines, will be the first to take renewable technology into a battle zone, where the new equipment will replace diesel and kerosene-based fuels that would ordinarily generate power to run their encampment.

Even as Congress has struggled unsuccessfully to pass an energy bill and many states have put renewable energy on hold because of the recession, the military this year has pushed rapidly forward. After a decade of waging wars....

Mittwoch, Oktober 06, 2010

Dienstag, Oktober 05, 2010

NYT - Paul Krugmann : The Angry Rich

Warum nur erinnert mich dieser Kolumnen-Beitrag Krugmann's nur so an die Diskussionen in der Schweiz .....

The New York Times
Sept. 19th 2010
The Angry Rich (and Taxes)

Paul Krugmann



Anger is sweeping America. True, this white-hot rage is a minority phenomenon, not something that characterizes most of our fellow citizens. But the angry minority is angry indeed, consisting of people who feel that things to which they are entitled are being taken away. And they’re out for revenge.

No, I’m not talking about the Tea Partiers. I’m talking about the rich.

These are terrible times for many people in this country. Poverty, especially acute poverty, has soared in the economic slump; millions of people have lost their homes. Young people can’t find jobs; laid-off 50-somethings fear that they’ll never work again.

Yet if you want to find real political rage — the kind of rage that makes people compare President Obama to Hitler, or accuse him of treason — you won’t find it among these suffering Americans. You’ll find it instead among the very privileged, people who don’t have to worry about losing their jobs, their homes, or their health insurance, but who are outraged, outraged, at the thought of paying modestly higher taxes.

The rage of the rich has been building ever since Mr. Obama took office. At first, however, it was largely confined to Wall Street. Thus when New York magazine published an article titled “The Wail Of the 1%,” it was talking about financial wheeler-dealers whose firms had been bailed out with taxpayer funds, but were furious at suggestions that the price of these bailouts should include temporary limits on bonuses. When the billionaire Stephen Schwarzman compared an Obama proposal to the Nazi invasion of Poland, the proposal in question would have closed a tax loophole that specifically benefits fund managers like him.


Now, however, as decision time looms for the fate of the Bush tax cuts — will top tax rates go back to Clinton-era levels? — the rage of the rich has broadened, and also in some ways changed its character.
For one thing, craziness has gone mainstream. It’s one thing when a billionaire rants at a dinner event. It’s another when Forbes magazine runs a cover story alleging that the president of the United States is deliberately trying to bring America down as part of his Kenyan, “anticolonialist” agenda, that “the U.S. is being ruled according to the dreams of a Luo tribesman of the 1950s.” When it comes to defending the interests of the rich, it seems, the normal rules of civilized (and rational) discourse no longer apply.
At the same time, self-pity among the privileged has become acceptable, even fashionable.

Tax-cut advocates used to pretend that they were mainly concerned about helping typical American families. Even tax breaks for the rich were justified in terms of trickle-down economics, the claim that lower taxes at the top would make the economy stronger for everyone.


These days, however, tax-cutters are hardly even trying to make the trickle-down case. Yes, Republicans are pushing the line that raising taxes at the top would hurt small businesses, but their hearts don’t really seem in it. Instead, it has become common to hear vehement denials that people making $400,000 or $500,000 a year are rich. I mean, look at the expenses of people in that income class — the property taxes they have to pay on their expensive houses, the cost of sending their kids to elite private schools, and so on. Why, they can barely make ends meet.

And among the undeniably rich, a belligerent sense of entitlement has taken hold: it’s their money, and they have the right to keep it. “Taxes are what we pay for civilized society,” said Oliver Wendell Holmes — but that was a long time ago.
The spectacle of high-income Americans, the world’s luckiest people, wallowing in self-pity and self-righteousness would be funny, except for one thing: they may well get their way. Never mind the $700 billion price tag for extending the high-end tax breaks: virtually all Republicans and some Democrats are rushing to the aid of the oppressed affluent.

You see, the rich are different from you and me: they have more influence. It’s partly a matter of campaign contributions, but it’s also a matter of social pressure, since politicians spend a lot of time hanging out with the wealthy. So when the rich face the prospect of paying an extra 3 or 4 percent of their income in taxes, politicians feel their pain — feel it much more acutely, it’s clear, than they feel the pain of families who are losing their jobs, their houses, and their hopes.

And when the tax fight is over, one way or another, you can be sure that the people currently defending the incomes of the elite will go back to demanding cuts in Social Security and aid to the unemployed. America must make hard choices, they’ll say; we all have to be willing to make sacrifices.
But when they say “we,” they mean “you.” Sacrifice is for the little people.

Samstag, Oktober 02, 2010

Aberglaube mit OTTO Walkes

"Ich bin nicht abergläubisch! Das bringt nur Unglück!" / unbekannt

Donnerstag, September 30, 2010

Frischer Wind im Treibhaus

8. September 2010, Neue Zürcher Zeitung
Frischer Wind im Treibhaus
Neue Untersuchungen relativieren Kritik an der Klimaforschung

Durch eine E-Mail-Affäre und Patzer im IPCC-Bericht ist die Klimaforschung im letzten Jahr in Misskredit geraten. Inzwischen liegen mehrere Untersuchungsberichte vor, die einen nüchternen Blick auf die Vorkommnisse erlauben.
Sven Titz
Der Klimarat IPCC der Vereinten Nationen hat eine unruhige Zeit hinter sich. Im letzten Winter wurden den Wissenschaftern zum Teil Woche für Woche Übertreibungen, Gemauschel oder Fehler vorgeworfen. Es gab zwei Anlässe für die Aufwallungen: Zum einen waren im November 2009 Hunderte vertrauliche E-Mails von Klimaforschern illegal an die Öffentlichkeit gelangt. An den E-Mails entzündete sich eine Debatte über Vorwürfe mangelnder Transparenz. Zum anderen wurden im Winter einige Patzer im 3000 Seiten dicken Sachstandsbericht des Uno-Klimarats von 2007 bekannt. Inzwischen hat sich in beiden Fällen der Pulverdampf um die Anschuldigungen verzogen.

Folgerungen bleiben gültig

Die Vorwürfe der Fehlerhaftigkeit vermochten Klimaforscher zum grossen Teil zu entkräften. Einzelne Fehler oder Ungenauigkeiten sind durchaus passiert. Zu den bekanntesten Missgriffen zählt die unhaltbare Aussage im Sachstandsbericht, bis zum Jahr 2035 würden die Gletscher im Himalaja verschwunden sein. Die wichtigsten Folgerungen des Klimarats behalten aber laut fachlichen Analysen ihre Gültigkeit. Zu diesem Ergebnis kamen zum Beispiel Umweltbehörden in den USA und in den Niederlanden. Praktisch alle Fachleute sind sich einig, dass die Emission von Treibhausgasen zu einer Erwärmung der Erdatmosphäre führt, deren Ausmass aber noch unsicher ist.
Da der Autor des Artikels ein Problem mit der Veröffentlichung auf diesem Blog hat - obwohl der gesamte Text mit Link zum Originalzeitungstext, sowie unter Namensangabe des Autors  veröffentlicht wurde -   lesen Sie bitte den gesamten Artikel auf der Webseite der NZZ:
http://www.nzz.ch/nachrichten/wissenschaft/frischer_wind_im_treibhaus_1.7485418.html
(warum wundert es mich nicht, dass der Autor ein Deutscher ist....????)

Mittwoch, September 29, 2010

Fett, das schlank macht

Tages Anzeiger Online 28.09.2010

Fett, das schlank macht
Von Klaus Wilhelm


Es gibt zwei Arten von Fettzellen: «Gute» und «böse». Wenn es gelingt, überflüssige weisse Fettzellen in braune Fettzellen umzuwandeln, wollen Forscher ganz neue Abspeckprogramme entwickeln.


Die Vision klingt zu schön, um wahr zu sein: Wer zu viel Speck um Bauch oder Hüften angehäuft hat – oder das verhindern will –, aktiviert einfach bestimmte Zellen, die das überschüssige Fett verbrennen. Schon hat man sich des lästigen und vor allem gesundheitsbedrohlichen Problems entledigt – ohne die Qualen auf dem Vitaparcours oder im Fitnessstudio. Bis vor kurzem noch reine Zukunftsvision, hat sich nach jüngsten Forschungsergebnissen zumindest ein Funken Realität in die Fantasie gemischt. Denn mittlerweile steht nicht nur für Stephan Herzig fest: «Diese Zellen gibt es auch im erwachsenen Körper.» Und es sind, paradoxerweise, Fettzellen: sogenannte braune Fettzellen.
Der Stoffwechsel-Experte vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg erkennt inzwischen «einen Hype» um dieses braune Fett. Noch hat zwar niemand bei Menschen einen direkten ursächlichen Effekt der braunen Fettzellen auf das Körpergewicht nachgewiesen. Doch zumindest bei Mäusen ist klar, dass sie, sofern «angeschaltet», das Gewicht drücken.

Sonntag, September 26, 2010

Musical Sunday with the Leningrad Cowboys and the Russian Red Army Choir (Choir Aleksandrov)

Those were the days / Dark Eyes


Knockin' on Heaven's Door / Oh, Field


Glory Hallelujah


Kalinka / Gimme All Your Lovin'

Samstag, September 25, 2010

Der sinnlose Wettbewerb

Tages Anzeiger Magazin 04.09.2010

Der sinnlose Wettbewerb

Im Gesundheitsbereich, in Bildung und Wissenschaft werdenjede Menge künstliche Wettbewerbeinszeniert. HöchsteZeit zur Umkehr. Ein Plädoyer von Mathias Binswanger

Völker und Kulturen haben zu allen Zeiten immer wieder an und für sich wertlose Dinge und sinnlose Normen als erstrebenswert oder sogar sakrosankt erklärt. Und die Menschen waren dann jeweils dazu verdammt, sich einen Wettkampf beziehungsweise Wettbewerb um deren Erfüllung oder Besitz zu liefern. Angenehm war das selten. Schlimmstenfalls war es eine Tortur für die Opfer, bestenfalls führte er einfach zu einer Verschwendung von Zeit und Ressourcen. Diese fehlten dann aber bald einmal für wichtige Dinge, eine Degeneration von Volk und Kultur ist die logische Folge.
Die Chinesen lieferten dafür schöne Anschauungsbeispiele, die uns, da sie aus einer andern Zeit und einem andern Kulturkreis stammen, besonders pervers oder absurd erscheinen.

Über etwa 1000 Jahre, bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts, war das Leben einer Frau darauf ausgerichtet, möglichst kleine Füsse zu haben. Solche sogenannten Lotusfüsse entsprachen dem weiblichen Schönheitsideal, das es unter allen Umständen anzustreben galt. Das Leben einer jungen Chinesin wurde dadurch zu einer erbarmungslosen Tortur, die schon im zarten Mädchenalter begann. Um die Füsse der jungen Frauen auf die gewünschte Grösse zu bringen, wurden, beginnend vom Alter zwischen zwei und fünf Jahren, die Zehen gnadenlos unter die Ballen gebunden, bis irgendwann die Knochen brachen und der Fuss in sich zusammenklappte. Die Folge davon waren massenhaft verkrüppelte Füsse. Zahllose Mädchen litten ein Leben lang daran, zehn Prozent starben an den Begleiterscheinungen.

Freitag, September 24, 2010

Politics can be funny / BR Merz lacht über Beamtendeutsch....

Federal Counsellor Hans-Rudolf Merz reading the prepared answer to a question from an MP and is unable to control his laughter. Civil service speak can be funny! :-)

Donnerstag, September 23, 2010

Mittwoch, September 22, 2010

Spiesser sind stets die anderen

Tages Anzeiger Online 21.09.2010

Spiesser sind stets die anderen

Von Güzin Kar.
Wieso soll Spannteppich peinlich sein, Parkettboden hingegen cool? Weil es Leute gibt, die ihren Stil zur Norm erheben, meint die Filmregisseurin Güzin Kar.

Es ist schon einige Jahre her, aber die Szene ist mir in lebhafter Erinnerung. Kai Pflaume war zu Gast in der «Harald-SchmidtShow» und erzählte von dem Haus, das er gerade für sich und seine Frau bauen liess.
Die Männer fachsimpelten über Handwerker und Baumaterialien, bis Schmidt Pflaume nach dessen bevorzugten Bodenbelägen fragte und gleich zur Auswahl anbot: «Parkett? Stein?» Pflaume sagte: «Teppichboden.»
Schmidt erging es so wie mir: Eine Sekunde lang hielt ich die Antwort für einen Witz. Doch Kai Pflaume fuhr unbeirrt weiter: «Wir finden Teppich ganz gemütlich.» In diesem Moment sah ich mein Bild von ihm mehr als bestätigt. Er war und blieb der weichgespülte Kuschel-Kai, der Gemütlichkeitsfanatiker, der Emporkömmling des Deutschen Fernsehens .......

Donnerstag, August 26, 2010

USA - Die Wiedergeburt der Lüge

Tages Anzeiger Online 25.08.2010
Die Wiedergeburt der Lüge
Von Martin Kilian.

In den USA greift eine antiislamische Stimmung um sich. Angeheizt und gewissenlos ausgeschlachtet wird sie von den Republikanern.
Feindliche Kundgebung gegen die Moschee: New York am vergangenen Wochenende.

Auseinandersetzungen mit dem Islam hatten stets die anderen und nicht die Vereinigten Staaten: Zufrieden und im Gestus der Selbstbeweihräucherung konstatierten amerikanische Kommentatoren, weder radikalisierten sich heimische Muslime im Stil ihrer britischen Glaubensgenossen, noch gebe es Ausdrücke von Islamverdrossenheit wie beispielsweise das Minarettverbot in der Schweiz.

Nun aber, da das FBI in New York und anderen amerikanischen Städten mit grossen muslimischen Gemeinschaften eine Radikalisierung junger Muslime beklagt und bereits mehrere Terroranschläge von Einheimischen verübt wurden, werden zusehends islamfeindliche Tendenzen in der amerikanischen Gesellschaft offenbar. Die Kontroverse um den Bau eines islamischen Kulturzentrums inklusive eines Gebetsraums nahe dem Tatort des Massenmords von 9/11 in New York trägt bisweilen die Züge eines Kriegs der Zivilisationen. Angesichts der kommenden Kongresswahlen wird er von Republikanern samt Tea Party gewissenlos angeheizt.

Angst vor dem Fremden

Mehr als zwei Drittel der Amerikaner lehnen laut Umfragen den Bau des Kulturzentrums ab, weshalb die Republikanische Partei sich ausgerechnet habe, «dass es sich politisch lohnt, auf den Islam und die Muslime einzudreschen», glaubt Ibrahim Hooper vom....

Sonntag, August 22, 2010

Banken - Unter Heimatschutz

Tages Anzeiger Magazin
Unter Heimatschutz

Die Schweizer Grossbanken werden über die Staatsgarantie versteckt subventioniert. Höchste Zeit, den freien Markt wieder spielen zu lassen — im Interesse des ganzen Landes.
21.08.2010 von Mark Dittli

Alles ist wieder gut. Die westlichen Banken haben ihr Rendezvous mit dem Tod überlebt, der Schock des Untergangs der Investmentbank Lehman Brothers vom September 2008 ist verdaut. Normalität ist ins Geschäft zurückgekehrt. Die namhaften global tätigen Finanzinstitute schreiben erneut Milliardengewinne, auch die UBS meldet wieder selbstbewusst schwarze Zahlen. Alle wichtigen europäischen Banken haben den im Juli durchgeführten Stresstest, in dem ihre Solidität geprüft wurde, mit Leichtigkeit bestanden. Business as usual herrscht wieder in der Branche. Oder vielmehr: better than usual. Die Krise hat einige lästige Konkurrenten vom Markt gefegt, und die Tiefzinspolitik der Notenbanken verschafft den Finanzhäusern Geld zum Nulltarif. Alles ist besser denn je. Oder doch nicht?
«Die Bankenwelt ist heute in einem schlimmeren Zustand als vor 2008. Die Risiken sind nach wie vor riesig», warnt der in Harvard lehrende Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson. «Die Gefahren sind nicht einmal ansatzweise gebannt. Und die meisten Staaten können sich eine zweite Bankenkrise nicht leisten», sagt Simon Johnson, Ökonomieprofessor am ebenso renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT).
Die beiden zählen zu einer Gruppe von Ökonomen, Notenbankern und Historikern, vor allem aus dem angelsächsischen Raum, die davor warnt, die Finanzkrise als überwunden zu betrachten und den Banken wieder freie Hand bei der Verfolgung ihrer profitablen Geschäfte zu geben. Sie warnen, die Finanzkolosse Europas und der USA seien so gross und nach wie vor dermassen riskant finanziert, dass sie für ihre Domizilstaaten eine nicht mehr tragbare Gefahr darstellten. Radikalere Massnahmen zur Bändigung der Branche seien nötig — bis hin zur....

 

Donnerstag, August 19, 2010

Metalle unter Strom

11. August 2010, Neue Zürcher Zeitung
Metalle unter Strom

Wird der Ausbau der Elektromobilität von einem Rohstoffengpass ausgebremst?
Dem Elektroauto soll die Zukunft gehören. Aber wird diese Zukunft auch die Rohstoffe bieten, die das Elektroauto benötigt? Ja, sagen deutsche Forscher, aber wohl nur zu einem höheren Preis.

Leonid Leiva

Die einen geloben es, die anderen verlangen es. Doch bis das Elektroauto in grossem Stil auf die Strasse kommt, werden wohl noch ein paar Jahrzehnte vergehen. Dennoch blickt das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) im Auftrag der deutschen Regierung schon heute mit orakelnden Augen in die Zukunft. Man möchte wissen, ob bis zum Jahr 2050 der Mangel an Reserven wichtiger Rohstoffe einem Ausbau der Elektromobilität im Wege stehen könnte. 2009 legte das ISI bereits eine Vorschau auf die Entwicklung der Lithiumbestände vor. Nun folgt eine Untersuchung zum Edelmetall Kupfer.

Steigender Bedarf

In einem Benzin- oder Dieselauto der Mittelklasse fahren schon heute rund 25 Kilogramm Kupfer mit. Bei Hybridantrieben....

Dienstag, August 17, 2010

Freitag, August 13, 2010

Denkt das Gehirn?

7. August 2010, Neue Zürcher Zeitung
Denkt das Gehirn?
Eine «neurophilosophische» Debatte

Uwe Justus Wenzel
Länger schon hat die Wissenschaft festgestellt, dass das menschliche Zentralorgan kein Zentrum enthält: Das Gehirn mag so etwas wie eine Schaltzentrale sein, es hat aber keinen Hauptschalter und Hauptverwalter, keinen Maestro, der das Orchester der Hirnzellen und Synapsen dirigierte. Gleichwohl reden Neurowissenschafter und auch ihnen zur Seite stehende «Neurophilosophen» nicht selten vom Gehirn so, als ob es ein Akteur wäre. Dann tut sich nicht nur etwas in ihm, es tut vielmehr «selbst» etwas; es – oder auch einer seiner Teile – denkt, nimmt wahr, interpretiert, fühlt, wünscht, will, entscheidet. Ist es aber statthaft, so zu reden? Kann man dem Gehirn im Ernst zuschreiben, was für gewöhnlich von Menschen – von Personen – gesagt wird?

Eine illustre Runde

Ganz neu ist die Frage nicht. Aristoteles hat etwa dreieinhalb Jahrhunderte vor Beginn unserer Zeitrechnung in seiner Abhandlung über die Seele zu bedenken gegeben: Wer formuliere, «die Seele gerate in Zorn», behaupte der nicht das Gleiche wie einer, der meine, die Seele webe oder baue? Es sei, empfiehlt der Philosoph, «wohl besser, nicht zu sagen, die Seele habe Mitleid oder lerne oder denke nach, sondern der Mensch mittels der Seele». Aus der Seele ist inzwischen das Gehirn geworden, das dem Menschen das Privileg des Denkens und Fühlens streitig macht. Oder könnte es sein, dass die Hirnforscher eben doch....